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Kolumnen

Französisches Wohlfühlkino: Eine Empörung

Ein Beitrag von Rajko Burchardt

Meinungen
Ziemlich beste Freunde - Trailer (deutsch)

Hierzulande bemühen sich derzeit zwei französische Komödien, an den kommerziellen Erfolg ihrer jeweiligen Vorgänger anzuknüpfen. Die eine heißt Heute bin ich Samba und läuft bereits in den deutschen Kinos. Inszeniert haben sie Eric Toledano und Olivier Nakache, die Regisseure von Ziemlich beste Freunde, und in der Hauptrolle ist erneut Omar Sy zu sehen, wieder als Einwanderer aus prekären Verhältnissen.


(Trailer zu Heute bin ich Samba)

Die andere heißt Nur eine Stunde Ruhe und startet Mitte April. Der Verleih kündigt den Film so an: „Nach dem Millionen-Hit Monsieur Claude und seine Töchter die neue Komödie mit Frankreichs Superstar Christian Clavier“. Manche werden das Einladung nennen; man kann es natürlich auch als Warnung verstehen.

In Frankreich blieben beide Filme hinter den Erwartungen zurück, haben aber dennoch gutes Geld eingespielt. Samba verzeichnete über drei Millionen Besucher, Nur eine Stunde Ruhe etwas über eine Million. Das mag weit entfernt sein von den Zahlen ihrer Vorläufer, die dort zusammengenommen über 30 Millionen Zuschauer erreichten. Aber auch nicht weit genug, um sich Hoffnungen auf ein Ende der jüngeren Feelgood-Welle machen zu dürfen. Im Gegenteil: Mit Verstehen Sie die Béliers? ist längst schon die nächste „unerhörte Komödie aus Frankreich“ in unseren Kinos zu sehen. Sie hat in ihrer Heimat über 25 Millionen Euro eingespielt und orientiert sich wiederum an Willkommen bei den Sch’tis — jener schrulligen Provinzklamotte, mit der das französische Wohlfühlprogramm vor einigen Jahren erst richtig in die Gänge kam.

Offenbar sah sich der deutsche Verleih von Nur eine Stunde Ruhe daher genötigt, ein ganz neues „Genre“ auszurufen: Die „turbulente, elegant-zugespitzte Zeitgeist-Komödie“! Sie sei nicht nur so „subtil-pointiert“ und „brüllend-komisch“, wie man es von Regisseur Patrice Leconte angeblich zu erwarten habe. Sondern augenscheinlich auch uneigenständig genug für eine fuchsige Pointe: „Vorsicht: höchster Wiedererkennungsfaktor!“, heißt es am Schluss der Pressemitteilung mit Blick auf die unverkennbare Handschrift dieser neuen französischen Komödien. Womit dann auch schon mal eine der wesentlichen Grundsatzmiseren angerissen wäre — dass Feelgood-Baupläne bestimmte Faktoren und Wiedererkennungswerte berücksichtigen müssen, um sich ihres dauerhaften Erfolges zu versichern.


(Trailer zu Nur eine Stunde Ruhe)

Mainstream-Kino ist immer Formatkino, das verständlicherweise kein Interesse hat an Experimenten, die das Format sprengen könnten. Es kommt also darauf an, wie man mit diesen Grenzen umgeht und was man bereit ist, in ihnen anzustellen. Feelgood-Filme haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Dieser Weg führt direkt ins Herz eines Publikums, das sich nicht mehr in bestimmte Zielgruppen einteilen lässt, sondern möglichst alle Altersklassen von 0 von 99 abdeckt. Über neun Millionen deutsche Kinobesucher wollten Ziemlich beste Freunde 2012 sehen, aber nicht einmal vier Millionen die ungleich aggressiver beworbenen Franchise-Trilogieabschlüsse Breaking Dawn — Biss zum Ende der Nacht Teil 2 oder The Dark Knight Rises.

Das Narrativ vom eigenwilligen europäischen Programmkino, dem sogar milliardenschwere US-Blockbuster und deren Sequels keine Konkurrenz machen könnten, ist fester Bestandteil des Erfolges. Aus ihm lässt sich eine Sehnsucht ablesen nach Geschichten, die keiner Film-, Comic- oder Spielfigurenvorlage entspringen, sondern augenscheinlich vom Leben selbst geschrieben wurden; und vielleicht auch eine Lust auf Kino, das sich die eigenen Erfolge nicht länger selbst diktiert: Zum Phänomen wurde Ziemlich beste Freunde durch sein Publikum, und es war stolz darauf, diesen Film entdeckt zu haben. Ihn noch ein zweites und drittes Mal — am besten mit der ganzen Familie — zu sehen, wird dieses Bewusstsein nur geschärft haben.

Weniger auf den Leim geht man Kino wie diesem dadurch allerdings auch nicht. Mehr als alles andere ist der Feelgood-Film ein auf Publikumswirksamkeit abgerichteter, sowohl funktionaler als auch offensichtlich sehr gut funktionierender Film. Er ist per se generisch, schafft keine Verwirrung, drückt die richtigen Knöpfe zwischen Vergnüglich- und Nachdenklichkeit. Er ist konsumerabel, so erbaulich wie verdaulich. Und vor allem macht er Kino für die, die ihn sich leisten können: Er will niemandem etwas Böses, besonders nicht einem Publikum, das weltweit über 50 Millionen Tickets für Ziemlich beste Freunde gelöst hat. Und dann ganz beschwipst war vor Freude.

Die vermeintlich lebensnahen Geschichten des Feelgood-Kinos dürfen sich wirklichkeitsentrücktes Erzählen allenfalls in der Schönfärbung sozialer Realitäten erlauben; ihre klischierten Figuren wiederum müssen helfen, diese Realitäten ein bisschen erträglicher zu machen. Der Humor soll nicht langweilig, aber bekömmlich sein, was auch heißt, dass er politisch besser vage bleibt. Überhaupt ist das eine echte Verschleierungstaktik insbesondere der französischen Wohlfühlkomödien jüngerer Zeit: Ihrem gefallsüchtigen Anschein nach produzieren sie unausgesprochen liberale Unterhaltung für eine bürgerliche Mitte, fischen ideologisch aber auch gern mal in trüben Front-National-Gewässern.


(Trailer zu Ziemlich beste Freunde)

Ziemlich beste Freunde etwa hat seine „wahren Begebenheiten“ nicht nur dramaturgisch modifiziert, er hat sie auch gründlich auf Traditionslinie rassistischer Stereotypen gebracht. In der Kinofassung pflegt kein Ex-Häftling mit algerischem, sondern nun senegalesischem Postmigrationshintergrund aus den Pariser Banlieues jenen querschnittsgelähmten Millionär, dessen zu einem Bestseller verarbeitete Erfahrungen die Grundlage der Geschichte bilden. Vor allem US-amerikanische Filmkritiker wie Jay Weissberg sahen in der Figur eine Onkel-Tom-Reinkarnation, die sich vom bourgeoisen White Savior gönnerhaft dulden statt auf Augenhöhe behandeln lässt — eine Lesart, auf die sich das politisch sonst so scharfsinnige europäische Publikum offenbar nicht einlassen wollte.

Monsieur Claude und seine Töchter wiederum macht Alltagsrassismen sogar zum konkreten Gegenstand der Erzählung. Der Film vermittelt die abscheuliche Idee, ein weißer Patriarch dürfe sich widerwärtigste Vorurteile gegenüber dem schwarzen Verlobten seiner jüngsten Tochter schon deshalb erlauben, weil auch der Bräutigamsvater von der Elfenbeinküste den Kolonialherren von einst mit Skepsis und Xenophobie begegne.


(Trailer zu Monsieur Claude und seine Töchter)

Den Gaullismus seiner Titelfigur erklärt die für ihre Heiter- und Leichtigkeit gefeierte Komödie zum harmlosen Pendant jener — hier umso mehr — berechtigten Skepsis, mit der von Rassismus betroffene Menschen potenzieller Diskriminierung gegenüber treten. Statt die darin anklingenden Ressentiments komödiantisch, aber entschieden zu widerlegen, verlacht Monsieur Claude und seine Töchter sie lieber nach allen Regeln der Wohlfühlkunst. Das Feelgood-Kino des einen ist die Feelbad-Realität des anderen, doch solche Erkenntnisse vertragen vielleicht weder die Filme noch ihr Publikum.

Diese Diskursfeindlichkeit hat natürlich System. Sie rechtfertigt selbst noch größte Idiotien (wie Ungleichheitskonstruktionen und damit verbundene Menschenverachtung), weil ihre bestehenden Denkmuster mehrheitsfähig bleiben müssen. Intellektualismus ist der größte Feind des Feelgood-Kinos, ein kritisches Infragestellen der tatsächlichen Machtverhältnisse seiner Figuren ohne Erfolgsaussicht. Am Ende von Monsieur Claude und seine Töchter soll nicht nur innerhalb der Erzählung ein Zustand vollkommener Zufriedenheit hergestellt sein, auch das Publikum möchte mit einem guten Gefühl aus dem Kino gehen. Es wurde in seinen Ansichten bestätigt und konnte sogar noch über sie lachen, zur Feier des Tages gab es Schampus.

Wenn das nun sein soll, was früher einmal Programmkino war, kann es um die Multiplexe gar nicht so schlecht bestellt sein.

(Rajko Burchardt, der sich im Kino gern auch mal unwohl fühlt)

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