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Kolumnen

Uwe Boll tritt zurück – Zeit für eine Würdigung?

Ein Beitrag von Urs Spörri

Dr. Uwe Boll beendet seine Karriere. Er galt bei Kritikern und Cineasten als „Deutschlands Antwort auf Ed Wood“, ausgezeichnet mit mehreren Goldenen Himbeeren — unter anderem für das schlechteste bisherige Lebenswerk. Eine Kategorie, die bei den Razzies extra für ihn nach 20 Jahren wieder eingeführt wurde.

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Uwe Boll
Uwe Boll

Im August begab sich Uwe Boll mit dem dritten Teil seiner Rampage-Trilogie auf eine Abschiedsreise durch Deutschland. In seiner Heimatstadt Mainz stellte sich Boll ein letztes Mal dem Publikum.

Opus Magnum oder Opus Malum?

Das Capitol Filmtheater, ein Kinosaal mit Blümchentapete und ausladendem Balkon, ist gut gefüllt für dieses Double Feature. Kinobetreiber Jochen Seehuber verspricht eine Stimmung „wie bei einer fröhlichen westafrikanischen Beerdigung.“ Boll hat sein Opus Magnum ausgewählt. Postal. Für manche sicher eher ein Opus Malum, doch die Neubetrachtung lohnt sich. Im Jahr 2007 erschien der Film, wie so oft bei Boll basierend auf einem Computerspiel. Und alleine die Anfangsszene ist von so beißend-trashigem Zynismus, dass er als satirische Komödie mit aktuellem Gehalt Einzug in den Filmgeschichtsunterricht nehmen müsste: Zwei offensichtlich islamistische Attentäter sitzen im gekaperten Flugzeugcockpit und diskutieren darüber, ob im Paradies 99 oder 100 Jungfrauen auf sie warteten. Bevor der Streit eskaliert, rufen die beiden Osama höchstpersönlich an. Dieser lässt ihnen ausrichten, dass es derzeit zu viele Märtyrer gäbe und es daher zu einem Jungfrauen-Engpass kommen könne. „Er garantiert gerade mal 20 Jungfrauen!“ Das Entsetzen darüber ist bei den Attentätern groß und sie beschließen, mit dem Flieger lieber die Karibik anzusteuern. Doch in dem Moment stürmen Passagiere das Cockpit. Umschnitt. World Trade Center von innen. Vor der Glasfront sehen wir einen Fensterputzer (übrigens Produzent Dan Clarke persönlich, da sich dafür kein Schauspieler fand). Das Flugzeug rast auf ihn zu, zerfetzt den Fensterputzer, schlägt im Turm ein und verändert die amerikanische Geschichtsschreibung für immer.

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Trailer zu Postal

 

Little Germany in Paradise

Mit etwas zeitlichem Abstand lässt die Empörung über derlei unsensible 9/11-Darstellungen offensichtlich nach, das Publikum zeigt sich begeistert. Mel Brooks oder Austin Powers lassen grüßen, dem pechschwarzen Humor wird immer noch eins draufgesetzt. Boll ist sich für nichts zu schade: Selbst Kinder sterben im Kugelhagel in Großaufnahme (immerhin seien es nur Kinder von ausgebildeten Stuntmen gewesen, da die Verletzungsgefahr bei dem spritzenden Kunstblut in Actionszenen durchaus vorhanden ist). Auf „Taliban TV“ fällt der Satz: „Die Toten des World Trade Centers waren keine Helden. Sie waren Banker.“ Die deutsche Merchandising-Idee der Krotchy Dolls sieht im Wortsinne wie ein plüschiger Haufen Scheiße aus und der im Film geistig leicht zurückgebliebene Präsident George W. Bush steckt mit Osama bin Laden unter einer Decke. Hand in Hand tanzen sie im Atombomben-Hagel über eine Blumenwiese, es sei „the beginning of a wonderful friendship.“ Doch es ist weit mehr als eine Taliban-Trash-Komödie: Boll nutzt seine deutsche Herkunft und nimmt sich selbst parodistisch aufs Korn. In Lederhosen wird er im Vergnügungspark „Little Germany“ im Örtchen Paradise zu seinen Filmemacher-Tätigkeiten befragt. Offenherzig verkündet er, dass seine Filme aus Nazigold finanziert seien. Als eine ältere Dame empört reagiert, da ihre Angehörigen in Auschwitz verstorben seien, betont der fiktive Boll: „Mein Vater ist auch in Auschwitz gestorben.“ Und nach einer Kunstpause: „Er ist vom Wachturm gefallen.“

 

Boll meets Trump

Mit Postal wagt sich Boll weit über die Grenzen des guten Geschmacks, ganz klar. Er bricht bewusst mit Tabuthemen: „Als Deutscher in Amerika muss man erst mal die Eier haben, Gags über Auschwitz zu machen. Und viele meiner Teammitglieder waren Juden, die fanden das klasse.“ Aber zugleich — und das überrascht — liefert Boll uns in Postal einen Einblick in das Amerika des „fat white trashs“, einer Gesellschaftsschicht, die einem Donald Trump nunmehr die Tür zum Präsidentschaftskandidaten geöffnet hat. Was Boll und Trump eint? Sie sind beide Preisträger der Goldenen Himbeere (Trump 1991 als Schlechtester Nebendarsteller für seinen Gastauftritt in Ghosts can’t do it — Mein Geist will immer nur das Eine …). Auch wenn Boll politisch ausdrücklich nicht mit dem Milliardär sympathisiert, spricht er im anschließenden Podiumsgespräch den Wunsch aus: „Vielleicht braucht man Trump als Präsident, weil er das Land ins Chaos führt! Hillary wäre ja wie acht Jahre Merkel …“

 

Alberner amerikanischer Albtraum

Überhaupt ist Boll radikal, wagemutig und politisch interessiert. Bereits in Postal kommt es zu Polizeigewalt (heute aktueller denn je), jedoch zugespitzt, weil ein schwarzer Polizist eine alte chinesische Frau im Auto erschießt, weil sie bei Grün nicht die Ampel überquerte. Der Krieg der Religionen wird ebenfalls vorweggenommen, wenn die Sekte um „Uncle Dave“ und die Taliban miteinander konkurrieren. Der Waffen-Fetischismus der Amerikaner spielt natürlich eine große Rolle. Bei der Analyse eines Massakers stellt ein Nachrichtensprecher dann ironisch fest, dass Videospiele auf die Täter die gleiche Wirkung wie Nippel-Piercings hätten — wo noch immer selbst von hochrangigen Politikern hierzulande bei jedem Amoklauf reflexartig nach Verboten von Killerspielen gerufen wird. Sogar Crystal Meth wird in Postal thematisiert, und das Jahre vor Breaking Bad. Zugleich ist der Film ein alberner amerikanischer Albtraum, immer an der Schwelle zum Unerträglichen. Doch genau dies gelingt Boll gut. Das New Jersey Film Festival (gegenüber den Twin Towers gelegen) zeigte Postal und der Bürgermeister weigerte sich laut Boll, bei der Festivaleröffnung eine Rede zu halten, aus lauter Patriotismus. Bolls Devise: Man muss gegenhalten gegen diesen Mega-Patriotismus und allen Beteiligten die Absurdität ihres eigenen Handelns vor Augen führen.

 

Raging Boll — Gegen wilde Filmkritiker

Was kann man von Uwe Boll lernen? Marketing! „Was hast du aus meinem Computerspiel gemacht?“, fragt der echte Spieleentwickler den fiktiven Uwe Boll im Film. Entsprechend lauten Bolls letzte Worte vor seinem Ableben in Postal: „I hate video games.“ Darin steckt vielleicht mehr Wahrheit, als man glauben mag. Denn durch die Spieleverfilmungen wurde Boll erfolgreich, seine Filme ließen sich über private Fonds und Anleger finanzieren. Aber ist das nicht wie bei einem Schlagersänger à la Roy Black, der eigentlich Rockmusiker sein will, durch den Erfolgsdruck aber seiner verhassten Linie treu bleiben muss? 

Mit Vorliebe hat sich Boll die Videospiel-Nerds zu Feinden gemacht. Über 100.000 Menschen forderten ihn per Petition auf, sein Filmschaffen zu beenden. Doch er forderte eine Million Unterschriften. Sogar ein Kaugummihersteller witterte seine Marketingchance und versprach jedem Unterzeichner eine Kaugummi-Packung. Stattdessen stieg Boll mit ausgewählten Filmkritikern in den Boxring. Er prügelte alle vier Gegner nieder, einer davon ist heute sogar Kritiker für das US-Branchenblatt Variety. „Meine Gegner waren so schlecht vorbereitet, wie sie auch ihre Kritiken schrieben“, teilt Boll noch heute aus. Empfehlenswert ist die Dokumentation mit dem bezeichnenden Titel Raging Boll, die sich im Bonusmaterial der Rampage-Blu-ray-Box befindet. Boll fühlt sich bis heute missverstanden, der Titel seiner filmischen Biographie ist nicht zufällig Scorseses Klassiker entlehnt.

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Trailer zu Raging Boll

 

Dr. Business-Man

Warum hört solch ein Filmemacher auf? Einer, der sich von nichts und niemandem unterkriegen ließ? Bolls Erklärung ist simpel: „Ich kann nicht weiter runtergehen mit dem Budget.“ Bei so vielen Schauspielern, Effekten und Actionsequenzen ist hier eine Grenze erreicht — für Rampage 3: President Down stand Boll nach eigenen Angaben ein Budget von 15 Millionen US-Dollar zur Verfügung. „Nach 33 Filmen kann ich nicht so anfangen wie ein Filmstudent“, bittet er um Verständnis. Boll ist, so seine Analyse, einfach ein besserer Business-Man als die meisten anderen in der Branche. Er habe erkannt: In zwei bis drei Filmen wäre er pleite, da er sein Geld bislang über DVDs und Blu-rays eingespielt habe. Und jener Markt sei zusammengebrochen. Also höre er besser jetzt schon auf. Und auf die Nachfrage, was denn mit Crowdfunding sei: „Crowdfunding ist Quatsch und Fliegendreck. Vertane Zeit.“

Boll redet sich in Rage: „Wir haben 40 Jahre Förderfilm hinter uns. Es reicht!“ Das Fernsehen werde den Bach runtergehen, weil es auf Serien setze. Mit Filmen ließe sich heute überhaupt kein Geld mehr verdienen. Sein Barschel-Film sei schon damals korrekter gewesen als Heinrich Breloers Abhandlung dazu. Postal war Avantgarde. Das Aussterben der Videotheken sei der Anfang vom Ende gewesen, FSK und FBW in Deutschland der Inbegriff des Verstaubten. Aber auch die USA seien keinen Deut besser: „Es gibt so viele grottenschlechte, hirnlose Drehbücher in Hollywood.“ Deshalb habe er auch immer wieder große Stars für seine Filme gewinnen können, etwa Burt Reynolds und Jason Statham. Und weil er deren Drehpausen abpasste und diese kurz vor Drehbeginn erst für seinen Film begeisterte. Die Ankündigung Bolls nach seiner Ablehnung an der Filmhochschule hat sich jedenfalls bewahrheitet: „Sie werden noch von mir hören, Sie Arschloch!“

 

Politik und Bollflix

Respekt hat er vor Netflix — die sich nicht an der Kinokasse messen lassen müssen. Deshalb plant Dr. Uwe Boll nun „Bollflix“. Dort soll künftig sein Gesamtwerk verfügbar sein, alle 33 Filme weltweit in verschiedenen Sprachfassungen abrufbar. Auch filmgeschichtlich wolle er nicht untergehen, über Anfragen zu Retrospektiven freue er sich im Übrigen. Ansonsten widmet sich Boll seinem Edel-Restaurant „Bauhaus“ an seinem Zweitwohnsitz im kanadischen Vancouver.

Eine echte Zäsur nach 25 Jahren des Filmemachens. „Jetzt muss man einfach mal aufhören, ich bin sehr politisch. Und vielleicht muss man tatsächlich was verändern, nicht mehr nur auf der Leinwand.“ Global Warming und die immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich sind die Hauptthemen, zu denen Boll Stellung bezieht. Und natürlich Zivilcourage. Die ihm persönlich übrigens sogar eine Abmahnung von Erdogan eingebracht habe — als er Böhmermann wohl etwas zu forsch verteidigte. Ob sich die Rampage-Trilogie als negativer Bildungsroman in drei Teilen verstehe? „Unsinn. Aber es ist sicherlich mein radikalster Film, Rampage 3. Ich wollte die Geschichte unbedingt noch zu Ende erzählen.“ Im September kommt dieser in den USA in die Kinos, in Deutschland erscheint Rampage 3: President Down am 28. Oktober auf DVD und Blu-ray.

Wirklich sauer wird Dr. Uwe Boll immer noch, wenn die Sprache auf die Goldenen Himbeeren kommt. „Die haben mir bis heute nie die Preise zugeschickt, obwohl ich mich via Videobotschaft bei denen gemeldet hatte. Selbst dafür waren sie zu geizig.“ Und außerdem: „Adam Sandler macht die schlechtesten Filme aller Zeiten — nicht ich!“

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