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Interviews

Regisseurin Judith Beuth über „Der Wunsch"

Ein Beitrag von Niklas Michels

Dokumentarfilmerin Judith Beuth gewann mit ihrem Langfilmdebüt beim Max Ophüls Preis in Saarbrücken prompt den Publikumspreis. Im Gespräch mit Niklas Michels spricht sie über die Emotionalität im Entstehungsprozess und in der offenen Rezeption ihres Films „Der Wunsch“.

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Filmstill zu Der Wunsch (2024) von Judith Beuth
Der Wunsch (2024) von Judith Beuth

Kino-Zeit: Frau Beuth, ihr Film begleitet Maria und Christiane auf dem Weg mit ihrem Kinderwunsch. Sie haben ein sehr intimes Thema gewählt und einen ausgesprochen respektvollen Umgang gefunden. Sie kennen Maria seit der Kindheit; wie entstand die Idee, über das Paar einen Film zu machen?

Beuth: Maria und ich sind befreundet, seitdem wir 13 Jahre alt waren. Wir sind uns auf dem Gymnasium begegnet. Christiane habe ich viele Jahre später kennengelernt, als die beiden sich verliebt haben. Da war Maria 24 und Christiane 32 Jahre alt. Wenn wir Zeit zu dritt verbrachten, gab es Momente, wo ich die beiden beobachtet habe und Filmszenen gesehen habe. Das reicht aber natürlich noch nicht für einen Film, wenn ich eine Liebesgeschichte interessant finde. Viele Jahre später dann haben die beiden mir von ihrem gemeinsamen Kinderwunsch erzählt und da habe ich plötzlich auch die Filmgeschichte gesehen; eine Geschichte, wie ein lesbisches Paar sich einen Kinderwunsch erfüllen möchte, und wie anhand dessen auch ihre Liebesbeziehung erzählt werden kann. Eine lustige Anekdote dazu ist, dass Christiane schon vorher irgendwann mal zu Maria sagte, da war ich nicht dabei: Das könnte doch ein interessantes Thema sein für Judith als Dokumentarfilmerin. Es ist schön, dass das von beiden Seiten als Idee entstanden ist.

„Das Zentrale war immer die Liebesgeschichte.“

Kino-Zeit: Würden Sie sagen, Der Wunsch ist eine Liebesgeschichte? 

Beuth: Ja. Für mich war das immer die zentrale Geschichte, auch wenn es viel darum geht, was ein Paar mit diesen vielen Herausforderungen, die damit verbunden sind, sich diesen großen und wichtigen Lebenswunsch zu erfüllen, erlebt. Trotzdem ist der Kern der Erzählung immer die Liebesbeziehung, die ja erst anhand dieser Erfahrungen erlebbar wird. Die Nähe zwischen uns war die Voraussetzung dafür, dies so emotional wahrhaftig begleiten zu können.

Kino-Zeit: Manche würden das vielleicht außer Acht lassen in der Rezeption des Films, weil das Thema des Kinderwunsches so viel Raum einnimmt. 

Beuth: Das war, besonders in der Montage, eine der großen Herausforderungen, die Balance zu finden. Wir haben während des Drehens vor allem viel reagieren müssen und es gab unglaublich viele Momente, in denen es erstmal darum ging, diese Kinderwunsch-Erzählung in den Schritten und Reisen, Hoffnungen und Enttäuschungen festzuhalten. Im Montageprozess war es vordergründig, die Struktur zu finden. Gleichzeitig war der Kern für mich immer, was das alles mit der Liebesbeziehung macht – und das musste dann auch die entsprechende sanfte Kraft im Film bekommen.

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Kino-Zeit: Frau Beuth, ich würde gerne über Zeitlichkeit in Ihrem Film sprechen. Zehn Jahre vergehen im Verlauf des Filmes. War das Einfangen von Veränderungen über die Zeit hinweg von Anfang an etwas, was Sie interessiert hat? 

Beuth: Als wir begonnen haben, wussten wir natürlich nicht, wie lange das Ganze gehen würde. Wir haben mit zwei bis drei Jahren gerechnet und dass es dann womöglich ein Kind gibt. Es gab allerdings viel mehr Hindernisse als erwartet und auch längere Pausen, die für Maria und Christiane wichtig waren, um Dinge zu verarbeiten. Nach einigen Jahren habe ich verstanden, dass der Film jetzt eine neue Qualität bekommt, eben weil die Zeit und die Erfahrungen beginnen, sich einzuschreiben. Es war ein sehr feiner, gradueller Prozess von Entwicklungen und es ist gar nicht leicht zu verstehen, wie und wann welche Erfahrungen eine Beziehung oder Menschen verändern oder – in diesem Moment des Erkennens ja meist schon – verändert haben. Aus eigenen Beziehungen kennt man das vielleicht, manche Dinge sieht man erst durch eine gewisse Distanz. Die Veränderungen waren auch nicht so offenliegend, sondern mussten bspw. in Gesprächen herausgearbeitet werden.

Kino-Zeit: Ich hatte das Gefühl, zwischen Maria und Christiane verändert sich sehr viel. In Blicken, in der Interaktion miteinander. Jedoch fiel eine Veränderung der Welt, in der sich die beiden bewegen, viel weniger auf. Haben Sie das auch so wahrgenommen?

Beuth: Die gesetzliche Situation – um das mal an etwas festzumachen – hat sich natürlich schon verändert. Am Anfang mussten die beiden noch nach Dänemark reisen, um eine Insemination [Befruchtung der Eizelle mit Sperma im Körper der Frau, Anm. d. Red.] durchzuführen und fünf Jahre später war das bereits viel leichter zugänglich in Deutschland. Zum Ende des Films habe ich oft gedacht, wenn das damals schon möglich gewesen wäre für Maria und Christiane, wäre das Alter nicht so ein großer Gegenspieler gewesen. 

Wie man sich gesellschaftlich akzeptiert fühlt als lesbisches Paar, hat sich vielleicht nicht grundlegend verändert – und hat sehr viel damit zu tun, wo man lebt –, aber wir fanden es interessant, dass bei den externen Filmbeschreibungen von Der Wunsch kaum hervorgehoben wird, dass es um ein lesbisches Paar geht. Das wäre vor zehn Jahren noch anders in den Vordergrund gestellt worden. Und das sagt eigentlich eine ganze Menge aus.

Kino-Zeit: Nach meiner Wahrnehmung gilt selbiges für die Querschnittslähmung von Maria. Auf den Gängen der Kinos wurde dies nicht zum Thema des Films erklärt. Beides scheint kein Etikett mehr zu sein, das den Rest verdrängt. 

Beuth: Ja, das hat mich total gefreut – weil es ja auch nicht unser Thema war. Andererseits habe ich vor kurzem ein Interview für ein Deutschlandfunk-Format gegeben. Ich habe es mir noch nicht angehört, aber die Überschrift der Sendung und der Podcastfolge lautet dort: „Kinderwunsch und querschnittsgelähmt“. Es ist schon interessant, wie jeder unterschiedliche Sachen hervorhebt. Im Großteil dessen, wie der Film besprochen wurde, war das allerdings kein Hauptthema und das freut mich sehr.

© Kloos & Co.

Kino-Zeit: Wie hat sich Ihre Sicht auf das Projekt verändert in diesen zehn Jahren?

Beuth: Das ist nicht leicht zu beantworten, da es ein so langer Prozess war und ich bis gerade noch in der intensivsten Arbeitsphase steckte, mit all dem Material in meinem Kopf. 

Ich hatte auf jeden Fall immer das Gefühl, es brauche eine Art Endpunkt. Unabhängig davon, ob es das Kind ist, sollte es eine Form von Abschluss geben. Die ersten Jahre waren noch sehr optimistisch und euphorisch. Nach ca. sechs Jahren, als eine Schwangerschaft immer unwahrscheinlicher wurde, hat eine Berliner Ärztin Christiane mit klaren Worten konfrontiert. Das war eine Phase, in der Christiane sehr verunsichert war und nicht mehr gefilmt werden wollte. Sie wollte unbeobachtet sein. Das war einerseits nachvollziehbar, andererseits aber natürlich auch für mich und uns eine große Verunsicherung. Wie gehen wir damit um? Gott sei Dank konnten wir das filmisch gut lösen. Mir war jedenfalls immer klar, ich muss ein organisches Gefühl haben, dass die Geschichte einen Endpunkt erreicht hat, bevor wir den Film beenden können. Das war auch eine der Herausforderungen für das ganze Team, die Ungewissheit noch während des Schnitts, wie der Film und die Geschichte enden würde.

Kino-Zeit: Bleiben wir mal bei der filmischen Arbeit. Wie sind Sie mit dem kuratorischen Prozess des Auswählens von Szenen umgegangen? Es muss eine Menge an Material entstanden sein. Waren Maria und Christiane dort beteiligt?

Beuth: Nein, Maria und Christiane waren nicht involviert im Auswahlprozess. Da Maria die Animationen für den Film gemacht hat, war sie allerdings früher als Christiane bei den letzten Schnittfassungen mit einbezogen. Da ging es auch darum, herauszufinden, welche Animationen wo ihren Platz finden. Christiane konnte sich wiederum zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit dem Film konfrontieren. 

Etwa zwei Jahre vor Beendigung des Films kam – Gott sei Dank – die Editorin Jana Dugnus zum Projekt. Ich habe aus den damals ca. 100 Stunden Videomaterial eine Vorauswahl getroffen und dann haben wir nochmal zusammen gesichtet und versucht, zu reduzieren; alle verschiedenen Aspekte, verschiedenen Schichten zu berücksichtigen. Es ging natürlich viel ums Weglassen. Wir haben versucht, die Beziehung aus dem Material herauszuschälen und dabei dem zeitlichen Verlauf treu zu bleiben – einen guten Umgang mit den unzähligen Wiederholungen zu finden.

Parallel zu diesem Prozess haben wir allerdings viele neue Stunden Material gedreht. Das führte manchmal zu dem Gefühl einer Sisyphusarbeit, die nie ganz bewältigt werden kann. Es war ein harter Prozess, aber irgendwann war ersichtlich: „Jetzt ist ein Film da”. Und dann fängt es aus meiner Perspektive an, Spaß zu machen.

© Kloos & Co.

Kino-Zeit: Sie haben im Interview mit dem SR beim Max Ophüls Preis gesagt, der Kinderwunsch der beiden sei so stark gewesen, dass „auch Dinge, die erstmal weit entfernt lagen, infrage gekommen sind“. Im Film sieht man das bspw. im Schritt vom Samenspender zur Samenbank. Manche Themen klingen jedoch nicht an: z.B. Adoption. War das eine bewusste Entscheidung oder dem Fakt geschuldet, dass es für Maria und Christiane keine Option darstellte?

Beuth: Wir haben dazu Sachen gedreht. Ich habe das von Anfang an in Gesprächen immer mal angesprochen, aber tatsächlich war es nie eine echte Option für die beiden. Das hat uns auch dazu bewegt, es am Ende im Montageprozess rauszulassen. Es war sehr wichtig, den richtigen Fokus zu finden, und das wäre etwas rein Informatives gewesen, nur um das Thema abzuhaken. Viele Menschen fragen: „Warum nehmen sie nicht einfach ein Adoptiv- oder Pflegekind?“. Aber auch dieser Prozess ist komplexer, als man zunächst annimmt. Allein, wie man zu einem Adoptivkind kommt, ist – meines Wissensstandes nach – ganz unterschiedlich von Bundesland zu Bundesland und besonders für homosexuelle Paare mitunter eher schwierig.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist auch dabei das Alter. Oftmals soll es dort einen maximalen Unterschied von circa 40 Jahren zwischen dem Kind und dem ältesten Elternteil geben. Christiane ist jetzt 49. Das wiederum ist eine grundsätzlich andere Herausforderung, jemanden zu sich zu nehmen, der schon ein kleines Leben hinter sich hat, das leider oftmals auch von Traumata geprägt ist. Für Maria und Christiane war das aus verschiedenen Gründen letztlich nicht denkbar. Aber die grundsätzliche Sache ist: Die beiden haben ja einen eigenen Kinderwunsch, bei dem es auch darum geht, selbst schwanger zu sein und mit einem gemeinsamen Kind zu leben.

Kino-Zeit: Glauben Sie denn, dass der Adoption gegenüber ein gewisses Stigma existiert?

Beuth: Ich glaube, es ist einfach eine andere Geschichte, ein Kind mit seinem Partner oder seiner Partnerin zu machen. Ich glaube, bei manchen Menschen wird in solchen Situationen deutlich, dass die Bedürfnisse (die natürlich nicht immer auseinanderzudröseln sind) sich doch voneinander abheben – bei manchen ist das Bedürfnis nach einem Kind miteinander als Paar oder nach allen körperlichen Erfahrungen, die dazu gehören, offenbar stärker als das Bedürfnis danach, jemandem gegenüber eine elterliche Fürsorgerolle einzunehmen und für jemanden da zu sein.

Ich kenn’ auch ganz tolle Geschichten und Erfahrungen mit Pflege- oder Adoptivkindern. Ich stelle mir vor, dass es bei einer solchen Verbindung eigentlich auch einen Moment der natürlichen Anziehung geben muss. Wenn man zum Beispiel ein Kind trifft und gleich eine Verbindung oder ein intensives Interesse spürt.

Kino-Zeit: Was hat die Menschen wohl so überzeugt und vor allem bewegt an Ihrem Film? 

Beuth: Das kann ich mir nur erschließen anhand dessen, womit Menschen auf mich zugekommen sind. Wir hatten vier Vorstellungen [auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis, Anm. d. Red.], bei zweien waren Maria und Christiane dabei und bei zweien nur ich. Eine der Vorstellungen war hochemotional. Wir sind kurz vor dem Abspann rein und haben sofort gemerkt, es ist eine ganz dicke Luft. Das Q&A und die Begegnungen danach waren dann total fokussiert auf Maria und Christiane. Die Leute waren begeistert von ihrer Beziehung und dankbar für ihre Offenheit, dafür, dass sie auch die schwierigen Erfahrungen geteilt haben. Bei anderen Filmgesprächen ging es wiederum mehr um die Form, künstlerische Entscheidungen oder die Zeit des Drehens.

Es war besonders, dass auch nach den Vorführungen, wenn wir einfach unterwegs waren, Leute auf uns zukamen und tief bewegt waren. Auch, dass es Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts oder Genders waren – das hatte ich kaum vorher erahnen können. Ein Mann erzählte uns beispielsweise, dass er auch lange einen unerfüllten Kinderwunsch hatte; eine junge Frau vertraute mir an, dass ihre Mutter vor ihrer Geburt mehrere Fehlgeburten hatte. Aber es gab auch viele Menschen, für die diese Themen nicht zentral waren. Eine Frau erzählte mir, dass sie sich den Film nicht selbst ausgesucht hatte, weil sie dachte: „Diese Themen habe ich hinter mir“ – und sie dann froh war, den Film gesehen zu haben. Und ja, das war eigentlich mein Ziel und meine Hoffnung, dass der Film Menschen auf eine universelle Weise bewegen kann.

Ich glaube, er konfrontiert einen auf eine aufrichtige Weise mit dem Leben, mit dem Zeitvergehen, mit menschlicher Entwicklung, mit Herausforderungen – und wie ein recht unterschiedliches Paar damit umgeht, ohne sich dabei zu verlieren.

Kino-Zeit: Arbeiten Sie schon an einem neuen Film?

Beuth: Es gibt herumschwirrende Fetzen von Ideen, aber ich brauche erstmal wirklich eine Auszeit. Diese Woche erst tröpfelt es langsam aus – all die Sachen, die noch für den Film zu tun waren. Ich warte aber immer noch auf den Moment, wo ich merke, dass jetzt wirklich alles vorbei ist. Dann einen Moment von Abstand und Pause. Und dann ist auch wieder Platz für Neues.

„Der Wunsch“ ist ab jetzt in den deutschen Kinos zu sehen. Auch Judith Beuth kommt auf Tour, um an Publikumsgesprächen teilzunehmen.

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