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Kolumnen

Die geheime Welt der Fan-Restaurierungen

Ein Beitrag von Rajko Burchardt

Eigenmächtige Restaurierungen unliebsam behandelter Filme erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Im Verborgenen leisten Fans damit eine rechtlich fragwürdige, doch kinohistorisch wertvolle Arbeit.

Meinungen
Bild aus Star Wars Episode 4 Eine neue Hoffnung
Star Wars Episode 4 Eine neue Hoffnung

Nach der Kinofassung von „Star Wars“ sucht man im Handel oder bei Streaming-Diensten vergeblich. Zu finden sind dort ausschließlich jene durch neue Szenen und Spezialeffekte verunstalteten Varianten der ersten Trilogie, mit denen Lucasfilm (nunmehr vertreten von Disney) die Originalversionen ersetzt hat. Wer sie dennoch sehen möchte, muss auf alte Videobänder, Laserdiscs oder eine qualitativ miserable DVD-Edition zurückgreifen, für die in Onlinebörsen Mondpreise ausgerufen werden.

Star Wars ist gewissermaßen ein Urmythos ungestillter Fanbedürfnisse. Seitdem die Filme in den 1980er Jahren erstmals Heimkinoauswertungen erfuhren, haben viele ihrer Anhänger ein Vermögen für unzureichende Medienträger bezahlt: für VHS-Tapes im Verfahren Pan & Scan, die bis zu 50 Prozent weniger Bild zeigten; für DVDs, bei denen plötzlich Schauspieler der später gedrehten Prequels durch die Filme stolperten; für Blu-rays, zu deren nochmaligen Änderungen schließlich digital blinzelnde Ewoks zählten.

Nahezu jede Veröffentlichung von Krieg der Sterne, Das Imperium schlägt zurück und Die Rückkehr der Jedi-Ritter weist technische Mängel oder inhaltliche Eingriffe auf, derweil Generationen heranwachsender Fans die längst zu Relikten avancierten Kinofassungen allenfalls noch aus Erzählungen kennen. Insofern gehen unautorisierte Restaurierungen der Filme durch Online-Gruppen über Trotzreaktionen und Schadensbegrenzung hinaus. Es sind Rettungsbestrebungen, die einen kulturellen Verlust aufhalten wollen.

 

Mobilisierung von Kräften

Als Despecialized Edition wurde 2011 der erste umfassende Versuch einer Rekonstruktion von Star Wars bezeichnet. Unter Zuhilfenahme zahlreicher Quellen machten ein tschechischer Englischlehrer und dessen virtuell agierendes Team alle von George Lucas vorgenommenen Verschlimmbesserungen rückgängig. Mit welchem Aufwand ihre annähernd werktreue Präsentation der Ur-Trilogie verbunden war, ist auf YouTube und im Wikipedia-Eintrag detailliert nachzuvollziehen.

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Trotz des Umfangs hat ein solches Projekt keine letztgültige Qualität. Zum einen aktualisieren und optimieren die Macher es regelmäßig selbst, zum anderen können weitere Gruppen sich des gleichen Titels annehmen. So wurde die Despecialized Edition durch das Project 4K77 ergänzt, dessen Verantwortliche historische Kinokopien von Star Wars in 4K abtasten und säubern ließen. Ziel war es, die Kinofassung auch in Ultra High Definition (2160p) abbilden zu können, weniger poliert und mit authentischerer Farbwiedergabe. Insgesamt zwei Jahre soll daran gearbeitet worden sein.

Freilich bilden eigenmächtige und kostenintensive Wiederherstellungen von Sternenkriegen nur die Spitze des Eisbergs. Wenn Lieblingsfilme nicht oder lediglich in ungenügenden offiziellen Fassungen verfügbar sind, können auf Seiten aller möglichen Kinofreunde enorme Kräfte mobilisiert werden. Dann schlägt die Stunde einer mehr oder weniger geheimen Online-Cinephilie, deren hingebungsvollen Fan-Edits und -Restaurierungen kein finanzielles und zeitliches Limit gesetzt scheint.

 

Die Motive der Fan-Restauratoren

Verglichen mit der ähnlich halbseidenen Welt privater Torrent Tracker (einem Phänomen, über das Lukas Foerster im Filmdienst zu schreiben wagte) verfolgen die Heimkinoperfektionisten keine primär archivarischen Ziele. Nicht alternative oder marginalisierte Filmgeschichte wird gesammelt und erhalten, sondern der bestehende Kanon saniert. Populäres US-Kino der 1970er bis 1990er Jahre macht daher den Schwerpunkt der Fan-Restaurierungen aus, was schlicht in der Natur der Sache liegt. Nerdkultur bleibt Nerdkultur.

Interessant ist gleichwohl, dass selbst dabei noch Zwischenbereiche erschlossen werden. Wo nämlich einerseits bildungsbürgerliche Klassiker und andererseits Genreproduktionen obskursten Zuschnitts eine Luxusbehandlung durch wunschlos glücklich machende Labels wie Criterion oder Arrow Video erhalten, fallen bestimmte Filme der Hollywood-Majors durchs Raster – mittlere Erfolge oder gar Blockbuster, die als reine Katalogtitel verwaltet und in technisch armseligen Editionen auf den Markt geworfen werden.

 

Langfristig entstellte Filme

Das Spektrum der Lieblosigkeiten und Verschandelungen ist entsprechend groß, in der Regel stehen restaurative Fan-Projekte allerdings vor den immer gleichen Problemen. Sie haben es zu tun mit gekürzten, verlängerten oder auf sonstige Art inhaltlich bearbeiteten Filmen, zum Beispiel einem Director’s Cut, der nicht als gleichwertige Version existiert, sondern die ursprüngliche Fassung überwiegend ersetzt hat (etwa THX 1138 von George Lucas oder The Outsiders von Francis Ford Coppola).

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„The Outsiders“ von Francis Ford Coppola (c) Arthaus

Digitale Änderungen, die Entfernung irgendwelcher Fehler oder politisch nicht mehr zeitgemäßer Inhalte bilden einen weiteren Problembereich. Verschiedene Disney-Titel sind auf DVD, Blu-ray und jetzt im hauseigenen Streaming-Kanal um Anstößigkeiten bereinigt worden, die eine Dokumentation firmenhistorischer Fehltritte verunmöglichen. Terminator 2 muss in seiner neuen HD- und UHD-Version ohne erkennbare Stunt-Doubles auskommen. Phantasm – Das Böse glänzt in der amtlichen 4K-Restaurierung durch überarbeitete Spezialeffekte. Unmengen weiterer Beispiele ließen sich nennen.

Nicht weniger ärgerlich ist die bei Heimkinoveröffentlichungen mancher Studios geläufige Entfernung oder Reduktion von Filmkorn. Vermutlich sollen dadurch fragliche Erwartungen einer Käuferschicht erfüllt werden, deren Medienkonsum auf LCD- und LED-Fernsehern dank scheinbarer Bildverbesserer wie Rauschunterdrückung oder Bewegungsglättung ein ästhetisches Grauen ist. Hier geraten Fan-Restauratoren zudem an natürliche Grenzen: Filmkorn, ein wesentlicher Bildinformationsträger, kann nach Beseitigung nicht einfach wiederhergestellt werden.

Zum Glattbügeln von Filmen, deren Protagonisten im Anschluss lebenden Wachsfiguren ähneln, kommen darüber hinaus Eingriffe ins Farbschema. James Cameron verpasst allen HD-Abtastungen seiner Arbeiten einen neuen, ins Blaugrüne gehenden Look. Die ersten Teile von Matrix und Der Herr der Ringe bekamen auf Blu-ray ein den jeweiligen Fortsetzungen angeglichenes Colorgrading spendiert. Überhaupt werden Neuveröffentlichungen älterer Filme ständig mit farblichen Frischenzellenkuren „modernisiert“, welche neben der geschichtlichen Ignoranz massive Auswirkungen auf die Bilddramaturgie haben.

 

Einfallsreichtum und Geduld

Klandestine Fan-Projekte, die gegen solche und ähnliche Verschandelungen künstlerischer Werke gerichtet sind, müssen also unterschiedlich ansetzen. Sie restaurieren Filme oder kehren schlechte Restaurierungen um, überschreiben das Ausgangsmaterial oder kreieren ein gänzlich neues. In den seltensten Fällen handelt es sich bei den Beteiligten um fachkundige Profis. Eher thematisieren die eigenen Protokolle noch den autodidaktischen Ansatz, werden unerwartet aufgetretene Probleme und deren Lösungen transparent gemacht.

Für die geläufigsten Korrekturen und Umkehrungen (beispielsweise das Degrading, die Rekreation der originalgetreuen bzw. bekannten Farbestimmung eines Films) können verschiedenste Referenzquellen herangezogen werden – von längst ungeläufigen Endverbrauchermedien wie Betamax, VHS oder HD-DVD bis zu TV-Aufnahmen, Masterbandkopien oder tatsächlichen Filmrollen. Spezielles Equipment und überdurchschnittliche Bildbearbeitungskenntnisse braucht es definitiv, vor allem jedoch Einfallsreichtum und Geduld.

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VHS-Kasette (c) Tumi-1983 / CC 3.0 BY-SA via Wikimedia Commons

Wo genau die Projekte zu finden sind, bleibt hier natürlich unerwähnt – spätestens ihre mit diversen Zugangsbeschränkungen versehene Distribution betritt unerlaubte Bereiche. Digital vertrieben werden die großen Container-Dateien und Custom-Editionen zwar durchweg kostenlos: Disclaimer betonen die Nutzung zu nichtkommerziellen oder gar forschenden Zwecken, außerdem müssen User gelegentlich versichern, dass sie im Besitz des Originals sind, dessen Modifikation sie herunterladen wollen. Doch handelt es sich am Ende des Tages um Filesharing und damit die Verbreitung urheberrechtlich geschützten Materials.

 

Fan-Projekte als wichtiges Korrektiv

Ob inoffizielle Restaurierungen tatsächlich Copyright-Vergehen darstellen oder vielmehr dem Bereich von Fair Use zuzuordnen wären, kann andererseits ergebnisoffen diskutiert werden. Verantwortliche solcher Projekte sind keine professionellen Uploader, die erkennbar Gewinnabsichten verfolgen und Download-Seiten mit Veröffentlichungen fluten. Der namentlich bekannte Initiator der Despecialized Edition wurde bis heute nicht strafrechtlich verfolgt, im Gegenteil – er startete eine Kinokarriere und arbeitet mittlerweile an Filmen wie Terminator: Dark Fate und Gemini Man.

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Dreharbeiten zu „Gemini Man“ Ang Lee (c) Paramount Pictures

Ebenso wie die virtuellen Tauschbörsen privater Torrent Tracker sind die Online-Netzwerke der Fan-Restaurierungen schlicht Orte filmhistorischer Präservation. Sie unter dem Stichwort der Piraterie zusammenzufassen, würde ihre Arbeit als Korrektiv einer gerade im Streaming-Zeitalter sukzessiv rückläufigen Verfügungssituation herunterspielen. Denn insbesondere Netflix und vergleichbare Großanbieter signalisieren wenig bis keinerlei Interesse an einem über jüngere Kinogeschichte hinausgehenden Programm.

Entscheidend sind außerdem die Konsequenzen jener teils unhaltbaren Mediensicherungs- und Übertragungspolitik der Rechteinhaber, dessen oben genannte Missstände das digitale Angebot formen. Die Änderungen eines für HD-Quellen vermeintlich angemessen aufbereiteten Titels werden in Streaming-Kanäle eingespeist und zur Grundlage weiterer Vervielfältigung gemacht. Schlimmstenfalls stehen dann für künftige Zugriffe auf ältere Filme nicht mehr Kameranegative und – mindestens genauso wichtig – Interpositive, sondern lediglich digitalisierte Verfälschungen zur Verfügung.

Es kommt einem Ritterschlag gleich, zumindest aber merklicher Wertschätzung, wenn die Arbeit von Fan-Restauratoren sich letztlich auch in regulären Veröffentlichungen niederschlägt. So fügte der angesehene Heimkinoproduzent Arrow Video seiner Blu-ray von Waterworld den sogenannten Ulysses Cut bei, eine ursprünglich von Anhängern des Films erstellte Mischung aus Kino- und Extended-Fassung, die in Gewalt- und Nacktdarstellung sowie Sprache unzensiert ist. Am Ende wurde sogar der Projektname dieser jahrelang nur heimlich verfügbaren Version übernommen.

Meinungen

Bernd Dötzer · 09.01.2020

Wenn original Filme der original Filmemacher als Kunst gelten, sind Fanfilme und Fan Edits es ebenso... denn Kreativität steht jedesmal dahinter. Und wie auch bei jedem offiziellen Film kommt`s dann nur drauf an, ob das Fanwerk dem Zuschauer gefällt oder nicht. Daß man damit kein Geld verdienen darf, sollte jedem klar sein. Aber sich und anderen Interessierten kann man Freude damit bereiten - und das ist doch auch was Positives (ja, und auch manchmal für die Nachwelt eine Filmfassung, die es so nie geben würde, weiterreichen). Das deutsche STAR-WARS-Fandom hat da ebenfalls viele epische und langandauernde Projekte zu bieten! Beispiel: https://vimeo.com/291211045