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Streaming-Tipps

Couch-Perle: Lola

Ein Beitrag von Julian Stockinger

Jacques Demy ist gleich mit mehreren Filmen auf der Streaming-Plattform Mubi vertreten. Neben seinen knallbunten Musicals mit Catherine Deneuve, findet sich dort auch sein in schwarz/weiß gehaltener Erstlingsspielfilm „Lola“. Eine Empfehlung für Fans und jene, die es werden wollen.

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Lola_Demy

Weinen wer kann. Lachen wer will. Mit diesem chinesischen Sprichwort, das ohne Kontext vieles und nichts bedeuten kann, eröffnet Jacques Demy Spielfilmdebüt LOLA. Pseudo-weise Alltagsfloskeln wie „Wo ein Wille da ein Weg“ und semi-aufbauende Gescheitheiten wie „Lache und die ganze Welt lacht mit dir, weine und du weinst allein“ tun sich schnell als Assoziationen auf. Lachen ist gut, aber zum Weinen geh bitte in den Keller! Au revoir tristesse! Ist es das, was Demy – ein Regisseur, der es wie kein Zweiter schafft, die größten Gefühle mittels plakativster audiovisueller Wohltaten zu transportieren – uns sagen will? Er, der ein Faible für sensible Männer und willensstarke Frauenrollen hat und seine Werke stets auf dem schmalen Grat zwischen Melancholie und Kitsch baut? Wohl kaum.

Vieles an Lola weist schon auf spätere und bekanntere Filme Demys hin, auch wenn Die Regenschirme von Cherbourg  und Die Mädchen von Rochefort knallige Farben als Markenzeichen vor sich hertragen. Und auch wenn sein Spielfilmdebüt, im Gegensatz zu den eben genannten, nicht wirklich als Musical bezeichnet werden kann, merkt man eine diesbezügliche Affinität des Regisseurs. Nicht nur, weil fast durchgehend Musik zu hören ist und auch getanzt und gesungen wird. Und nicht nur, weil Demy es liebt, bestimmte Figuren von bestimmten musikalischen Themen begleiten zu lassen. Selbst die Dialoge wirken auf die Hintergrundmusik abgestimmt und es erscheint alles andere als zufällig, dass sich vieles des Gesagten reimt. Kurz, Demy taktet strikt und um Zeit geht es auch auf narrativer Ebene.

Lola ist ein Film über Zeit. Es geht weniger um den historischen Zeitraum, in dem er spielt, als um individuelles Zeitempfinden und die unterschiedlichen Methoden, sie zu füllen. Im Zentrum stehen zwei Menschen. Lola, die eigentlich Cécile heißt und als Tänzerin in einem Etablissement für in Nantes haltmachende Matrosen arbeitet. Oft unter Stress, nicht zuletzt, weil sie jung Mutter geworden ist, behauptet sie, dass die Zeit nur so verfliegt. Und dann gibt es Roland, der seinen Job verloren hat, weil er es geschafft hat, an drei Tagen fünf Mal zu spät zu kommen. Die Freiheit sei ihm zu wichtig, als dass er immer und überall pünktlich erscheinen könne. Er behauptet, dass ihn das Leben in Nantes anödet, dass er vor Langeweile stirbt und eigentlich nur wegwill.

Roland weiß, was ihn von jenen Menschen unterscheidet, die mit ihrem Leben in Nantes zufrieden sind. Es fehlt ihm an einem Werk, an dem er arbeitet, an einer Beschäftigung, mit der er sich die Zeit vertreibt. Wie etwa Jeanne, die im Café leidenschaftlich an Bildern malt, während sie auf ihren Sohn Michel wartet. Oder Lola, die auf den gleichen Mann wartet, der vor ein paar Jahren das Weite gesucht hat, nachdem er sie geschwängert hat. Seitdem ist sie mit Arbeit, Erziehung und dem Abschleppen von Matrosen, die Michel ähnlich schauen, beschäftigt. Ja, es geht viel um Frauen, die auf Männer warten. Wie auch die in der Stadt abhängenden Seemänner meist jemanden zu Hause haben, der oder die ihre Rückkehr erwartet.

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Einer von ihnen ist Frankie. Ein US-Amerikaner, dessen Französisch zum Niederknien ist. Als würde er den Text vorlesen, ohne selbst auch nur ein Wort davon zu verstehen, so amerikanisch hört sich sein Französisch an. Frankie und seine Kollegen erleben die Zeit in Nantes komplett anders als die Stadtbevölkerung. Für sie handelt es sich um Freizeit, die zwischen Ankunft und Abfahrt am Hafen, so genussvoll wie möglich gestaltet werden muss. Und am genussvollsten tanzt es sich natürlich bei und mit Lola. Es ist auch eine kleine aber umso wichtigere Szene mit Frankie, wo Form und Philosophie des Films am deutlichsten in Symbiose treten. Die einzige Zeitlupen-Sequenz der gesamten Spieldauer, die einen kurzen Moment des Glücks darstellt, wo die Zeit vielleicht nicht stehen bleibt, aber ihr Verrinnen doch an Bedeutung verliert. Und wenn auf das rauschhafte Vergnügen am Rummelplatz sofort eine schmerzhafte Trennung folgt, dann sieht man förmlich Jacques Demy vor sich, wie er mit angezogenen Mundwinkeln auf seine Armbanduhr tippt und damit vermutlich sagen möchte, dass alles vergänglich ist, außer vielleicht die Zeit an sich.

Aber wie Roland gegen Ende dieses Nouvelle Vague Meisterstücks behaupten wird, ist das auch irgendwie egal. Wir waren immer allein und werden es bleiben. Worum es geht, ist nicht wie oder mit wem wir die Zeit verbringen, sondern dass wir das, was wir tun, auch tun wollen, denn „es macht einen sogar glücklich, einfach glücklich sein zu wollen“. Und somit kann das chinesische Sprichwort von dem Verdacht, moralistischer oder gar neoliberaler Tendenzen das Wort zu reden, freigesprochen werden. Mit Demy entfaltet es sich vielmehr rückwirkend als eine zarte, existenzialistische Melancholie.

Lola gibt es im Moment bei MUBI.

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