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Kolumnen

Das Film-Glück gestern, heute und morgen

Ein Beitrag von Björn Helbig

Während wir damals noch die Videotheken der Region nach einem bestimmten Film absuchen oder teuer im Ausland bestellen mussten, sind sie heute nahezu grenzenlos verfügbar. Außerdem ist ihre technische Qualität hoch wie nie. Ein Grund zum Jubeln? Nicht unbedingt. Der Fortschritt hat auch seine Schattenseiten

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Kind im Kino
Kindheit im Kino

Die Weihnachtszeit ist für mich immer eine Zeit der Besinnlichkeit. Dann versuche ich, innezuhalten und nachzudenken. Aus aktuellem Anlass möchte ich hier über das Filmeschauen schreiben. Ich habe es geliebt. Jahrzehntelang. Sogar gebraucht. Doch heute tue ich es nicht mehr. Was ist passiert?

Damals, als kleiner Junge, waren Filme für mich etwas Heiliges. Ich habe mich als Kind zum Fernseher geschlichen, wenn meine Eltern nicht zu Hause waren. Die Monster, Mumien und Mutationen des NDR-Gruselkabinetts haben mich geprägt. Zu Schulzeiten haben wir heimlich VHS-Kassetten moralisch fragwürdigen Inhalts auf dem Schulhof getauscht. Dass mich die Kassiererin des Kinos meiner Heimatstadt trotz ausverkaufter Vorstellung noch in den Saal gelassen hat, um auf einem eigens für mich hinzugestellten Klappstuhl Star Wars — Das Imperium schlägt zurück zu sehen, gehört zu meinen wärmsten Kindheitserinnerungen. Heute ist alles anders. 

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Trailer zu Star Wars — Das Imperium schlägt zurück

Der Übergang war schleichend. Vieles daran hat sicherlich mit Änderungen der Lebensumstände zu tun, dem Erwachsenwerden, dem Job, der Familie; dennoch gibt es eine deutliche Zäsur: Seitdem durch Streamingdienste wie Netflix & Co quasi alles gleichzeitig verfügbar ist und es die einzige Lösung zu sein scheint, in der verfügbaren Zeit so viel wie möglich zu sehen, macht mir das Filmegucken keinen Spaß mehr. Vielleicht geht das nur mir so. Vermutlich aber nicht. Manchmal surfe ich eine Stunde lang durch diverse Onlinebibliotheken und versuche mich für den richtigen Film zu entscheiden — und gebe am Ende frustriert auf; oder ich schaue kurz in einen Film rein und nach wenigen Minuten überkommen mich Zweifel, ob ich wirklich die richtige Wahl getroffen habe. 

Doch es ist nicht nur die größere Verfügbarkeit — auch das Produkt selbst scheint sich gewandelt zu haben. Man weiß heute immer besser, was den Menschen gefällt, darüber geben nicht nur Studien zum Kaufverhalten Aufschluss. Auch der Konsument arbeitet mit allen Möglichkeiten der digitalen Welt daran, sein Konsumverhalten so gut es geht zu vermessen und die Daten Gott und der Welt bereitzustellen. Schnell noch ein Herzchen hier, ein Sternchen da. Wer x mochte, wird auch y mögen — dieser Satz stimmt dank uns fleißiger Bienchen immer häufiger. Der kleine Junge von damals ist ein in seinen Filmgewohnheiten perfekt vermessener Erwachsener geworden, dessen Wünsche sich in Nullen und Einsen wiedergeben lassen.

Doch ich glaube, es ist nicht nur die große Auswahl, die ständige Verfügbarkeit dieser perfekt auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnittenen Produkte, die mir den Filmegenuss vergällt. Es ist auch das grotesk vereinfachte Bild von mir selbst, das mir in der Vielzahl maßgeschneiderter Blockbuster-, Arthouse-Filme und zugehöriger Empfehlungen entgegenblickt. Nein, das bin ich nicht, schreit es still in mir. Ich bin mehr als der Algorithmus, als der ich betrachtet werde. Und nur weil mir x gefällt, gefällt mir y schon gar nicht! Wirklich nicht? Leider doch. Nicht nur der Film und seine Distributionsmechanismen haben sich geändert, auch wir Zuschauer sind in den vergangenen Jahren andere geworden. Damals war jeder Film ein Unikat und sein Betrachter ein Individuum. Heute gibt es weder Unikate noch Individuen, es gibt nur noch wiederkehrende Muster in dem Strom riesiger Datenmengen, deren Analyse dazu dient, das System zu perfektionieren, sprich: passende Produkte für ein stetig wachsendes Publikum bereitzustellen. Und das mit Erfolg. Noch nie sahen Filme und Serien so gut aus wie heute. Die wenigen Gestrigen, denen dieser Mechanismus die Freude raubt und die aus dem Raster fallen, sind für das funktionierende System zu vernachlässigen. Wo kein Problem ist, braucht es auch keine Lösung. 

Doch zumindest ich für mich brauche etwas. Ich weiß nur nicht genau was. Ich habe das Gefühl, etwas verloren zu haben. Wie kann ich es zurückbekommen? Geht das überhaupt? Ich bin sicher, es gibt Menschen, die mein Unbehagen teilen. An diejenigen, denen es ähnlich geht, richtet sich dieser Text. Die Weihnachtszeit ist eine Zeit der Besinnlichkeit und ich würde gerne alle, die sich angesprochen fühlen, einladen, in den nächsten Tagen ein wenig innezuhalten und darüber nachzudenken, was ihnen zum Film-Glück vergangener Tage fehlt. Und was sie vielleicht tun können, damit es wieder so schön wird, wie es wahrscheinlich niemals war.

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