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Literatur und Kino: Auf der Suche nach den großen Worten

Ein Beitrag von Markus Fiedler

Emily Bronte schrieb mit ihrem einzigen Roman Sturmhöhe einen Klassiker der britischen Literatur. Zum Start des gleichnamigen Biopics, der über die Entstehungsgeschichte des Romans reflektiert, werfen wir einen Blick auf Filme, die sich mit Autor:innen und deren Werken beschäftigen.

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Tolkien / A Quiet Passion / Mary Shelley

Kino und Literatur gehören schon seit den frühen Jahren des Films zusammen. Schon immer versuchten Regisseure, Romane und Kurzgeschichten, die Weltruhm genossen oder einfach nach Meinung der Filmschaffenden eine lohnenswerte Geschichte erzählten, auf die Leinwand zu bringen. Dabei entstanden Klassiker wie „Vom Winde verweht“ oder „Doktor Shivago“, aber bis heute laufen Literaturverfilmungen wie unlängst „Der Gesang der Flusskrebse“ regelmäßig sehr erfolgreich in den Kinos der Welt. Anders sieht es dagegen aus, wenn es um Biographien der Künstler:Innen hinter den Werken geht, hieran haben sich in den vergangenen Jahren einige Filmemacher versucht und legten nicht selten eine finanzielle oder qualitative Bruchlandung hin. Woran liegt das?

Tolkien

Hierzu liefert der Film Tolkien, den Dome Karukoski 2019 in die Kinos brachte, und der sich mit den jungen Jahren des großen Fantasy-Autors beschäftigt, einige Hinweise. Denn das Drehbuch zeigt hier sowohl gute als auch falsche Ansätze. Tolkiens größter Roman Der Herr der Ringe ist nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil er fast universell die Geschichte einer großen Freundschaft erzählt, die auf der Reise zum Schicksalsberg entsteht. Und hier macht das Script von David Gleeson und Stephen Beresford fast alles richtig. Die Entstehung einer Art Gefährtengruppe in Tolkiens Jugendjahren mit einigen Mitschülern illustriert glaubhaft, mit welch großem Gefühl der Autor später die Abenteuer von Frodo und Sam, aber auch von Aragorn, Legolas und Gimli erzählte. Denn wie die Jungen füreinander einstehen und einander helfen, das hat die Qualität, die Tolkien später in seine Werke einfließen ließ.

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In anderer Hinsicht hingegen versagt das Drehbuch des Films komplett. Denn Tolkien, der sein Leben lang beteuerte, seine Geschichten aus Mittelerde hätten nichts mit seinem Leben zu tun und seien auch keine Allegorien auf damals aktuelle politische Ereignisse auf der Welt, wird hier als Soldat im Krieg gezeigt, in der es von Drachen (Flammenwerfern) und Schwarzen Reitern nur so wimmelt – und in dem die Schlachtfelder aussehen wie Mordor. Karukoski behauptet in seinem Film also das Gegenteil dessen, was Tolkien in Interviews oft erzählte. Denn der Professor für alte Sprachen kannte so viele Mythen und Sagen aus früheren Kulturen, dass sich seine Mittelerde-Saga fast komplett daraus speiste. Und den Rest aus seiner eigenen Phantasie entwickelte, wie beispielsweise Der Kleine Hobbit, der als Gute-Nacht-Geschichte für seine Kinder begann und den Grundstein für die späteren Storys aus Mittelerde legte. Übrig bleibt im Film nur eine Liebesgeschichte zwischen Tolkien und seiner großen Liebe, die Karukoski dramaturgisch ein wenig aufhübscht. Tolkiens Werk hingegen fristet hier eher ein Schattendasein.

Mary Shelley

Ganz anders macht das Mary Shelley, ein Film der Regisseurin Haifaa Al-Mansour. Zwar stürzt sich auch sie auf die turbulenten jungen Jahre der Schriftstellerin, die mit Frankenstein oder der neue Prometheus einen Meilenstein der fantastischen Literatur schuf, und das bereits im Alter von 18 Jahren. Aber was die literarische Seite ihrer Protagonistin angeht, da findet Al Mansour einen guten Weg, ihr den Stellenwert einzuräumen, der ihr gebührt. Gleichzeitig stellt die Regisseurin anhand von historischen Fakten Vermutungen an, welche Erfahrungen in ihrem Leben die junge Frau wohl auf ihre Ideen gebracht haben könnte. Ob das Publikum nun die Liebesirrungen und Wirrungen zwischen ihr und dem Dichter Percy Shelley interessant findet oder nicht, das sei dahingestellt. Die Beschreibung des Weges von Mary Shelley von einer selbstbewussten, in einem hochgebildeten Elternhaus aufgewachsenen jungen Frau zur großen Autorin erzählt der Film jedenfalls mit viel Gefühl für die Zeit, ohne diese Entwicklung mit zu vielen dramaturgischen Freiheiten zu verfremden.

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So nutzt der Film das sagenumwobene und doch historisch korrekte Treffen von Mary Shelley, ihrem Mann und ihrer Schwester mit Lord Byron und dessen Leibarzt Dr. Polidori am Genfer See, wo das Quintett gemeinsam den Sommer verbrachte, als Wiege der Idee zu Frankenstein. Weil damals tatsächlich ein Wettbewerb ausgerufen wurde, bei dem jeder eine Geistergeschichte schreiben sollte. Ken Russell nutzte diese schicksalhafte Begegnung bereits für seinen 1986 entstandenen Film Gothic, ohne allerdings großen Wert auf Authentizität zu legen. In Al Mansours Film wird dieser Sommer deutlich unaufgeregter, dafür aber sehr viel glaubhafter erzählt und so gelingt es der Regisseurin, ein genaues Bild der Epoche und der jungen Frau zu zeichnen und ihren Weg zum Roman zum nachvollziehbaren Prozess zu machen, ohne viel dazu erfinden zu müssen.

A Quiet Passion

Regisseur Terence Davies nähert sich in seinem Biopic A Quiet Passion seiner Heldin auf wieder anderen Wegen. Denn er geht in seiner Betrachtung von Amerikas wohl bekanntester Lyrikerin Emily Dickinson auf das Werk und den Prozess des Schreibens kaum ein. Stattdessen nähert er sich einer Frau, die sich mit auf den ersten Blick oft schlichten Sätzen so ausdrückte, dass es bis heute viele Leser fasziniert. Hier ist es vor allem die Sprache, die Davies von seinen Protagonist:innen zelebrieren lässt und so bald klar wird, warum Emily Dickinson, die im Film jeden Tag ein Gedicht schreibt, mit Worten so gut umgehen konnte: Übung macht den Meister.

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Wenn sich Dickinson durch kluge Sätze förmlich mit Gesprächspartnern duelliert und ihr wacher Geist bei den großen Themen des Lebens aufblitzt, dann gehört das zu den gelungensten Momenten des Films, in denen erfahrbar wird, wie die Autorin, die nur selten überhaupt ihr Haus verließ, dennoch ein solches Werk schaffen konnte – mit ihrer Vorstellungskraft und ihrem ständig trainierten Sprachgefühl.

Davies lässt in seinem Film den Gedanken zu, dass nicht jeder kreative Kopf eigene Erlebnisse und Erfahrungen benötigt, um gute Literatur zu schaffen. Sondern Autoren durchaus in der Lage sein können, aus sich selbst starke Geschichten oder Gedichte zu entwickeln. Und sich ihrer oft überbordenden Phantasie zu bedienen, um ihre eigenen Welten zu erschaffen oder ihren ganz eigenen, sprachlichen Ton zu treffen.

Schreiben ist nicht filmisch

Als Fazit bleibt dennoch festzuhalten, dass Filme über Autor:innen ein holpriges Terrain darstellen, denn finanziell erfolgreich wurde keiner der hier besprochenen Werke – ganz im Gegenteil. Das mag daran liegen, dass viele Schriftsteller:innen, wie beispielsweise Tolkien, gar kein sonderlich aufregendes Leben geführt haben und Drehbuchautoren daher oft sehr nachhelfen müssen, um Spannung in etwas zu bringen, das in der Realität eben gar nicht so spannend war. Das wiederum mag genau jene Zuschauer:innen verprellen, die sich als Fan den Film ansehen und nicht die Figur wiederfinden, die sie so verehren.

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Schreiben bringt unbestritten oft große Ergebnisse hervor, der Prozess selbst gibt für das auf Optik basierende Medium Film aber nur wenig her. So ließe sich durchaus ein Film über Stephen King drehen, der genug Drama in seinem Leben erlebt hat. Als Kind vom Vater verlassen, in bitterer Armut groß geworden und auch nach seiner Heirat arm geblieben, bis Regisseur Brian De Palma den Autoren durch den Film Carrie mit einem Schlag ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Später jahrelang drogen- und alkoholsüchtig und schließlich beim täglichen Spaziergang, fast von einem Autofahrer getötet worden – all das klingt wie ein guter Stoff für einen Film. Dennoch hat King die meiste Zeit seines Lebens täglich viele Stunden in seinem Büro gesessen und geschrieben. Und welcher Regisseur würde das in den Mittelpunkt eines möglichen Biopics stellen?

So sehr das Kino die Literatur liebt und umarmt – mit den Schöpfer:innen dieser Werke tut sich der Film seit jeher schwer. Denn der Prozess, der uns alle so fasziniert und so zeitlose Werke hervorbrachte, findet in einem Kopfkino statt, zu dem der Großteil des Publikums niemals Zugang erhält – und deshalb seinen eigenen Film dreht. So bleibt die Annäherung an die Person hinter den großen Worten schwierig. Und doch gibt es Filme über Autor:innen, die zu sehen sich lohnt. Weil es ihnen gelingt, zumindest ein wenig hinter den Vorhang zu spähen, der die Lesenden vom Schreibenden trennt.

 

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