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Streaming-Tipp des Tages: The Curse

Ein Beitrag von Mathis Raabe

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Still zu The Curse (TV-Serie, 2023)
The Curse (TV-Serie, 2023)

Im Interview mit IndieWire erzählt Nathan Fielder, ein reales Erlebnis habe die Serie inspiriert, die er zusammen mit Benny Safdie für Paramount geschrieben hat. Eine Frau habe ihn auf der Straße nach Geld gefragt. Als er sich entschuldigte, er habe kein Geld dabei, habe sie ihn verflucht. Das habe ihm solches Unbehagen bereitet, dass er sofort zum nächsten Automaten ging, damit sie den Fluch wieder aufhebt.

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Bei The Curse geht es nicht wirklich um Übersinnliches. Der titelgebende Fluch entpuppt sich als TikTok-Trend. Und doch hängt dieses Unbehagen, von dem Fielder spricht, fortan über jeder Szene. Dabei nimmt die Serie die Perspektive zweier höchst unsympathischer Menschen ein: Die frisch verheirateten Asher (Fielder selbst) und Whitney (Emma Stone) sind auf dem Immobilienmarkt tätig, nur geben sie dem Ganzen einen sozial-ökologischen Anstrich. In einer strukturschwachen Kleinstadt in New Mexico verkaufen sie besonders energieeffiziente „Passivhäuser“ und betonen bei jeder Gelegenheit, keine bösen Gentrifizierer zu sein, sondern die Menschen, in deren Nachbarschaft sie gebaut haben, ganz doll lieb zu haben. Um das PR-Narrativ zu unterstützen, drehen sie mit Hilfe von Dougie (Benny Safdie) eine Reality-TV-Show.

Schon bald entsteht der Eindruck, dass die beiden so gut im Lügen sind, dass sie sogar sich selbst täuschen. Auch miteinander, auch wenn die Kameras aus sind, unterhalten sie sich in hohlen Phrasen, können zwischen privater Persönlichkeit und öffentlichem Auftreten kaum noch unterscheiden. Das falsche Lächeln ist wie eine zweite Haut. Emma Stone spielt das brillant: Man kann spüren, wie ihre aufgesetzten Gesichtszüge oft kurz vorm Entgleisen sind, welch große Anspannung sich dahinter verstecken muss. Whitney will sich mit den Menschen im Ort gemein machen, verleugnet ihre Privilegien – das Kapital für ihr Business ist von den Eltern geliehen. Und sie will für ihren Beitrag zur Innenarchitektur der Häuser unbedingt als Künstlerin verstanden werden. Auch das ist ja ein Aspekt von Gentrifizierung – Menschen ziehen in arme Gegenden, weil sie den Lebensstil der Arbeiter*innen und der geringverdienenden Künstler*innen romantisieren und fetischisieren. Auch Mode sei Kunst, hört man in den letzten Jahren oft, auch Design sei Kunst. Sicherlich verdienen diese Felder analytische Betrachtung. Whitneys Arbeit und die der indigenen Künstlerin Cara (Nizhonniya Luxi Austin), deren Anerkennung und Bestätigung sie in der Serie krampfhaft sucht, könnten aber inhaltlich kaum weiter voneinander entfernt liegen.

Nathan Fielders Asher dagegen ordnet nach und nach alle Bedürfnisse und Eigenheiten der PR unter. Er will nur noch gefallen. Er schneidet sogar seine Interaktionen mit anderen Menschen zu Trainingszwecken mit. Nicht nur gegenüber seinen Mietern und dem Publikum seiner Reality-TV-Show, auch in seiner Ehe ist er so sehr auf Außenwahrnehmung bedacht, dass sich sein Selbst schließlich wortwörtlich auflöst. Fielder hat zuletzt The Rehearsal für HBO gedreht. Da ging es auch schon um einen Mann an einem Fernseh-Set, der seine Außenwirkung zu kontrollieren versucht. Wie sich die Persönlichkeiten von Menschen gerade vor dem Hintergrund von Reality-TV und Social Media verändern und auflösen, zu bloßen Bildern werden, das scheint sich als Thema durch seine Arbeit zu ziehen. Medialität spielt eine große Rolle: Whitney und Asher sind so schlecht in authentischer Kommunikation, dass sie schließlich sogar ihre Eheprobleme nur vor laufender Kamera zu artikulieren in der Lage sind.

The Curse ist eine Comedy-Show. Als Drama würde sie nicht funktionieren, denn man kann diese Figuren nicht leiden. Aber es gibt auch keine Witze, keine Punchlines im klassischen Sinne. Der Humor liegt darin, wie heuchlerisch die Figuren sind, wie sie lügen und aneinander vorbei kommunizieren, wie weit sie zu gehen bereit sind, um ein Bild aufrechtzuerhalten, und wie sie einen dabei unangenehm an Menschen erinnern, die man kennt, oder vielleicht sogar an einen selbst. Die Serie ist voller Paradebeispiele für das, was man auf Neudeutsch „Virtue Signaling“ nennt – immer wenn Whitney etwa auf die indigenen Menschen trifft, die in der Gegend wohnen, ist sie voller Worthülsen. Amazing! Interesting! So strong! Der interessiert-einfühlsame Blick ist gut einstudiert – den Kopf leicht zur Seite geneigt, den Mund halb offen, gleich kommt wieder ein falsches Lachen. Als Zuschauer*in lacht man währenddessen nicht; man schaudert. The Curse ist Cringe-Comedy, deren Verpflichtung zum Cringe so groß ist, dass sie auch als Horror durchgehen würde. Was im grandiosen Finale passiert, soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Eine solche existenzielle Angst hat man lang nicht gespürt.

The Curse kann man bei Paramount+ oder über den Kanal von Paramount+ bei Prime Video sehen.

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