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Kolumnen

Schmerzhafte Bestandsaufnahme: Thriller aus Deutschland

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Meinungen
Berlin Falling

Eigentlich gehöre ich ja zu denen, die sagen, dass der deutsche Film besser als sein Ruf sei und sich auch im vielgescholtenen deutschen Genrefilm etwas tue. Das beweisen ja Der Samurai oder auch Der Nachtmahr.

Nun lassen sich diese beiden Beispiele sicherlich nicht eindeutig einem Genre zuordnen, aber niemand würde sie wohl ausschließlich als Thriller bezeichnen. Genrefilm meint in der Diskussion über den deutschen Film überwiegend Horror und Fantasy, aber Genre ist ja viel mehr, zum Beispiel auch Thriller. Und hier warte ich schon seit einigen Jahren auf den wirklich guten deutschen Thriller – so wie damals Dominik Grafs Die Katze. Oder von mir aus auch Arslans Im Schatten. Deshalb freue ich mich über jeden Thriller-Krumen, der mir hingeworfen wird – und das Filmfest München warf gleich fünf: In der Reihe zum Neuen Deutschen Kino erhielten vier Filme den tag Thriller – Detour, Luna, LOMO und Die Vierhändige –, außerdem feierte dort Ken Dukens Berlin Falling in der Sektion Spotlight Premiere.

Thriller meint in Deutschland ja häufig Polizeifilm, aber auch hier boten die fünf Filme auf den ersten Blick Grund für Hoffnung: Luna, LOMO und Berlin Falling stellen mit den Themen Geheimdienste, Internet und Terrorismus einen gesellschaftlichen Bezug hier, Detour und Die Vierhändige setzen eher auf psychologische Spannung. Also endlich mal andere Spielarten des Thrillers.

Ambitioniert ist schon der Ausgangspunkt von Luna. Die Titelfigur ist ein 17-jähriges Mädchen (gespielt von Lisa Vicari), das mit seiner Familie in die Berge fährt. Dort werden dann Vater, Mutter und Schwester vom russischen Geheimdienst ermordet, nur Luna überlebt und will für Gerechtigkeit sorgen. Polit- und Spionagethriller haben in Deutschland ein Glaubwürdigkeitsproblem, solange sie nicht eindeutig im Zweiten Weltkrieg oder Kalten Krieg verordnet sind. Noch immer wollen viele nicht wahrhaben, was auch hierzulande geschieht, ohne dass jemand hinschaut. Nun sollte man meinen, der NSU-Skandal habe daran etwas geändert, aber er scheint eher als Ausnahme denn Regel gesehen zu werden. Deshalb ist es durchaus an der Zeit, eine Geschichte darüber zu erzählen, wie aktiv Geheimdienste auch in Deutschland sind und polizeiliche Organe davon wissen. Dass eine solche Geschichte funktionieren kann, hat im Buchbereich beispielsweise Christian von Ditfurth mit Zwei Sekunden erst voriges Jahr bewiesen. Und nun hat auch Khaled Kaissar einen hervorragenden Ausgangspunkt: Es stellt sich heraus, dass Lunas Vater für den russischen Geheimdienst gearbeitet hat, seine Familie – The Americans lassen grüßen – war Teil seiner Tarnung. Aber der BND hat ihn enttarnt und vor eine Wahl gestellt, bei der er sich dafür entschied, ein Doppelagent zu werden, ein Verräter der Russen, und Informationen an die deutschen Stellen weiterzugeben. So weit, so spannend. Natürlich haben die Russen Wind von der Sache bekommen und ihn nun eliminiert. Dass nur Luna den Angriff überlebt, wirft schon die Frage auf, warum die einzige Überlebende eine Teenagerin sein muss. Zwei Antworten scheinen auf der Hand zu liegen: Drama und Identifikation, „human interest“ also, wie es oftmals aus Redaktionen heißt. Eine Erwachsene – beispielsweise Lunas Mutter – hätte aber sicherlich mehr Handlungsmöglichkeiten gehabt, aber man kann dem Mädchen ja eine erwachsene Person an die Seite stellen. Leider ist es nicht die Kommissarin, die Luna von der Polizeistation abholt, zu der sie sich gerettet hat, sondern Hamid (Carlo Ljubek), ein guter Freund und Kollege ihres Vaters. Deshalb beginnt nun nicht der Feldzug einer Frau und eines 17-jährigen Mädchens gegen Geheimdienste und Maulwürfe in eigenen Reihen, der so großartig und fortschrittlich gewesen wäre. Nein, Mann und Mädchen machen sich auf, ihre Leben zu retten und für „Gerechtigkeit“ zu sorgen. Allerdings wird die Frage, wie „Gerechtigkeit“ in diesem Fall aussehen soll und ob nicht Lunas Vater auch unrecht und falsch gehandelt hat, allenfalls leicht tangiert. Stattdessen nämlich wendet sich der Film dem zu, was immer geht, im deutschen Film: Drama. Denn Luna ist verstört und Hamid hat eine traurige Geschichte zu erzählen. Immer wieder führen sie „tiefe“ Gespräche, die immer wieder das Tempo verschleppen. Wegen des „human interest“. Und wenn man glaubt, es ginge nicht mehr hanebüchener, kommt das Ende.


(Bild aus Luna; Copyright: Universum Film)

Es ist so unfassbar schade, dass dieser Film aus seinem vielversprechenden Anfang und Ansatz nichts macht. Khaled Kaissar hat fraglos Talent. Der Film ist gut besetzt. Die ersten Bilder sind atemberaubend. Aber dann wird einfach nicht durchgezogen. Und Luna ist hierfür nicht das einzige Beispiel: Bei LOMO – The Language of many others gab es vielleicht einmal eine gute Idee, die dann zerflückt und ergänzt wurde, so dass am Ende ein Durcheinander an Versatzstücken übriggeblieben ist. Auch hier schreckt man davor zurück, sich auf die gesellschaftlichen Implikationen zu konzentrieren, tatsächlich die Gefahren zu zeigen, die von Kontroll- und Realitätsverlust ausgehen, indem man die Hauptfigur durch die Handlung stolpern lässt und eine „romantische“ Note einbaut. Auch bei dem bemerkenswert mutigen Berlin Falling reicht es nicht, dass die Hauptfigur säuft und traumatisiert ist, dass der Antagonist droht, ihn zu töten. Nein, auch hier wird immer wieder die Familie gezeigt, die ebenfalls in Lebensgefahr schwebt. Aber immerhin traut sich dieser Film etwas: er zeigt Terrorismus in Deutschland.


(Trailer zu Berlin Falling)

Ohne Drama gibt es anscheinend in Deutschland keine Thriller. Natürlich kann diese Verbindung funktionieren, das zeigen Die Vierhändige und Detour, die aus Beziehungen ihre Spannung gewinnen. Sie versuchen sich nicht an der großen Geste, sondern konzentrieren sich auf das Familiäre, das Private, auf Themen wie Trauma und Einsamkeit. Hier ist das Drama von Anfang an angelegt. Deshalb drängt sich mir eine schmerzliche Frage auf: Ist es letztlich der gesellschaftliche Bezug, der deutsche Thriller scheitern lässt? Ich bin überzeugt davon, dass gerade der Thriller und der Kriminalfilm hervorragende Wege sind, unsere Gesellschaft zu beschreiben und zu analysieren. Dennoch ist das Scheitern deutscher Thriller und Kriminalfilme reihenweise zu beobachten, sobald sie etwas über die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit aussagen wollen. Womit hängt es zusammen – mit der Förderung, mit den Produktionsbedingungen oder mit dem Glaubwürdigkeitsvorbehalt? Die Erklärung, Redaktionen und Zuschauer wollten „human interest“ reicht hier nicht, es sind nicht einfach nur weitere Rechtfertigungen gefragt, sondern hier muss sich etwas ändern. Das Sicherheitsnetz muss weg, an seine Stelle gehören Mut und eigene Ideen. Es reicht nicht mehr, nur Versatzstücke von amerikanischen Filmen wiederzukäuen, es reicht nicht mehr, die großen politischen Themen anderen Produktionsländern zu überlassen und sich aufs deutsche Kleinklein zu beschränken. Wir brauchen keine Filme mehr, in denen ein arbeitswütiger Polizist den Kindergeburtstag seiner Tochter verpasst, die natürlich bei seiner Ex-Frau wohnt, die er immer noch liebt. Stattdessen brauchen wir Filme, die weh tun– zu den NSU-Morden. Zu den Anschlägen auf Flüchtlingsheime. Zu den Ausschreitungen zum G20-Gipfel. Man muss sich mal vorstellen, welche Stoffe und Erzählungen darin liegen. Und zwar nicht nur fürs Fernsehen, für den Tatort oder Polizeiruf, sondern für die große Leinwand. Hier geht es eben nicht um persönliche Geschichten, hier geht es nicht um Einzelfälle, sondern um strukturelle und organisierte Gewalt, um Vertuschung, Täuschung. Um Systeme. Und davon erzählen Thriller. Nur anscheinend hierzulande nicht.

Sonja Hartl schreibt über Filme und (Kriminal-)Literatur, am liebsten über die Verbindungen von ihnen. Sie betreibt das Blog Zeilenkino, ist Chefredakteurin von Polar Noir und Jury-Mitglied der Krimibestenliste.

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