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Darling der Woche

Rewind, Repeat: Eine Liebeserklärung an die Wiederholung

Ein Beitrag von Bianka-Isabell Scharmann

Meinungen
a lot of TVs
"Wiederholung"

In der letzten Zeit habe ich viel über die Wiederholung nachgedacht; über das wiederholte Sehen und das Wieder-Sehen. Im Angesicht von unendlich erweiterbaren ‚Watch-Lists‘, die neben dem Versprechen des nächsten ‚Hits‘ auch Druck aufbauen – ja nicht locker lassen, immer auf dem Laufenden bleiben, man will ja mitreden können –, erscheint man schon fast rebellisch, wenn man es wagt, Filme und Serien zu wiederholen. Sie wieder und wieder zu sehen. Doch die Wiederholung ist wichtig, ist sie doch selbst eine Liebeserklärung an das bewegte Bild, das in seiner Medialität auf ‚rewind, repeat‘ angelegt ist. Und nicht zuletzt gehört die Wiederholung zur Geschichte des Films und all seiner Seh- und Spielorte selbst.

 

Der Druck wächst: Jetzt neu auf …

Alle, die ein Netflix- oder Amazon-Prime oder Abo irgendeines anderen Streaming-Anbieters haben, kennen das Dilemma in der ein oder anderen Form: die ‚Watch-List‘, die nur länger wird und nie kürzer, voll von Filmen und Serien, die man noch sehen will oder unbedingt sehen soll, eine Liste, die viel schneller wächst als dass sie abgearbeitet werden kann. Dieser Trend hin zur ‚digitalen Überforderung‘, zum digitalen Überangebot verstärkt sich zurzeit noch im Angesicht der Corona-Krise. Ich sage nicht, dass weniger verfügbar sein sollte – im Gegenteil. Es ist gut, dass beispielsweise Archive ihre Filme zugänglich machen, dass es ein mittlerweile diverser werdendes Angebot gibt, auch abseits der beiden oben genannten Platzhirsche. So eröffnen sich wunderbare Möglichkeiten für Filmgenuss – gleichzeitig ist man aber auch selbst stärker gefragt. Was schaue ich mir als nächstes an? Und da traut man sich fast gar nicht zu fragen: Kann man es sich da noch ‚leisten‘, Filme und Serien zu wiederholen? Man kann es sich nicht nur leisten — man sollte es auch. Denn erst im wiederholten Sehen erschließen sich Bedeutungsebenen, spürt man Details auf, die sonst verborgen bleiben würden und, nicht zuletzt, in der Wiederholung konstituiert sich das Verhältnis dem geliebten Film oder der faszinierenden Serie gegenüber immer wieder neu.

 

Ein persönliches Beispiel: UnReal sehen – und erinnern  

Vor kurzem habe ich begonnen, UnReal auf Amazon Prime noch einmal von vorne zu sehen – die Serie kommt mittlerweile auf vier Staffeln. Sie ist hochkomplex, zeigt sie doch nicht nur wie eine Reality-TV-Show entsteht und die Machenschaften im Hintergrund, sondern hält auch gleichfalls unserer Realität einen Spiegel vor, zeigt, zeigt wie Realitäten manipuliert – im TV-Sprech ‚produziert‘ – werden, wie die Bilder, die das Fernsehen sendet abhängig sind von ökonomischen Zwängen, gesellschaftlichen Diskursen, dem Willen, eine spannende Geschichte zu verkaufen, kurz gesagt all das, was es bedeutet‚ to make good TV‘. Die Frage ist letztendlich: wer produziert hier wen? Und zeigt, wieder einmal, dass es kein außerhalb des Medialen gibt. Auch in der Serie selbst laufen Bilder in der Wiederholung.

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Jede einzelne Staffel hatte ich, nach ihrer Veröffentlichung, weggebingt. Ich weiß nicht genau, wie lange ich brauchte, aber Wochen waren es sicherlich nicht. Das jetzige Wiedersehen mit den Folgen hat mich wirklich erstaunen lassen: Konnte ich mich an einige der Verwicklungen in der ersten Serie noch erinnern, vor allem an die Charakter-Konstellationen, so war das Ende vollkommen aus meiner Erinnerung ausradiert. Um die zweite Staffel stand es noch schlimmer: es war, als würde ich sie wieder zum ersten Mal sehen. Aber auch nicht ganz, denn ein Echo des ersten Sehens konnte ich durchaus vernehmen. Drauf verlassen allerdings nicht. 

Außer einigen Gesichter war wenig haften geblieben. Und schon gar nicht erschlossen sich mir die vielen Bedeutungsebenen, die Feinheiten der Machtspiele, die kleinen Anspielungen und Gesten, die Merkmale bestimmter Gruppenzugehörigkeiten. So entging mir etwa vollkommen, dass Coleman Wassermann (Michael Rady) Rachel Goldberg (Shiri Appleby) sehr oft ‚Vassar‘ nennt – das Elitecollege, von dem Rachel ihren Abschluss erhielt. Es ist ein Hinweis darauf, dass Wassermann eine erfolgreiche Partnerin will, eine, die Prestige mit in die Partnerschaft (berufliche wie private) bringt, die leisten kann und will. Dass er Rachel fallen lässt und sich einer anderen zuwendet, einer erfolgreicheren, hübscheren Version Rachels – ‚Hot Rachel‘ Yael (Monica Barbaro) – nachdem Rachel sich ihm anvertraut, hätte man allein an diesem kleinen Wort schon erkennen können. Vielleicht hatte ich es auch erkannt. Erinnern konnte ich mich jedenfalls nicht daran.

Wenn man bingt, vor allem Serien, entsteht förmlich ein Sog. Es geht um das Erleben desselben, der einen mit sich fortreißt, der einen atemlos werden lässt, aus dem man am Ende desorientiert auftaucht und sich verwundert die Augen reibt. Wo ist all die Zeit hin? Es ist eine Möglichkeit, sich aus dem Alltag forttragen zu lassen, für ein paar Stunden zu vergessen, wie viel Uhr es ist. Der Rausch ersetzt die Erinnerung der Bilder durch ein Gefühl.

 

Formen von Wieder sehen

Die Wiederholung scheint zurzeit auf der Strecke zu bleiben, die jedoch zur Liebe zum Film – wie auch zur Serie – dazu gehört, ja sogar Teil der Geschichte des Kinos ist, des filmischen Mediums selbst: Filme, die man sich im Kino wieder und wieder ansah; Filme, die man zu Zeiten der flächendeckenden linearen Programmierung wieder und wieder im Fernsehen sah. Filme, die man auf DVD besitzt und wieder und wieder abspielte. Videokassetten, die Abnutzungsspuren der Liebe aufweisen. Ja, auch der Tod des Bildes selbst ist Teil des Kreislaufes aus Sehen und Wiederholen.

Ein wunderbares Beispiel der zerstörerischen Liebe ist der Film Superstar: The Karen Carpenter Story. Er ist nur über bootleg Videos im Untergrund zirkuliert, da er wegen Copyright-Problemen aus dem Verkehr gezogen werden musste. Fans haben Videos kopiert, verbreitet und gezeigt. Die Version, die online zu sehen ist, scheint mir bearbeitet zu sein – oder eine bessere als ich sie zuletzt sah. Die Faszination mit den Carpenters und die mit dem Film selbst haben ihn fast zerstört, vieles unkenntlich gemacht. Und gleichzeitig sind die hunderten Male des Abspielens eingeschrieben. Die Liebe zur Wiederholung.

Auf Twitter erreichte mich vor ein paar Tagen ein Post, in dem es um subtile, visuelle Hinweise ging: Vier Screenshots von Ex Machina zeigten, wie eng im Film Textilien, Texturen, Gesten und Mode verwoben sind. Schon vor Jahren habe ich den Film mehrmals für einen Text gesehen – denn auch darum geht es bei der Wiederholung, um eine Form von Studium. Doch, konnte ich mich an diese Bilder erinnern? Kann ich sie in den Erzählfluss einordnen? Nach diesem Tweet war jedenfalls klar, dass ich die DVD aus dem Regal holen und einlegen würde - meine diversen Watchlisten haben zu warten.

Denn DVDs sind nicht nur dazu da, um gesammelt zu werden, sondern auch, um Filme – und Serien – wieder zu sehen. Es ist das Versprechen eines Wiedersehens, das Versprechen der Wiederholung, das man mitkäuft. Und auch die Filme und Serien in den Mediatheken, auf den Streaming-Plattformen lassen sich erneut ansehen, man kann sie, erneut – jedoch wahrscheinlich anders – durchleben. Denn auch jede Wiederholung ist eine neue Begegnung. Man nimmt bestimmte Details stärker wahr als andere, einzelne Aspekte treten in den Hinter-, andere in den Vordergrund.

Ich bin mir nicht sicher, wie oft ich schon Gone with the Wind gesehen habe. Und jedes Mal sehe ich diesen Film anders, jedes Mal entdecke ich eine neue Seite der Beziehung zwischen mir und Scarlett O’Hara (Vivien Leigh). Und ich lasse mich immer wieder gerne darauf ein. Auf die Wiederholung und damit auf eine ganz bestimmte Liebe zum bewegten Bild.

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