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Das düsterste Kapitel der Filmgeschichte

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Solange es Film gibt, war er immer wieder beliebtes Instrument zur Manipulation der Massen. In Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 schaut Katrin Doerksen zurück auf eines der düstersten Kapitel der Filmgeschichte: die antisemitischen Propagandafilme der Nazis.

Meinungen
Hitler und Goebbels bei der UFA am 04.01.1935
Hitler und Goebbels bei der UFA am 04.01.1935

Star Wars: Die letzten Jedi war der gefühlt unbeliebteste Film des vergangenen Jahres. Eine Studie des Center for the Digital Future an der USC Annenberg School for Communication and Journalism machte kürzlich aber eine vielsagende Entdeckung: Etwa die Hälfte der direkt an Regisseur Rian Johnson gesendeten negativen Tweets kam nicht etwa von enttäuschten Fans der Reihe. Sondern von Trollen, russischen Bots und dezidiert rechten Aktivisten. Immer häufiger scheint es nicht mehr um die Auseinandersetzung mit Film an sich zu gehen, sondern um Meinungsmache in einem politisch aufgeladenen Diskurs. Nirgends war das so überdeutlich wie auf dem diesjährigen Filmfestival in Venedig.

 

Kulturkampf von rechts

Film im Kulturkampf von rechts zu instrumentalisieren ist aber kein Phänomen der Trump-Ära. Schon Ronald Reagan, sich als ehemaliger Schauspieler der Öffentlichkeitswirkung des Kinos überaus bewusst, liebte Entertainment à la Rambo. Kurz vor dem Ende der Entführung des Trans-World-Airlines-Flugs 847 im Jahre 1985 wird er wie folgt zitiert: „Junge, nachdem ich letzte Nacht Rambo: First Blood II gesehen habe, weiß ich, was beim nächsten Mal zu tun ist.“ Auf staatliche Einmischung ins Filmgeschäft waren nicht nur amerikanische und auch nicht nur rechte Regierungen abonniert. So ließ das DDR-Regime mit Heinz Thiels Der Kinnhaken, Karl Gass’ Dokumentarfilm Schaut auf diese Stadt und einer Handvoll weiterer sogenannter Mauerfilme den Mauerbau im Kino rechtfertigen. Kim Jong-Il ließ 1978 sogar den südkoreanischen Regisseur Shin Sang-Ok und dessen Ehefrau, die Schauspielerin Choi Eun-hee entführen, damit sie populäre Filme für das nordkoreanische Kino produzierten. So entstand beispielsweise der Monsterfilm Pulgasari nach dem Vorbild der Godzilla-Reihe.

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Reagan über Rambo

 

Von der Instrumentalisierung von Filmen ist es mitunter also nur ein kleiner Schritt zur Propaganda. Wahrscheinlich muss man das als Spektrum betrachten: Von der vom Regisseur nicht intendierten Indienstnahme eines Films über die zwar raffiniert versteckten, aber durchaus bewusst platzierten Untertöne in Unterhaltungsfilmen bis hin zu offener Propaganda im Regierungsauftrag. Am düstersten Ende des Spektrums stehen wohl die antisemitischen Propagandafilme der Nationalsozialisten, insbesondere Jud Süß und Der ewige Jude.

 

Die Stimmung kippt

Der deutsche Film hatte sich mit antisemitischer Propaganda lange Zeit weitgehend zurückgehalten, vereinzelt Anspielungen untergebracht, gelegentlich jüdische Figuren zu Witzfiguren herabgewürdigt. Ende der 1930er Jahre nahmen antisemitische Ausfälle dann zu: Karl Antons Mit versiegelter Order inszenierte 1938 die Kollision internationaler und deutscher Interessen rund um ein deutsches Frachtschiff mit geheimer Ladung. Das 1939er Lustspiel Robert und Bertram von Hans H. Zerlett propagierte das Stereotyp des Juden als geldgieriger Emporkömmling und der Dokumentarfilm Schicksalswende stellte 1939 die Armut der Sudetendeutschen der angeblichen Verkommenheit der Juden gegenüber. Aber die Filme waren beim Publikum kein Erfolg, und insbesondere die Dokumentarfilme wurden meist nur auf parteiinternen Veranstaltungen gezeigt, waren sie doch gerade in technischer Hinsicht den Unterhaltungsfilmen und der Kriegspropaganda der Zeit weit unterlegen.

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Man muss auch mal nen Hupfer tun aus Mit versiegelter Order

 

Mit hundertprozentiger Sicherheit lässt sich nicht nachvollziehen, wie sich der Antisemitismus im deutschen Kino in nur wenigen Jahren von Andeutungen hin zu einem schier unerträglichen Film wie Jud Süß entwickeln konnte. Eine Verbindung zu den Novemberpogromen von 1938 liegt jedoch nah. Wegen seiner Affäre mit der Schauspielerin Lída Baarová war Josef Goebbels’ Karriere damals auf einem Tiefpunkt. Seine Ehefrau hatte Hilfe bei Hitler persönlich ersucht, der ihn zur Versöhnung aufforderte. Nach der Blomberg-Fritsch-Krise konnte er keinen weiteren Skandal in der Führungsriege gebrauchen, schon gar nicht bei den medial als nationalsozialistische Vorzeigefamilie inszenierten Goebbels‘. Aber auch die Pogrome selbst hatten Goebbels in ein schlechtes Licht gerückt, weil sie harsche Kritik nicht nur aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland eingebracht hatten, beispielsweise von den Kirchen. Die Leute seien einfach noch nicht genügend „aufgeklärt“, schloss Goebbels. Vielleicht könnte ein Dokumentarfilm Abhilfe schaffen.

 

„Der erste wirklich antisemitische Film“

Jud Süß und Der ewige Jude lassen sich auf keinen Fall als direkte Auftragsarbeiten zur Vorbereitung des Holocaust lesen – als ab Ende 1938 die Filmideen entwickelt wurden, gab es die Pläne zur Vernichtung der Juden noch nicht. Gemäß Parteilinie ging es eher um Vertreibung und Enteignung, wenn auch die damals geschaffenen Gesetze erst die Voraussetzungen für den Holocaust schufen. Stefan Mannes formuliert in seiner Staatsexamensarbeit über die beiden Filme die These: „Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Film Der ewige Jude und der Endlösung kann nur konstruiert werden, wenn man Hitlers Entscheidung zur physischen Vernichtung der Juden in Europa auf den Sommer 1940 datiert. In diesem Fall wäre der Film als die öffentliche Bekanntmachung dieser Entscheidung zu verstehen“. Dennoch trugen Filme wie Jud Süß oder Der ewige Jude dazu bei, Antisemitismus zu normalisieren und zu rechtfertigen. Ähnlich wie die Novemberpogrome von 1938 wirken sie so in der Rückschau wie historische Kippmomente, an denen der Hass alle Dämme brach.

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Arte-Doku: Verbotene Filme — Das Erbe des Nazi-Kinos

 

Schon Erich Waschnecks Die Rothschilds, dessen Produktion ins Jahr 1939 fiel, illustrierte Hitlers Ansicht, die britische Wirtschaft sei von Juden durchdrungen und beherrscht. Er arbeitete mit Stereotypen und Geschichtsfälschung, rief jedoch noch nicht zum Handeln gegen Juden auf. Vielmehr endete er mit der Flucht des „arischen Helden“ ins Ausland. Und so notierte Goebbels im November 1939 in seinem Tagebuch: „[…] Manuskript zum Film „Jud Süß“ gelesen. Von E.W. Möller. Ausgezeichnet geworden. Der erste wirklich antisemitische Film.“ Vom 11. Dezember 1939 ist ein Tischgespräch zwischen ihm, Chefideologe Alfred Rosenberg und Adolf Hitler überliefert, bei dem letzterer den Vorwurf äußerte, es gäbe zwar patriotische, jedoch keine wirklich nationalsozialistischen Filme. Die Demütigung könnte Goebbels angestachelt haben, die Produktionen der geplanten Filme so engmaschig wie möglich zu begleiten.

 

Der Höhepunkt des Hasses

So überredete der Propagandaminister höchstpersönlich den als Frauenschwarm geltenden Ferdinand Marian (La Habanera), die Hauptrolle des jüdischen Finanzbeamten Joseph Süß Oppenheimer in Jud Süß zu spielen, obwohl sich dieser zunächst weigerte. Die Besetzung und Starregisseur Veit Harlan sollten dem Film das Interesse des Publikums sichern und mit der Strategie, seine propagandistischen Inhalte raffiniert in der Spielhandlung zu verstecken, lag der Film ganz auf Goebbels’ Linie. Das Gegenstück dazu bildete die direkte Propaganda des Dokumentarfilms Der ewige Jude. Die beiden Filme sollten einander ergänzen, kamen deswegen kurz hintereinander in die Kinos; eine Übersättigung des Publikums fürchtete man nicht.

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Trailer: Harlan — Im Schatten von Jud Süß

 

Das Dokumentarfilmteam unter Regisseur Fritz Hippler hatte zunächst keine Drehgenehmigung für die polnischen Ghettos erhalten, die erste Klappe konnte erst nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen im September 1939 fallen. Goebbels gab die Order, sogenannte „Judentypen“ an ihren Wohn- und Arbeitsorten aufzunehmen und fuhr schließlich im Oktober selbst nach Łódź um sich vor Ort ein Bild zu machen. In seinem Tagebuch notierte er in vorauseilendem Vernichtungswillen: „Fahrt durch das Ghetto. Wir steigen aus und besichtigen alles eingehend. Es ist unbeschreiblich. Das sind keine Menschen mehr, das sind Tiere. Das ist deshalb auch keine humanitäre, sondern eine chirurgische Aufgabe. Man muss hier Schnitte tun, und zwar ganz radikale. Sonst geht Europa einmal an der jüdischen Krankheit zugrunde.“

 

Was denken die Deutschen?

Kein Film musste so viele Probevorführungen durchlaufen wie Der ewige Jude, bis auch Hitler zufrieden war. Dazu gaben 120 Künstler, Universitätsprofessoren und Vertreter aus Staat und Partei ihr Urteil ab. In einer Filmfassung, die für Frauen und Kinder gedacht war, schnitt man noch eine Szene heraus, in der eine Kuh geschächtet wird, dann gab es die Prädikate „staatspolitisch wertvoll“, „künstlerisch wertvoll“ und in der geschnittenen Fassung auch „jugendwert“. Inwieweit die Filme das Denken der Deutschen beeinflussten, lässt sich trotzdem nur schwer einschätzen. Jud Süß entpuppte sich durchaus als Publikumserfolg und Goebbels notierte: „[…] Berichte über die Aufnahme des Jud Süß im Ausland. Ganz großartig. In Ungarn hat er Straßendemonstrationen hervorgerufen. Dieser Film ist in der Tat ein neues Programm. Beweis, dass auch Filme ganz nach unserer Anschauung wirken und zünden können.“ In den Niederlanden wurde Jud Süß gezeigt, um die Bevölkerung zur Duldung antisemitischer Maßnahmen zu erziehen, in den Ostgebieten gab es erzwungene Vorstellungen, wenn Deportationen und Liquidationen bevorstanden. Der ewige Jude hingegen war kein Erfolg beschieden, nur besonders eifrige Antisemiten gingen dafür ins Kino, Schätzungen sprechen von 2 Millionen Zuschauern während des Zweiten Weltkrieges. Auch hier gab es Aufführungen unter Zwang, die wenige überlieferte Publikumsresonanz zeugt in erster Linie von Befremdung.

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Trailer: Hitlers Hollywood

 

Eine Handvoll antisemitischer Propagandafilme gab es noch nach Jud Süß und Der ewige Jude, etwa den anti-polnischen Heimkehr von Gustav Ucicky über die Vertreibung der wolhyniendeutschen Minderheit oder Hans H. Zerletts Venus vor Gericht, der sich mit „entarteter Kunst“ aus Sicht der Nationalsozialisten befasste. Dann wandten sich Goebbels und die UFA wieder in erster Linie der Kriegspropaganda und schließlich Durchhaltefilmen wie Kolberg zu. Aber auch diese Filme wurden vom Volk immer skeptischer aufgenommen, über die Jahre hatte man eine Abneigung gegen Propaganda entwickelt, die nach dem Krieg umschlug und oftmals auch zu Abwehrreaktionen gegen das Kinoprogramm der Alliierten führte.

In Zeiten, in denen grimmige Meuten durch Chemnitz oder Dortmund ziehen, wenn der Mob auf Twitter und anderen sozialen Netzwerken wütet, gilt es sich bewusst zu machen: Ziel dieser Aktionen ist nie einfach die Auseinandersetzung über Kunst. Es gilt rechte Stimmungsmache zu normalisieren und in die politische Mitte zu zerren. Ihr den Anschein zu geben, sie sei etwas, worüber man ergebnisoffen diskutieren müsse. 2018 soll nicht das Jahr sein, über das man im Nachhinein sagen muss: Es war das Jahr, in dem die Stimmung kippte.

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