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Darling der Woche

"Framing Britney Spears" und die Misogynie der Medien

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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"Framing Britney Spears" von Samantha Stark
"Framing Britney Spears" von Samantha Stark

„Stresslevel: Britney 2008.“ Diese Worte, gern in Kombination mit einem Foto der Sängerin mit frisch geschorenem Kopf, waren in den letzten Jahren ein gern geteiltes Meme in den sozialen Medien. Aber etwas hat sich in jüngster Zeit gedreht: Während die Boulevardmedien in den 2000er Jahren in erster Linie damit beschäftigt waren auf Britney Spears einzudreschen, ihr Reporter auf den Hals zu jagen und jeden zu interviewen, der ihr je einen Haarschnitt verpasst hatte, sind heute öffentliche Entschuldigungen an der Tagesordnung.

Der Auslöser: Ein Dokumentarfilm der Reihe The New York Times Presents, in den USA seit gut zwei Wochen auf Hulu und FX verfügbar. Framing Britney Spears von Samantha Stark beginnt bei einer Kindheit in Louisiana, verfolgt die ersten Karriereschritte und den unvergleichlichen fame, den Britney Ende der 1990er Jahren als Teenie-Kaugummipop-Sensation erlangte, bis zu ihrem öffentlichen meltdown, der 2009 in einem Gerichtsbeschluss endete: Seitdem ist Britney Spears keine mündige Erwachsene mehr. Ihr Vater entscheidet über ihre Finanzen, über die Erziehung ihrer Söhne, ihre Karriere, ihre Interviews.

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Über Social Media formierten sich schon vor Jahren Fans zur Bewegung #FreeBritney, denn tatsächlich erscheint ihre Behandlung zweifelhaft: Wie kann jemand in der Lage sein regelmäßig hochgradig anspruchsvolle Performances auf riesigen Bühnen in Las Vegas hinzulegen, gleichzeitig aber so unfähig sein, dass er einen Vormund erhält wie sonst eher sehr alte oder demente Menschen? Es verwundert kaum, dass der Beschluss von 2009 derzeit vor Gericht angefochten wird. Britney Spears plädiert dafür einen neuen Vormund einzusetzen, sie habe Angst vor ihrem Vater.

Der Konflikt ist also nichts Neues. Neu ist aber durchaus die Wucht, mit der der nun erschienene Dokumentarfilm dem ganzen Anliegen Aufmerksamkeit verschafft hat. Nur kurz nachdem Framing Britney Spears online ging, meldeten sich die ersten Britney-Fans in den sozialen Medien zu Wort und verlangten nachdrücklich Entschuldigungen. Denn wenn Samantha Stark in ihrem Film eines schafft, dann den regelrechten Ozean an Berichterstattung über Britney Spears so zu filtern und neu anzuordnen, dass auf beklemmende Weise deutlich wird, wie die Sängerin, die meiste Zeit über, noch nicht einmal volljährig, zum Opfer eines misogynen medialen Systems wurde. In seinem Musikvideo zu Cry Me A River deutete Britneys Exfreund Justin Timberlake damals an, sie habe ihn betrogen. Die Moderatorin Diane Sawyer überschritt kurz darauf in einem Interview sämtliche Grenzen, fragte immer wieder: „Was hast du ihm angetan?“, drängte sie, an ihre Vorbildfunktion für amerikanische Teenager zu denken. Boulevardzeitungen bezahlten eigene Reporter, die sich ausschließlich an Britneys Fersen hefteten. Dazu die unentwegte Sexualisierung, von der 16-Jährigen im Lolita-in-Schuluniform-Look für Baby One More Time über Journalisten (meist also wesentlich ältere Männer), die sie aufdringlich zu ihrer Jungfräulichkeit und über ihre Körperteile befragten.

 

 

Dass Framing Britney Spears jetzt veröffentlicht wurde, ist exzellentes Timing. Nicht nur, weil dieser Tage die Gerichtsverhandlungen im Fall Spears gegen Spears stattfinden. Sondern auch, weil inzwischen die Kinder und Teenager der Neunziger, die Britney-Spears-Poster an den Wänden hatten und die damalige Berichterstattung in den Magazinen vergleichsweise stumm verfolgten, heute selbst über Social-Media-Accounts verfügen und in den Redaktionen sitzen. Weil inzwischen auch Stars offener über psychische Probleme sprechen, ein größeres Bewusstsein für die Folgen aggressiver Berichterstattung herrscht und misogynes Verhalten häufig einen öffentlichen Aufschrei nach sich zieht. Und siehe da: Justin Timberlake entschuldigte sich öffentlich auf Instagram bei Britney und Janet Jackson, der Klatschblogger Perez Hilton zog ebenso nach wie einzelne Magazine. Die Aufregung, mit der über und ausgehend von Framing Britney Spears diskutiert wird, wer Schuld an Britneys Misere trägt, erinnert an den True-Crime-Hype.

Erledigt ist das Problem damit aber noch nicht. In den 2000er Jahren haben wir die Klatschmagazine mit Britney auf dem Cover gekauft, heute stürzen wir uns auf eine Doku und ihre Social-Media-Präsenz. Britney Spears ist nach wie vor ein Produkt mit hohem Marktwert und die Frage, wer daran genau verdient, bleibt bestehen. 2008 brachte das übrigens schon die Cartoon-Sitcom South Park exzellent auf den Punkt. In der Episode Britneys New Look (übrigens eine Adaption von Shirley Jacksons berüchtigter Kurzgeschichte The Lottery) begeht die Sängerin, gequält von den ewigen Witzen auf ihre Kosten, einen Suizidversuch und verliert dabei zwei Drittel ihres Kopfes. Doch sie überlebt und wird von ihren Managern zu weiteren Auftritten gezwungen, bei denen die Leute ihre Entstellung völlig ignorieren und stattdessen ihre Performance kritisieren, um schließlich von Paparazzi und Dorfbewohnern überwältigt zu werden. Die grausige Erkenntnis: Die große Zerstörung eines amerikanischen Teenie-Idols geschieht bewusst, als Menschenopfer. Ein bisschen zivilisierter vielleicht als eine Steinigung, aber am Ende mit dem gleichen Resultat. Die Metapher ist alles andere als subtil — aber letzten Endes bewies South Park dabei mehr Mitgefühl als die meisten von uns.

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