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Filme sehen nach dem Trump-Schock - Wie die Politik die Sicht auf Filme verändern kann

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Noch immer sitzt der Schock der so nicht vorhergesehenen Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten tief. Eine der ersten filmischen Reaktionen war beispielsweise ein Kurzspielfilm nach Art eines Science-Fiction-Trashfilms der Kategorie B mit dem Titel M.A.M.O.N (Monitor Against Mexicans Over Nationwide), in dem schließlich ein stolzer mexikanischer Hahn den Sieg gegen einen furchterregenden Kampfroboter mit den Zügen Donald Trumps davon trägt. Binnen kurzer Zeit ging die Satire, die seit dem 30. Oktober bei YouTube zu sehen ist, viral und erreicht insbesondere seit dem Bekanntwerden des Wahlergebnisses mehr als drei Millionen Zugriffe.

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Doch es sind nicht nur Filmemacher und Filmschaffende wie Michael Moore, der sich an die Spitze der Anti-Trump-Proteste gestellt hat und versuchte, mit seinem kurz vor der Wahl herausgebrachten Werk TrumpLand auf die drohende Katastrophe aufmerksam zu machen, Spike Lee (hier unter anderem ein Atrikel im Guardian mit einem Gespräch mit Bernie Sanders Bernie Sanders) und viele andere (Reaktionen von Filmschaffenden auf Trumps Wahlsieg finden sich hier), die einen Eindruck davon vermitteln, wie es gerade um die Stimmung im Lande bestellt ist. So befragte beispielsweise indiewire kurz nach der Wahl zahlreiche US-Kritiker, ob und wie sich ihre Arbeit nun verändern würde — und kaum einer konstatierte, dass es einfach so weitergehe wie bisher. Dave Ehrlich beispielsweise gab zu Protokoll, dass „das Phänomen Präsident Trump“ viel eher noch ein Weckruf für die Kritiker als für die Filmemacher sei. Und das gelte nicht zuletzt vor allem deshalb, weil Donald Trump ein ausgemachter Gegner einer freien und kritischen Presse sei (und wahrlich, davon liest man gerade in den letzten Tagen genug), so dass es auch eine Frage des Überlebens sei. 

Wie tief der Schock sitzt, kann man beispielsweise in einem Podcast vom Film Comment der Film Society of Lincoln Center in New York nachhören  Unter anderem gehen die Kommentatoren darin der Frage nach, wie sich der Schock der Wahl auf das Sehen und Interpretieren von Filmen auswirkt, wie sehr sich durch das Ereignis die Perspektive und Sichtweise auf Filme verändert. 

Diese Verschiebung ist aber nicht ausschließlich auf die US-amerikanischen Kollegen beschränkt, sondern kann durchaus auch hierzulande Auswirkungen haben. So haben auch wir in den zahlreichen Gesprächen innerhalb unserer Redaktion und außerhalb mit Kollegen gemerkt, wie sehr uns die Wahl Donald Trumps beschäftigt und wie sehr diese auch unseren Blick auf Filme verändert hat. Natürlich sind die Filme, die es derzeit oder demnächst im Kino zu sehen gibt, noch keine unmittelbaren Reaktionen auf den Wahlkampf und erst recht nicht auf die Folgen. Aber man kann an ihnen eine gesellschaftliche Tendenz, ein Stimmungsbild ableiten, das in seiner Summe Rückschlüsse oder zumindest Mutmaßungen über politische Strömungen und gesellschaftliche Befindlichkeiten in den USA zulässt. 


Trailer zu Sully

Clint Eastwoods neuer Film Sully etwa, der auf den wahren Ereignissen der Notlandung eines Airbus der United Airways auf dem Hudson im Jahre 2009 basiert, die weltweit für Schlagzeilen sorgte, ist auf den ersten Blick eine ganz normale Heldengeschichte, die aber zudem mit politischen Subtexten aufgeladen ist. So finden sich beispielsweise mehrfach Verweise auf die Attentate von 9/11, wenn Chesley „Sully“ Sullenberger immer wieder in Alpträumen seine Maschine in eines der Hochhäuser New Yorks stürzen sieht. Auffällig ist zudem die wiederholt ins Bild gerückte Hilfsbereitschaft der New Yorker, die ebenfalls an das Trauma aus dem Jahre 2001 erinnert und die Solidargemeinschaft der Nation heraufbeschwört. Dies alles ließe sich leicht unter dem Begriff Trauma-Verarbeitung subsumieren, gäbe es nicht den zentralen Konflikt zwischen dem bescheidenen All-American Hero und dem Untersuchungsausschuss des Department of Transportation, das — so hat es zumindest den Anschein — alles daransetzt, dem Mann mit dem untadeligen Lebenslauf etwas anzuhängen. Hierin drückt sich das tiefe Misstrauen des stramm konservativen Eastwood, der im Wahlkampf seine Sympathien für Trump mehr als nur einmal bekundete, gegen das Washingtoner Polit-Establishment aus — ein Unbehagen, das er mit vielen US-Amerikanern und dem designierten Präsidenten teilt.


Trailer zu Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind

Unbehagen findet sich erstaunlicherweise auch im Harry-Potter-Spin-off Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind. Dort herrscht in Teilen der Bevölkerung eine aufgeheizte Stimmung gegen das Fremde in Gestalt der Zauberer und Magier und vereinzelt haben sich radikale Splittergruppen wie die „Second Salemers“ gebildet, die mit Gewalt gegen die Umtriebe der Nicht-Normalen vorgehen wollen. Ein Schuft, wer dabei an Senator McCarthys Hexenjagd auf Kommunisten und anderes zwielichtiges Volk in den 1950er Jahren denkt oder an die nach der Wahl Trumps massiv ansteigenden Zahlen sogenannter Hate Crimes gegen Muslime, Afroamerikaner, Homosexuelle und andere vermeintliche Randgruppen. Der Puritanismus und die fast schon abergläubische Frömmigkeit insbesondere im Bible Belt der USA erinnert zudem fatal an den stramm konservativen Flügel der Republikaner und so wirkt es fast schon subversiv, dass ausgerechnet Credence Barebone, der Adoptivsohn der religiösen Fanatikerin, sich als Mensch mit magischen Fähigkeiten erweist, der verzweifelt versucht, seine dunklen Kräfte unter Kontrolle zu halten.


Trailer zu Desierto — Tödliche Hetzjagd

Ganz diesseitige, aber nicht minder dunkle Kräfte finden sich in Jonas Cuaróns Desierto — Tödliche Hetzjagd, einem sehr eigenen kleinen Film, in dem Gabriel García Bernal einen mexikanischen Mann spielt, der in einer Schleppergruppe über die mexikanisch-amerikanische Grenze kommen will. Moises ist einer der Millionen illegales, die sich in den Vereinigten Staaten aufhalten, stets in Angst entdeckt zu werden. Auch Moises wurde entdeckt und deportiert. Nun versucht er, zu seiner Frau und seinem Kind zurückzukehren. Doch zwischen ihm und der Familie steht nicht nur die Wüste und die Gefahr der Grenzüberquerung, sondern auch Sam (Jeffrey Dean Morgan), ein US-Amerikaner, dem es nicht passt, dass Mexikaner in sein Land eindringen wollen. Natürlich ist Desierto eine Reaktion auf den amerikanischen Rassismus und die jahrelangen Bemühungen, die Grenze zu schließen. Doch Desierto hätte bis vor Kurzem auch als ein recht klassischer Western gelesen werden können, wenngleich er eindeutige politische Hintergründe hat. Doch dieser Neo-Western ist nunmehr viel näher an eine tatsächliche Realität gerückt als uns allen lieb ist. Aus dem knallharten, verbitterten Rancher Sam ist eine dezidiert politische Figur geworden, die nicht mehr den lonesome (crazy) cowboy darstellt, sondern Millionen Amerikaner und eine ganze politische Bewegung, die jetzt auch im Weißen Haus Einzug halten wird. Es ist nicht mehr einer, es ist die Majorität der „besorgten Bürger“, der Bewegung weißer NationalistInnen (da können sie sich noch so sehr „alt-right“ nennen), die hier eine ganze Gruppe Mexikaner abschießt — einfach nur, weil sie es können und weil sie denken, sie hätten das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden auf „ihrem Land“. Welch Ironie, dass „ihr“ Land wiederum von den Native Americans geraubt wurde. Dabei sind vor allem zwei Dinge so augenfällig wie bitter korrekt, wenn man sich die politische Lage im Zeitalter Trump betrachtet: Erstens sind die Mittel nicht im geringsten fair verteilt. Desierto ist kein Kampf oder Krieg, Desierto ist ein Massaker. Es ist ein Genozid im Kleinen, in dem alle kämpferischen Mittel und Vorteile dem einen gehören und die Gruppe schutzlos ausgeliefert ist. Zweitens gibt es für einen wahrhaftigen Grund, für eine Bedrohung oder ähnliches, die Sam dazu bringen würde, dutzende Menschen zu töten, keine Anzeichen. Einzig ein aufgeblasenes Ego und die manische Idee, per Geburtsrecht und Grundstücksbesitz des Recht über Leben und Tod zu haben, gepaart mit massiven Rassismus, treiben diesen Mann an. Das ist also die Offenbarung des heimatloses Mo(i)ses, dies ist der brennende Busch und sind die neuen Gesetze, die ihm in der Wüste offenbart werden. Und wenn am Ende Sam von seinem eigenen Hass etwas zurückbekommt, dann erinnert er doch sehr an Donald Trump. Ein kleines angepisstes, heulendes Kind bleibt zurück. Eines, das alles persönlich nimmt, das der Nabel der eigenen narzisstischen Welt ist und lieber alles zerstört, was ihm nicht passt.


Trailer zu Vaiana

 

Noch massiver in seiner posttrumpschen Wucht ist Vaiana. Der neue Animationsfilm aus dem Hause Disney erzählt von einem polynesischen Mädchen, das seine Insel vor einer Naturkatastrophe zu retten versucht, die der Halbgott Maui versehentlich ausgelöst hat. Und so folgt man diesem indigenen Mädchen auf seiner Reise zu einem magischen Stein, der, wenn man ihn an der richtigen Stelle wiedereinsetzt, alles Schlechte revidiert und die Natur wieder zum Erblühen bringt. Wahrlich, es ist bitter, diesen Film im Jahr 2016 zu schauen, während parallel dazu in den USA die größte Kongregation aus dutzenden indigenen Völkern und Native Americans am Standing Rock Reservoir mit ihrem Leben dafür kämpfen, dass ein Ölgigant keine Pipeline unter dem Missouri entlang baut. Die Gefahr, dass ein Leck den gesamten Fluss, einem riesigen Trinkwasserreservoir für die gesamten Vereinigten Staaten, verunreinigt, ist hoch. Mehr als 1000 solcher Lecks gibt es weltweit jedes Jahr. Doch damit nicht genug. Die Ölfirma hat auch kein Problem damit, eigentlich geschützte heilige Orte und Friedhöfe umzubuddeln. Und während hier also die „WasserschützerInnen“, wie sie sich nennen, bei Minusgraden von Wasserkanonen davon gespült, mit Knüppeln, Pfefferspray und Granaten geprügelt und beschossen werden, schaut der Rest des Landes zu. So sieht sie aus, die Realität der indigenen Völker, denen in Vaiana ganz romantisiert der Ball zur Rettung der Welt vor diversen Klimakatastrophen zugespielt wird. Und als wäre das nicht schon schrecklich genug, lässt der baldige Präsident verlauten, Kohle wieder groß zu machen und sich aus den Klimaschutzabkommen zurückzuziehen. Währenddessen lernen Kinder bei Disney, dass man alles tun kann, wenn man es sich nur vornimmt. Eine bittere Pille, wenn man bedenkt, dass diese „Wahrheit“ bei Trump ja leider geklappt hat. Und wenn man bedenkt, dass den kleinen Völkern, den einzelnen Hütern der Inseln und Gewässer kein deus ex machina in Form eines Halbgottes zur Verfügung steht, der mit Kraft der disneyschen Magie die Angriffe durch ganze Flotten bewaffneter Fanatiker zu verhindern mag. In Standing Rock stehen nur Menschen, und diese bluten. Und es ist zu vermuten, dass es bald Tote geben wird und am Ende die Pipeline gebaut wird. Da kommt einem die Welt von Vaiana nicht nur entrückt, sondern gar zynisch und menschenverachtend vor. 

Dies sind nur einige Beispiele aktueller Filme, die vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen plötzlich mit anderen Augen gesehen werden. Wir stehen erst ganz am Anfang einer Phase, deren Auswirkungen wir derzeit noch nicht absehen können. Wenn man jedoch die Anzeichen deutet und zudem von den Verflechtungen von künftigen Amtsträgern wie Stephen Bannon (dem künftigen Staatschef im Weißen Haus) und Steven Mnuchin (dem designierten Finanzminister) mit Hollywood weiß, könnte es durchaus sein, dass Teile der US-Filmindustrie ihr Fähnchen nach dem politischen Wind hängen und der Tonfall, die Erzählhaltung bei etlichen Filmen rauer wird, konservativer und stärker auf die amerikanischen Interessen fokussiert, als es jetzt schon der Fall ist. Und gerade deswegen brauchen wir einen kritischen Filmjournalismus, der solche Strömungen analysiert und klar benennt. In diesem Sinne: An die Arbeit!

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