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Nachflimmern: Chuckys Baby

Ein Beitrag von Sophia Derda

Das Horrorfilm-Franchise um die Mörderpuppe Chucky besteht seit vier Jahrzehnten und war unserer Autorin bis vor Kurzem gänzlich unbekannt. Das hat sich schlagartig geändert und muss in einem Nachflimmern besprochen werden. 

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Chuckys Baby

Jede Woche erscheinen auf den bekannten Streaming-Plattformen Unmengen von Filmen. Wir können uns vor Geschichten, Filmen und Serien, ja vor Bildern gar nicht mehr retten. Doch wenngleich es so scheint, als wäre alles nur einen Klick entfernt, gibt es am Rande dieser Masse immer noch Filme, die kurz vor dem Vergessen stehen und dabei so schön hell und verlockend flimmern. Manche werden wahrgenommen, aber nicht angerührt, weil Vorurteile bestehen. Gründe dafür können Inhalt, Ästhetik oder Gattung sein. Unserer Autorin erging es so bei dem Chucky Franchise. Erst durch Anraten ihrer jüngeren Schwester wagte sie einen ersten Blick und war begeistert. Hinter den Filmen dieses Franchises flimmert es gehörig, das kann jetzt schon verraten werden.

Entkräftete Vorurteile

Von Chucky, dieser rothaarigen Puppe, habe ich schon mal gehört. Die Filme waren mir ein Begriff, aber nie mehr als das. Ohne eine wirkliche Auseinandersetzung wirkte dieses Franchise immer sehr seelenlos auf mich. Was interessiert mich eine Puppe? Was soll diese Art von Horror bei mir auslösen?

Erst durch den Besuch meiner jüngeren Schwester wurde ich zum Nachdenken angeregt. Sie hat vor Kurzem Chuckys Baby gesehen. In den Erzählungen klang immer wieder heraus, dass sie Chucky als Figur ungemein sympathisch empfindet und dass der Film inhaltlich sehr progressiv sei. Mir war erstmal nicht bewusst, was das bedeuten soll, bis wir den Film daraufhin gemeinsam gesehen haben.

Die Geschichte handelt von einem Puppenkind, das nach Los Angeles entkommt, um die eigenen Eltern, Chucky (wie immer von Brad Douriff gesprochen) und Tiffany (Jennifer Tilly), zu finden, nachdem es bemerkt hat, dass sie das gleiche Herstellungszeichen (Made in Japan) haben. Zwei miteinander verflochtene, bestechend ernste Themen tauchen auf: Das Kind ist gezwungen, sich mit dem eigenen Geschlecht auseinanderzusetzen, und die Eltern stehen vor der Aufgabe ein Kind zu erziehen. Das Kind identifiziert sich für die Mutter als Mädchen und für den Vater als Junge, hat selbst nicht erkennbare Genitalien und verändert immer wieder das eigene Aussehen.

Chucky und Tiffany nennen ihr Kind Glen bzw. Glenda, eine Anspielung auf Ed Woods gleichnamiges queeres Drama von 1953. Wie Woods Film achtet auch Regisseur und Drehbuchautor Don Mancini nicht auf psychologische Genauigkeit, sondern entscheidet sich für eine absurde Abstraktion des Geschlechtsausdrucks. „Glenda“ ist eine schrille Heranwachsende mit stark geschminktem Gesicht, während Glen eher ein zurückhaltender Junge ist. Mancini zeigt dabei viel Einfühlungsvermögen für die Schwierigkeiten, die man hat, wenn man sich in familiären Strukturen mit der eigenen Identität auseinandersetzen muss. Chucky und Tiffany nehmen ihre elterlichen Dienste zwar ernst, können aber nicht davon absehen, weiter zu töten. Der Höhepunkt des Films ist daraufhin umwerfend sensibel, wenn die zwei unvollkommenen Eltern auseinandergehen, um ihrem Kind eine friedliche Zukunft bieten zu können. Außerdem erwähnenswert: die Rolle des „The Pope of Trash“-Regisseurs John Waters! Der selbsternannte Fan der Filmreihe bekam eine für ihn geschriebene Rolle als voyeuristischer Paparazzi, dessen Verhalten durch Chucky feindselig bestraft wird. 

Die postmoderne Inszenierung von Chuckys Baby passt perfekt in den frühen 2000er Kanon an Horrorfilmen aus Franchises, die versuchen in der überhöhten, klamaukigen Art das Publikum nochmal erreichen zu können. Dennoch gelingt es Don Mancini im Drehbuch, eine interessante Abhandlung rund um die eigene Identität und Sexualität spinnen zu können. Was sich auch im gesamten Franchise selbst manifestiert.

Die meisten Horror-Franchises sind das Produkt von Studio-Fließbändern. Oft sind die ersten Filme das Werk von Autoren, wie John Carpenters Halloween, Wes Cravens Nightmare on Elm Street, Tobe Hoopers Texas Chain Saw Massacre oder sogar James Wans Saw. Diese Schöpfer bleiben vielleicht für ein oder zwei Fortsetzungen dabei oder kehren sogar gelegentlich Jahre später zurück, wie Wes Craven für New Nightmare. In den meisten Fällen werden Horror-Fortsetzungen jedoch zu einer anonymen Angelegenheit wechselnder Regisseur*innen.

Im Gegensatz dazu hat sich das Chucky-Franchise eine starke zentrale Identität bewahrt. Don Mancini hat bei allen sieben Filmen das Drehbuch geschrieben, bei den drei Filmen seit Chuckys Baby Regie geführt und ist für die Fernsehserie verantwortlich. Ein derartiges Maß an kreativer Konsistenz innerhalb eines großen Horror-Franchise ist relativ selten.

Aber worum geht es eigentlich genau in diesem Franchise?

Eine perfide, wenn nicht gleich geniale Idee: In den 80er Jahren einen Film zu entwickeln, dessen Antagonist das beliebteste Kinderspielzeug der USA ist. Das vom Turbokapitalismus vereinnahmte Jahrzehnt ergötzte sich an Werbung, Konsum und dem unendlichen Verlangen immer mehr besitzen zu müssen. Schon im Kindesalter erfährt man den Wunsch, all das angepriesene Spielzeug aus der TV-Werbung und von den Plakaten selbst im eigenen Kinderzimmer haben zu wollen. Für einen Horrorfilm, der auf einem massenproduzierten Kinderspielzeug basiert, die perfekte Ausgangslage.

Filmstill aus Chucky – Die Mörderpuppe (c) Warner & einer Original Cabbage Patch Kids Puppe

Alles begann mit Chucky der kleinen, rothaarigen Puppe, die sich im Aussehen an der Cabbage-Patch-Serie orientierte, einer der beliebtesten Spielzeug-Serien der 80er Jahre und eines der am längsten bestehenden Puppen-Franchises in den Vereinigten Staaten. Die Handlung dreht sich um den berüchtigten Serienmörder Charles Lee Ray, auch bekannt als „The Lakeshore Strangler“, der in einem Spielzeugladen in Chicago erschossen wird. Bevor er stirbt, überträgt er seine Seele mit einem Voodoo-Zauber in eine „Good Guys“-Puppe (namens Chucky), die später dem kleinen Jungen Andy Barclay geschenkt wird. Unschuldig und niedlich findet Chucky seinen Weg in intime familiäre Umgebungen, die andere Monster nicht betreten würden, was ihm einen Überraschungseffekt verleiht, den er somit immer wieder ausnutzt.

Chucky terrorisiert und verzaubert die Fans von Horrorfilmen nun schon seit über vier Jahrzehnten. Er trat in sieben Kinofilmen auf, in einem vor Kurzem erschienenen Reboot der Vorlage (Child’s Play) und in der laufenden Fernsehserie Chucky von 2021. Obwohl die Figur nie so ikonisch wie Freddy Krueger oder Michael Myers wurde, hat sich Chucky eine große Fangemeinde aufgebaut. Dies ist zum Teil auf die Vielseitigkeit der Figur zurückzuführen. Die Chucky-Reihe ist in Bezug auf Form und Inhalt bemerkenswert flexibel. Insofern hat es etwas Beruhigendes, dass es dem Chucky-Franchise gelungen ist, die eigene Identität fest zu bewahren und immer noch Don Mancini an Bord ist.

Das Flimmern hinter diesem Franchise lodert noch immer und es gibt ungemein viele Filme, die ich noch zu sehen habe. Ein großer Dank gilt meiner Schwester für die Einführung in die Welt von Chucky. Ich freue mich sehr nun endlich mit ihm und seiner Familie Bekanntschaft gemacht zu haben.

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