Eigentlich bin ich ja nicht so der Seriengucker. Das liegt an meiner beschränkten Zeit, aber auch an dem Eindruck, dass bei vielen Serien gerne mal Zeit geschunden wird, um die letzten Episoden vorm Staffelfinale künstlich zu zerdehnen. Doch es gibt auch Ausnahmen und im besten Falle frage ich mich dann nach dem Ende beispielsweise einer achtteiligen Miniserie, warum diese schon zu Ende gegangen ist, weil ich doch gerne noch ein wenig Zeit in dem Kosmos verbracht hätte, in den sie mich entführt hat.

The Brothers Sun von den Showrunnern Brad Falchuk und Byron Wu hat mich diesbezüglich kalt erwischt – und das liegt bestimmt auch, aber nicht nur am furiosen Auftakt, bei dem es Charles (Justin Lie), der Sohn des taiwanesischen Triadenbosses Big Sun (Johnny Kou) mit einer Schar maskierter Angreifer aufnehmen muss, die ihn ausgerechnet während einer Backsession im luxuriösen Apartment angreifen, wobei einige Küchenutensilien nicht gerade ihrem ursprünglichen Zweck entsprechend Verwendung finden. Zeitgleich hat sein Vater weniger Glück und fällt einem unbekannten Attentäter zum Opfer, der ihn mit einer Kugel ins Koma befördert. Was allen Beteiligten verdeutlicht, dass die Triade der „Jade Dragons“ unter heftigem Beschuss steht und jemand ganz offensichtlich einen Bandenkrieg anstoßen will. Nur wer?

Charles wird daraufhin in die USA gesandt, wohin Eileen „Mama“ Sun (großartig: Michelle Yeoh) vor vielen Jahren mit dem jüngsten Sohn Bruce (Sam Song Li) gesiedelt ist, um die beiden aus der Schusslinie zu nehmen. Dort führt sie nach außen hin ein Leben als einfache Krankenschwester und kümmert sich liebevoll und ein klein wenig überbehütend um Bruce, der von seiner kriminellen Herkunft nichts weiß und zwischen seinem eher lustlos verfolgten Studium der Medizin und heimlichen Plänen für eine Karriere als Improtheater-Künstler schwankt. Weil Eileen über detaillierte Kenntnisse der Verbindungen und Strukturen aller taiwanesischen Triaden verfügt, was ihr den Spitznamen „die Rollkartei“ eingebracht hat, steht zu befürchten, das die mysteriösen Angreifer auch im fernen L.A. zuschlagen könnten – und genau das geschieht prompt. Alsbald muss sich Bruce also nicht nur mit seiner Familie auseinandersetzen, die so ganz anders ist, als er sich das bisher dachte, sondern auch mit einem schwerstkriminellen Bruder und dessen schräger Entourage, maskierten Angreifern mit roten Bändern als Erkennungszeichen, der ersten Verliebtheit, den eigenen Ambitionen, einer übergriffigen Mutter und einem schrägen Mah-Jongg-Club, der als eine Art allwissendes Lexikon und vielstimmig-schwatzhaftes Orakel fungiert. 

Netflix

Die achtteilige Miniserie hat viele Gesichter: Sie beginnt als knallharte Actionkomödie, wechselt zum durchaus sensibel inszenierten Familiendrama mit humoristischen Untertönen, widmet sich der entstehenden Beziehung zwischen zwei Brüdern, die sich nicht nur völlig fremd, sondern auch vollkommen unterschiedlich sind, bietet furiose Kampfszenen, schräge Ideen, liebenswert-schräge Charaktere und versteht es, die Spannung ebenso wie den hohen Unterhaltungswert über die ganze Zeit zu halten.

The Brothers Sun ist seit dem 4. Januar 2024 bei Netflix zu sehen. Eine zweite Staffel ist noch nicht offiziell bestätigt, aber es gibt schon reichlich Gerüchte. Lassen wir uns überraschen.