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Klassiker mit Kindern: Das Fenster zum Hof

Ein Beitrag von Rochus Wolff

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Das Fenster zum Hof
Das Fenster zum Hof

In dieser Rubrik will ich in den kommenden Wochen jeweils zum Wochenende in die Kiste der Filmgeschichte greifen um (mehr oder minder große) Klassiker hervorzuheben – und zu schauen, ob und ab wann sie sich auch mit Kindern anschauen lassen. (Spoiler Alert: In den meisten Fällen ist das super.)

In Ali Mitgutschs Wimmelbuch Rundherum in meiner Stadt gibt es eine Doppelseite, die mir aus meiner Kindheit besonders im Gedächtnis geblieben ist: ein Längsschnitt durch ein Hochhaus, mit Treppenhaus und Aufzug, vor allem aber Einblick in die Wohnungen und Räume jedes Stockwerks. Eine Frau wendet gerade mit flottem Wurf einen Pfannkuchen, ein Zahnarzt werkelt im Mund eines Kindes herum, eine ältere Dame klopft mit dem Besenstiel gegen die Decke, weil im Raum über ihr drei junge Leute anscheinend vor einem Poster der Beatles (das Buch entstand in den späten 1960ern) Tanzbewegungen machen.

Alfred Hitchcocks Das Fenster zum Hof fühlt sich ganz ähnlich an: Weil sein Bein in Gips liegt, sitzt der Fotograf L.B. Jefferies in seiner Wohnung fest. Aus Langeweile beobachtet er, mit Fernglas und Teleobjektiv bewaffnet, die Nachbar_innen in den Wohnungen auf der anderen Hofseite: die Tänzerin mit den vielen Verehrern, der Musiker und Komponist, dem es anscheinend an Ideen mangelt, die einsame Frau und das Ehepaar, das über ihr wohnt – um nur einige zu nennen.

Seine Freundin Lisa kommt regelmäßig vorbei, die Rede ist von Hochzeit und solchen Dingen, aber der Mann will sich nicht recht binden, er gefällt sich zu gut in der Rolle des freien Abenteurers, der an unwirtliche Orte fährt, um dramatische Aufnahmen zu machen. Ob er es sich vielleicht also wirklich nur um der Aufregung halber einbildet, dass in einer der Wohnungen gegenüber ein Mord geschieht?

Hitchcocks Thriller ist ein Kammerspiel, das die Perspektive umdreht: Aus engem Raum blicken wir mit dem Protagonisten auf eine begrenzte Welt. Das Kino als voyeuristische Kunstform wird hier nicht unbedingt sehr verklausuliert gleich mit problematisiert, während die Zuschauer_innen mit James Stewart und Grace Kelly zwei wunderschöne Hauptdarsteller_innen beobachten dürfen.

Das ist, in seiner klaren Begrenzung, in seiner Reduktion auf Andeutungen (es gibt keine sichtbare Gewalt jenseits unblutiger Drohungen aus der Entfernung und nur ein paar kurze Gespräche über einen womöglich zerteilten Körper) ein Thriller aus reiner Imagination, ein perfekter, weil in Dramaturgie und Mysterium völlig geradliniger Einstieg in dieses Genre.

FSK 12, empfohlen ab 14 Jahren

Auf zahlreichen Plattformen als VoD verfügbar.

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