Verstehen Sie die Béliers? (2014)

Eine Filmkritik von Andreas Günther

Ein Goldkehlchen wird flügge

Die Erneuerungskräfte des französischen Films versetzen immer wieder in Erstaunen. Munter werden die Unterhaltungsformeln der 1950er und 1970er Jahre mit der Inklusionsthematik der Gegenwart kombiniert. Im Mittelpunkt steht dann zwar eine sehr junge Blondine mit sinnlichem Mund und hübschem Gesicht, aber eben auch eher kräftigem als kurvenreichem Körper. Sie trägt die rührende, politisch korrekt verkitschte Komödie wie Verstehen Sie die Béliers?, die in Frankreich schon mehr als fünf Millionen Menschen sehen wollten.

Film-Debütantin Louana Emera spielt als Paula Bélier eine Art freiwilliges Aschenputtel. Mit ihrer Familie bewirtschaftet sie einen Bauernhof in der Provinz. Neben der harten Arbeit hat sie buchstäblich alle Hände voll zu tun mit dem Dolmetschen in Gebärdensprache: Sowohl Vater François (Rodolphe) als auch Mutter Gigi (Karin Viard) und der kleine Bruder Quentin (Luca Gelberg) sind gehörlos.

An der Schule interessiert Paula wenig mehr als ihre Kameradin und Freundin Mathilde (Roxane Duran) und der verschlossene Lockenkopf Gabriel (Ilian Bergala). Bis es sie in den Chor des knurrigen Musiklehrers Thomasson (Èric Elmosnino) verschlägt. Beim Singen entschlüpft ihr ein glockenheller Sopran – zu ihrer großen Bestürzung und Thomassons Entzücken, für den sie einen „ungeschliffenen Diamanten in der Kehle“ hat. Er drängt darauf, dass sie die Gesangsprüfung bei Radio France in Paris für die Aufnahme an einer bedeutenden Musikschule ablegt. Außerdem soll sie für eine Schulaufführung ein Duett mit Gabriel singen…

Lebhaft rauschen durch den Zuschauerkopf die Kino- und Fernseherinnerungen. Pures Talent ebnet einer Unschuld vom Lande den Weg in die Hauptstadt – Brigitte Bardots erste Rollen waren von diesem Zuschnitt. Louana Emera ist ihre Nachfahrin und verkörpert gleichzeitig den Gegentypus: nicht naiv und provokant, sondern schüchtern und verantwortungsbewusst. Und anders als weiland Isabelle Adjani Mitte der 1970er in Die Ohrfeige oder Sophie Marceau Anfang der 1980er in La Boum – Die Fete (beide von Claude Pinoteau) denkt sie an ihre Familie statt mit ihrem Typen durchbrennen zu wollen.

Trotzdem geht es im Kern um die Reifung einer Jugendlichen, kraft der Entdeckung der eigenen Stimmkraft sozusagen. Die Aussage des Chansons „Je vole“, den Paula fleißig für die Prüfung einstudiert, ist in dieser Hinsicht eindeutig: „Liebe Eltern, ich gehe weg/Ich liebe Euch, aber ich gehe weg./ (…) Ich laufe nicht weg, ich fliege aus…“ Während sie gerade mit Gabriel das Duett übt, wird sie von ihrer ersten Regelblutung überrascht. Anders als früher stehen dem Gang ins eigene Leben weder hartherzige Patriarchen noch elterliche Streitereien entgegen, sondern die Sorge um die Familie.

Obwohl der Titel suggeriert, dass es eigentlich um deren Handicap im Film gehen soll, schrumpft dieses Thema trotz der Bürgermeisterkandidatur des Vaters gegenüber dem Flüggewerden der Tochter zum Hintergrundphänomen. Erst recht bei Paulas Schlussspurt ins zukünftige Glück.
 

Verstehen Sie die Béliers? (2014)

Die Erneuerungskräfte des französischen Films versetzen immer wieder in Erstaunen. Munter werden die Unterhaltungsformeln der 1950er und 1970er Jahre mit der Inklusionsthematik der Gegenwart kombiniert. Im Mittelpunkt steht dann zwar eine sehr junge Blondine mit sinnlichem Mund und hübschem Gesicht, aber eben auch eher kräftigem als kurvenreichem Körper. Sie trägt die rührende, politisch korrekt verkitschte Komödie wie „Verstehen Sie die Béliers?“, die in Frankreich schon mehr als fünf Millionen Menschen sehen wollten.

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Meinungen

Magdalena G. · 05.04.2015

Dieser Film ist wirklich sehenswert. Er beinhaltet viele Seiten des Lebens, Gefühl, viel Herz und Humor. Auch die Musik geht unter die Haut.

ThomasD. · 05.04.2015

Hallo, ein schöner Film, mit Tempo, Humor,und viel Gefühlskino, sehr empfehlenswert.