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O welch' filmische Weihnacht!

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Der Klassiker unter den redaktionellen Evergreens: Die Filmliste mit den besten, ja wirklich allerbesten Weihnachtsfilmen für die Festtage. Aber was für ein Bild von Weihnachten präsentieren uns diese Filme eigentlich? Und welche Werte werden da vermittelt? Ein Text über Familienbilder, subversive Momente und blutigen Auswege aus der Weihnachtsfalle. 

Meinungen
Christmas

Jedes Jahr das gleiche Spiel: Kaum hat der Dezember begonnen, schießen all die unzähligen Auflistungen der besten Weihnachtsfilme aus allen Winkeln des Internets. Liebesschmonzetten, die nach Festtagsbraten riechen, daran soll sich unser Herz erwärmen und die ewigen Klassiker die nostalgischen Gefühle kitzeln. Für den Weihnachtsmuffel gibt es selbstverständlich die Actionkracher, bei denen ein bisschen Weihnachtsmusik und ein kümmerlicher Weihnachtsbaum im Hintergrund für die festliche Stimmung gereicht werden, während die ältere Generation mit andächtigem Schwarz-Weiß sediert wird.

Mal ganz ehrlich, viele dieser Filme, die auf diesen Listen auftauchen, handeln streng genommen gar nicht von Weihnachten. Klar, Stirb Langsam spielt an den Festtagen und John McLane (Bruce Willis) setzt einem der Terroristen in einer Szene mal so richtig die Mütze vom Weihnachtsmann auf. Doch all das HO HO HO ist eher Fassade. Die Besinnlichkeit kommt eher aus dem Ritual der Programmierung: Der Actionkracher von John McTiernan wird deshalb als (Anti)Weihnachtsfilm aufgeführt, weil er seit Ewigkeiten im Fernsehen an den Festtagen programmiert wird und es schlichtweg zur Tradition gehört. Ähnlich sieht es bei den Gremlins oder Lethal Weapon – Brennpunkt L.A. aus.

Es ist die Nostalgie, die hier die Hauptrolle spielt. So verbinden wir mit den meisten dieser Filme ganz persönliche Erinnerung an die eigene Kindheit oder an die vergangenen Feste: eingemummelt in die Wolldecke naschen wir Lebkuchen und feuern die Actionhelden an. All das ist jetzt keine besondere Überraschung. Was aber ist mit all den anderen Filmen von A Christmas Carol bis Tatsächlich … Liebe? Steckt wenigstens dort Weihnachten drin?

Ja, und zwar jede Menge. Doch ist Weihnachten nicht nur eine Feier: Das Fest der Feste steht auch für Normen und Werte, die in all diese Filme auf ihre Weise vermittelt werden. Häufig, gerade wenn es sich um dezidierte Unterhaltungsfilme handelt, klingen die ernsten und normierenden Töne nur ganz leise an. Wirkmächtig sind sie dennoch. Besonders gerne wird das ewige Thema der (Kern)Familie bespielt – na, weil Weihnachten eben das Fest der Liebe ist und Liebe ist Familie. So einfach geht die Rechnung.

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Was für ein Familienbild vermittelt ein Film wie Schöne Beschehrung mit Chevy Chase? Was versteckt sich hinter dem Klamauk bei Kevin — Allein zu Haus? Und können uns auch Horrorfilme etwas über das Fest der Liebe erzählen? Werfen wir einen Blick auf die Familienfalle und die möglichen Auswege!

 

Bilder von heilen Familien…   

Obwohl Weihnachten so vieles für so unterschiedliche Menschen sein kann, so dominiert die Rede vom Fest der Liebe und der freudigen Familienzusammenkunft. Man stellt sich in der Tat immer eine liebevoll geschmückte Tafel vor, an der die Generationen zusammenkommen und die gemeinsame Zeit genießen. Die Realität dürfte oftmals eine andere sein.

Weil Familien nun mal sehr komplizierte Gebilde sind, ist Weihnachten immer auch eine emotionale Druckkammer, in der sich Chaos und Streit rasend schnell ausbreiten. Da ist dann der Onkel mit seinen konservativen Weltanschauungen, die unerfüllbare Erwartungshaltung der Mutter oder der immer schon unerträgliche Schwager, der sich erneut hemmungslos betrinkt. O, du fröhliche Weihnacht!

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Die filmische Verarbeitung dieser Konflikte ist vor allem durch amerikanische Mainstreamfilme geprägt. Loriots Weihnachten bei den Hoppenstedts ist im Vergleich dazu bereits subversives Kunstkino allererster Güte. Wenn sich deutsche Filme der jüngeren Zeit an dieses Genre des Weihnachtsfilms herangetraut haben, dann kamen dabei Unfälle wie Alles ist Liebe heraus, der derart schamlos schlecht bei Tatsächlich…Liebe klaut, dass die ehrenwerte Thematisierung gleichgeschlechtlicher Liebe daran auch nichts mehr retten kann. Das Eindeutschen erfolgreicher Formate – von Das perfekte Geheimnis bis Contra – ist ohnehin das zweifelhafte Erfolgsrezept deutscher Mainstreamprojekte. Viel gibt es hierzulande also in weihnachtlicher Hinsicht nicht zu entdecken. So kann ohne falsche Scheu über den großen Teich geblickt werden, denn diese ganz bestimmten Familien-Weihnachtskomödien haben die Amerikaner wahrlich perfektioniert.

 

… und von unheilen.

Egal ob es sich nun um die Grieswolds im chaotischen Schöne Bescherung, die Stones (Die Familie Stone) und ihr Schwiegertochterdilemma oder die Coopers und ihre Neurosen in Alle Jahre wieder handelt – in all diesen Filmen wird der Druck in der Familienkammer in Humor umgewandelt. Wir arbeiten in diesen lieblich-unterhaltsamen Filmen jedes Jahr aufs Neue unsere eigenen Konflikte durch und trainieren damit – so der Idealfall – eine gewisse Gelassenheit gegenüber dem drohenden Chaos und der eigenen, erzwungen Anspannung an das Familiensystem.

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Gleichzeitig steht am Ende dieser Katastrophen immer eine gütige Versöhnung, mit der die sehr klassische Idee der Familie restauriert wird. Da sitzen die Frauen bei Die Familie Stone auf dem Boden der Küche (wo sollen die Frauen auch sonst hin) und nähern sich trotz aller Unterschiede langsam an: Kochen vereint! Weihnachten wird als eine Familienfeier begriffen, in der durch das ganze Chaos hindurch ein Zusammenhalt aufscheint – Blut ist eben dicker als Wasser.

Der Haudrauf-Humor von Schöne Bescherung feiert die berühmte Ausnahme, die noch jede Regel bestätigt: Chevy Chase stellt sich als Vater derart dämlich an, dass in diesem Extrem das männliche Familienoberhaupt durch das Lachen gefestigt wird. Da kann der Baum noch so brennen, Mann und Frau bespielen die ihnen zugewiesenen Räume. Egal ob dabei die Katze qualmt oder der gesamten Familie der eigene Wille aufgezwungen wird: Weihnachten muss so sein. Das Lichtermeer, die festliche Flutlichtbestrahlung des Hauses, eigentlich schon immer der Ausdruck einer allgemeinen Midlife Crisis, sollte man in Zeiten des Klimawandels defintiv nicht mehr als Kauzigkeit durchgehen lassen. 

Nun ist Schöne Bescherung auch nicht mehr der jüngste Film. Doch selbst wenn man einige Jahre nach vorne spult und bei den Coopers in Alle Jahre wieder landet, ändert sich nicht viel. Ist alles ein wenig moderner. Gut. Das bringt die Zeit so mit sich. Doch sitzt da immer noch die ganze Familie, die das Weihnachtsessen in den Wartesaal des Krankenhauses verlegt hat (ein bisschen Spannung und Tragödie muss sein) und atmet den moralischen Imperativ gesellschaftlicher Ordnung: Bringt erfolgreich wunderbare und vor allem erfolgreiche Kinder in die Welt! Mit dem Schein dieser trauten Seeligkeit könnte man ganze Dörfer mit Strom versorgen.

Auffällig ist, wie wenig sich unsere komplexe Gegenwart in diesen filmischen Entwürfen widerspiegelt. Weihnachten ist in diesen Filmen eine ziemlich biedere, konservative und heterosexuelle Angelegenheit für die Kernfamilie. People of Colour kommen auch nicht vor. Und wenn man die eine Person fürs Leben gefunden hat, ist das Lebensziel erreicht. Fertig; die Kinderlein kommen. Der weitläufig bekannte Kanon der Weihnachtsfilme ist also ziemlich abgestanden.

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Dabei gibt es durchaus progressive Bestrebungen, zumindest schwul-lesbische Versionen dieser Familiengeschichten zu etablieren. Im schwedischen Eine schöne Bescherung kann der Vater nicht mit der Homosexualität seines Sohnes umgehen. Und im ziemlich aktuellen Happiest Season will Kristen Stewart an Weihnachten um die Hand ihrer Freundin anhalten. Dumm nur, wenn deren Eltern bislang nichts von der Homosexualität der Tochter wissen. Von deutlich queeren Ansätzen ist man immer noch sehr weit entfernt. Weihnachten ist und bleibt ein bürgerliches Fest. Zum Glück gibt es ja die Anti-Weihnachtsfilme.

 

Der Zauber der Anti-Filme

In der Tat ist es sehr wohltuend, sich den böseren Weihnachtsfilmen zuzuwenden. Gerne wird dann einfach nur auf deren Widerspenstigkeit verwiesen, die mit dem Kitsch bricht. Dabei vermitteln diese Querschläger den Geist von Weihnachten oftmals viel besser.

Ein Film, der immer hoch im Kurs steht, sobald einem nach dem Zerschmettern von Christbaumkugeln ist, bleibt Bad Santa. Darin spielt Billy Bob Thornton einen rüpelhaften Kriminellen, der die Rolle eines Weihnachtsmanns im Kaufhaus nur annimmt, um eben dieses auszurauben. Der schwarze Humor ermöglicht den Zuschauer*Innen einen moralischen Raum zu betreten, in dem untersagte Affekte und Emotionen zugelassen werden können. Scheiß auf Weih …. pardon!

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Aber mal ganz ehrlich: Wem geht diese liebreizende Zuckerbäckerfreundlichkeit an den Feiertagen nicht irgendwann auf die Nerven? Wer möchte nicht angesichts dieser Kinder-Konsumhölle laut aufschreien? Im klassischen Weihnachtsfilm geht es letztlich immer um Moral, die schnell in eine säuerliche Künstlichkeit umkippt. Auch Bad Santa erzählt am Ende eine ziemlich kitschige Geschichte; der verletzte Außenseiter-Mann findet im Umgang mit einem Kind zu sich selbst und schwört Reue. Es ist aber derart räudig, versoffen und anders erzählt, dass es näher an der Wirklichkeit ist. 

Bad Santa ist geerdeter und dadurch eben menschlich. In Billy Bob Thorntons Charakter schimmert eine abgründige Einsamkeit auf, die den Humor des Films doppelbödig werden lässt und ein gutes Beispiel dafür ist, dass gelungene Komödien immer einen tragischen Unterbau benötigen. Weihnachten, das ist eben auch ein Fest der Einsamkeit. Da draußen gibt eine ganze Menge Menschen, denen diese aufgetürmte Familienwand aus Alle Jahre wieder vor den Kopf stößt, weil es schlichtweg keine Familie gibt, mit der man sich zusammenraufen könnte.

Noch ein Beispiel gefällig? Ausgerechnet in Kevin — Allein zu Haus, einem der ganz beliebten Nostalgie-Filme, bricht dieses Thema der Einsamkeit auf sehr schöne Weise hinein, wenngleich es sich vordergründig nur um bloßes Beiwerk handelt. Im Zentrum steht natürlich das herrliche Slapstick-Feuerwerk. Kurz bevor es jedoch zu eben diesem an Fallen reichen Showdown mit den trotteligen Einbrechern kommt, trifft Kevin in der Kirche auf seinen unheimlichen Nachbarn, vor dem ihn sein Bruder am Anfang des Films noch gewarnt hat. In dieser Szene offenbart sich, dass der alte Mann deshalb so sonderlich erscheint, weil er einsam ist; er widerspricht der Norm dieser genormten Nachbarschaft, deren überdimensionierte Häuser bereits die Familienidylle zu einer Form gerinnen lassen. Das große Haus ist leer. Und weil man Tag für Tag allein den Schnee räumt, halten die bürgerlichen Augen einen für einen Serienkiller.

Die kindlich-naiven Worte, mit denen Kevin dem Mann begegnet, geben dem Film eine weihnachtliche Botschaft. Zugegeben, auch das ist letztlich Hollywood-Kitsch. Nur wie soll man denn dann überhaupt dem Kitsch an Weihnachten entgehen?

 

Blutige Weihnachten

Wer mit dem Horrorgenre etwas anfangen kann, wird hier durchaus einen Ausweg finden. Auch weil die gelungenen Filme in der Umkehrung der Lieblichkeit durchaus den Kern von Weihnachten treffen – besser als so mancher Mainstream-Hit.

Der verehrte Klassiker unter den blutigen Festtagsfilmen ist der kanadische Slasher Black Christmas von 1974, der bereits zweimal neu verfilmt wurde. Der garstige Look des Originals und das böse Ende bleiben jedoch unerreicht. Im Grunde handelt der Film von einem Serienkiller, der an Weihnachten sein Unwesen treibt und schließlich Jessy (Olivia Hussey) in ihrem schön geschmückten Zuhause an den Kragen will.

Die Gewalt des Täters richtet sich ausschließlich gegen die weiblichen Figuren. Doch wer hier vorschnell TYPISCH ruft, der solle einen zweiten Blick wagen. Der Film ist alles andere als dumm und auch keine einfache Affirmation misogyner Verhältnisse. Vielmehr gehört dieser Film zu jenen Slasher-Varianten, die von unterdrückter Sexualität erzählen. Black Christmas schließt die männliche Gewalt mit der festlichen Stimmung kurz. Indem dieser Film das keusche Weihnachtsfest besudelt, kann man durchaus von einer subversiven Note sprechen: Die Frauen werden von diesem Fest eingeschnürt, bis ihnen die Luft ausgeht.

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Selbiges gilt für den gerne von John Waters empfohlenen Christmas Evil, in dem ein Mann davon überzeugt ist, der Weihnachtsmann zu sein. In der Folge wird er all diejenige töten, die nicht dem wahren Geist der Weihnacht folgen. Ein anspruchsvoller kleiner Horrorfilm, in dem der moralischen Bigotterie der blutüberströmte Spiegel vorgehalten wird.

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Wer es letztlich weniger blutig haben möchte, dem sei Tim Burtons ernsthaftes Gothic-Meisterwerk A Nightmare before Christmas ans Herz gelegt: Darin will das Skelett Jack auch im Halloweenland ein Weihnachtsfest abhalten. In keinem anderen Film wird das Kindliche mit dem Erwachsen, das Kitschige mit dem Morbiden auf derart gelungene Weise kurzgeschlossen. Ein bisschen Gothic kann niemals schaden, wenn einem der Kerzenduft zu viel wird. Und warum sollte nicht beispielsweise The Cure vor dem Weihnachtsbaum hören?

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Es ist also nicht alles so einfach mit der Weihnachtszeit und ihrer verflixten, filmischen Rezeption. Neue Ideen findet man – wie so häufig – an jenen Orten, wo man es am wenigsten vermutet. Die schwarze Komödie oder der Horrorfilm brechen auf angenehme Weise mit der konservativen Note und der normativen Moral. Das ist bisweilen die aufgeklärtere Variante, um eine filmische Weihnacht zu feiern.

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