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Ewige Krise – Hollywood und die Gründe für teure Flops

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

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King Arthur

Die Krise ist in der Krise. Nur noch selten ist sie heute, als was sie immer definiert war: ein vorübergehender Moment größter Not, Teil des Übergangsprozesses in eine neue Situation. Krisen werden nicht mehr gelöst, sondern verschwinden entweder weitestgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung (Griechenland, Finanzkrise) oder werden zum neuen Normalzustand (Klimawandel). Die oft postulierte Krise Hollywoods bewegt sich irgendwo zwischen diesen beiden Polen: Sie ist zum Grundrauschen der Branchenberichterstattung geworden und bleibt meist latent, wird aber mittlerweile fast ritualisiert zu bestimmten Anlässen und Jahreszeiten neu beschworen.

Einer dieser Anlässe ist mittlerweile das alljährliche Ende der Blockbuster-Saison. In jedem September, wenn der Sommer endgültig abgeschlossen ist, wird abgerechnet. Auch in diesem Jahr häufen sich die Rufe der Kassandren aufs Neue. Filme wie King Arthur: Legend of the Sword, Valerian: Die Stadt der Tausend Planeten, Die Mumie, Baywatch oder Der dunkle Turm blieben weit hinter den Erwartungen der Studios zurück. Branchenblatt Variety sprach von „offiziell schlechtesten Einspielergebnissen im Sommer seit über einem Jahrzehnt“, für den Hollywood Reporter war der Besucherschwund gegenüber dem Vorjahr „historisch“, die Bild-Zeitung rief den „Mega-Flop-Sommer“ aus und fragt „Ist Hollywood kaputt?“. 

Soweit also alles wie gehabt — kein Unterschied zum vergangenen Jahr. Oder zu 2014, 2013 und so weiter, bis zum Anbeginn der Kino-Zeit. Von der Sinnhaftigkeit einer saisonal begrenzten Betrachtungsweise einmal ganz abgesehen — jedes Jahr hatte seine Flops, aus denen man einen erfolglosen und schlechten Sommer errechnen könnte. Im Sommer des Jahres 1950 schrieb Kritiker Manny Farber in seinem Essay Movies are worse than ever von den „versiegenden Einnahmen“, welche dafür sorgten, dass Filme „schlechter als jemals zuvor“ seien. Und wer die Variety-Ausgaben von Juni bis Dezember 1916 studiert, kann nachvollziehen, wie sich D. W. Griffith‘ kostspieliges Kostümspektakel Intolerance zu einem der ersten großen finanziellen Desaster Hollywoods entwickelte und damit nicht alleine stand. Die damals vorgeschobenen Gründe erscheinen heute widersprüchlich: In der Septemberausgabe wird der Film kritisiert, er enthalte „zu viele Geschichten für Filmenthusiasten“. Bereits eine Ausgabe später wird Herbert Brenons (heute verlorenes) Fantasy-Drama A Daughter of the Gods dafür gelobt, den „gewaltigen Vorteil“ gegenüber Intolerance zu haben, dass es tatsächlich „mehr Geschichte als Action“ bietet. Rückblickend erscheint die Erklärung überzeugender, dass das pazifistische Drama nicht in den Zeitgeist um den kurz bevorstehenden Eintritt in den ersten Weltkrieg („The Great War“) passte. Zeitnah getroffene Analysen können unter einer gewissen Betriebsblindheit leiden. 


(Filmstill aus Intolerance. Copyright: Vertrieb) 

Interessant ist, wenn man die Austauschbarkeit der alljährlichen Untergangsmeldungen einmal erkannt hat, genau das: Welche immer neuen Metriken und vor allem Ursachen für die Schreckensnachrichten gefunden werden. Die Krise wird in jedem Jahr aufs Neue betont, nur ihre Beschaffenheit und Ursachen scheinen sich zu ändern. Mal werden einfach finanzielle Misserfolge aufgezählt, mal Gesamteinnahmen; mal der amerikanische, mal der internationale Markt ausgewertet; mal geht es um Zuschauerzahlen, mal um Einspielergebnisse. Auch die Vergleichsgrößen wechseln willkürlich, gehen stellenweise Jahrzehnte zurück, beziehen sich nur auf das vergangene Jahr oder konzentrieren sich auf denselben Monat im vorherigen Jahr. 

Die Qualität der Filme ist dabei, zumindest für Produzenten und CEOs, eigentlich nie ausschlaggebend. Wer würde schon freiwillig zugeben, dass er seinem Publikum Mist vorsetzt? Erstaunlicherweise geht es jedoch auch in den Branchenanalysen selten um die Qualität der Filme.

Die Krise ist, wie der Historiker Reinhart Koselleck schreibt, oftmals ein „Legitimationsmittel politischen Handelns“. Auf eine Notlage muss reagiert werden, oft rechtfertigt sie Schritte, die unter normalen Umständen wohl nicht akzeptiert worden wären. Man denke nur an sogenannte Notstandsgesetze. Das Sprechen von der Krise hat Methode: Journalisten generieren mit apokalyptischen Superlativen Klicks und Auflage, aber auch Produzenten schaffen damit eine Zwangssituation. Das Scheitern ist eine Waffe, denn sie ermöglicht die Suche nach Schuldigen.

Das war in diesem Jahr etwa die Aggregator-Plattform Rotten Tomatoes. Die Plattform sammelt Kritiken zu Filmen, teilt sie in „positiv“ und „negativ“ ein, errechnet den prozentualen Anteil der eher wohlwollenden Texte und vergibt daraus Gütesiegel von „rotten“ (unter 60%) bis hin zu „certified fresh“ (über 75%). Sie ist Eigentum von Fandango Media und damit Teil des Medienkonglomerats NBCUniversal, zu dem unter anderem auch Universal Pictures gehört. 

Regisseur und Produzent Brett Ratner (Rush Hour) erklärte Rotten Tomatoes zu einer für das Filmgeschäft zerstörerischen Kraft und bemängelte die Intransparenz der Plattform sowie die Reduktion von Filmkritik auf reine Zahlenwerte.

In Teilen hat Ratner recht: Man sollte der Plattform kritisch gegenüber stehen, ihre Dienstleistung besteht nicht nur aus einem harmlosen Verwaltungsakt, der ein breites Publikum in mündige Konsumenten verwandeln soll. Das scheint schon allein durch die Zugehörigkeit zum Ticket-Anbieter Fandango unwahrscheinlich. 

Als Sündenbock für die Probleme der Branche eignet sie sich jedoch auch nicht: Zum einen kann man davon ausgehen, dass gerade dem unternehmerischen Teil Hollywoods eigentlich wenig an einem niveauvollen, differenzierten kritischen Diskurs liegt. Sie lieben die Kritik, wenn sie sich organisch in ihre Vermarktungsstrategie einfügt, O-Töne und hohe Sternewertungen für Plakate liefert und ansonsten nicht weiter auffällt. 


(Filmstill aus Baywatch. Copyright: Paramount Pictures Germany)

Was passiert, wenn das Gegenteil der Fall ist, zeigte sich auch in diesem Sommer wieder. Auf negative Kritiken für die idiotische Serien-Adaption Baywatch reagierte Darsteller Dwayne „The Rock“ Johnson etwa mit Pöbeleien, neben Beleidigungen wurde wieder einmal die vermeintliche Diskrepanz zwischen Kritikern und „den Fans“ bemüht — ein Konstrukt, das nie eine Daseinsberechtigung besaß. 

Zum anderen scheint keine klare Korrelation zwischen den Bewertungen der Seite und Erfolg an den Kinokassen zu bestehen, wie Datenanalyst Yves Bergquist zeigen konnte. Aber selbst falls dem so wäre, spräche das noch nicht automatisch gegen die Plattform. 

Ganz unabhängig vom Wahrheitsgehalt von Ratners Aussagen war ihre Wirkung schnell und umfassend. Ein Artikel in der New York Times beschreibt den lawinenartigen Effekt, den Ratners Urteil nach sich ziehen sollte: Nicht nur Studiobosse und Produzenten beklagten den Einfluss der fauligen Tomaten, selbst Onlinemagazine wie Deadline Hollywood stimmten — unreflektiert industriehörig — in den Kanon aus Kritik und Verwünschungen ein, welche die Seite seitdem erreicht. 

Das so umfassende Teile der Verwaltungsebene in Hollywood bereit sind, die Schuld auf eine Onlineplattform abzuwälzen, zeigt vor allem eines: Es besteht ein großes Bedürfnis, von den eigenen Verfehlungen abzulenken. Von der fehlenden Kreativität bei Massenprodukten, von der eigenen Distanz zum Publikum, von der fehlenden Risikobereitschaft. Dabei geht es nicht einmal nur um die Frage, ob die Filme letzten Endes gut oder schlecht sind, sondern auch darum, dass man oft das Gefühl bekommt, keine aktive Fehlersuche, sondern nur ein immer neues Verschanzen in der eigenen Panik zu erleben. Immerzu wird nur eine konservative Vorsicht durch eine andere ersetzt.

Die vergangenen Jahre waren beispielsweise von einer klar erkennbaren Strategie geprägt: Für neue, große Franchisefilme wurden junge, unerfahrene Indie-Regisseure engagiert. Filmemacher wie Carl Rinsch, Marc Webb, Joseph Kosinski, Gareth Evans, Colin Trevorrow oder James Gunn wurden plötzlich mit dem hundertfachen der Budgets ausgestattet, mit denen sie zuvor gearbeitet hatten. Die Hoffnung der Produzenten war zum einen, diese Regisseure besser beherrschen zu können als ihre erfahrenen Kollegen, die bereits eine klare, eigene Vision entwickelt hatten, aber zum anderen auch, die Blockbuster-Maschinerie vorsichtig mit frischem Blut zu ölen. Diese Epoche scheint vorbei, nachdem gleich zwei Star-Wars-Projekte in den vergangenen Wochen solchen „Neueinsteigern“ zugunsten erfahrener „Journeymen“-Regisseure (J. J. Abrams, Ron Howard) entzogen wurden. Alles deutet darauf hin, dass sanfte, vertraute Stimmen wie sie wieder an Gewicht gewinnen. 

Solche Schritte sind wohl auch Folge der ewigen Krise in den Köpfen, die angesichts des nahenden Abgrundes zur großen Umsicht mahnt, die Ergebnis und Ursprung der endlosen Unkenrufe zugleich sind. Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung: Die Krise dient als Rechtfertigung für alles, was sie weiter vorsetzt. Sie perpetuiert sich selbst, eine Ewigkeitsmaschine des Mediokren, angetrieben von den eigenen Untergangsfantasien.   

Auch in den folgenden Jahren werden die Krisen- und Todesmeldungen über das Kino nicht nachlassen. Man sollte sich bei jeder einzelnen fragen, welchem Zweck sie dient, wer in ihrem Modell die Schuld trägt. Vielleicht sind es bald wieder Kritiker, vielleicht aber auch der Zuschauer selbst, vielleicht China, das Fernsehen oder sogar Donald Trump. Sicher ist nur: Die Krise bleibt — ganz unabhängig davon, wie viel Leute ins Kino gehen oder wie gut die Filme sind.

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