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Streaming-Tipps

Streaming-Tipp des Tages: Wolfsnächte

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Meinungen
Filmstill zu Wolfsnächte / Hold the Dark (2018)
Wolfsnächte (2018) von Jeremy Saulnier

Mit beängstigender Langsamkeit steigert sich das Bedrohungsszenario – alles beginnt ganz still. Ein schweres Trauma lastet auf der ersten Hälfte dieses Films: 4 Jahre ist es her, dass die Eltern von Dwight (Macon Blair) ermordet wurden. Seitdem lebt der Mann in seinem Auto, ernährt sich von Essensresten, die er aus den Mülleimern sammelt. Dann ereilt ihn die Nachricht, dass der Mörder seiner Familie aus dem Gefängnis kommt und ein lange gereifter Plan der Rache will in die Tat umgesetzt werden. Mit seinem Revenge-Thriller Blue Ruin hinterließ der amerikanische Filmemacher Jeremy Saulnier 2013 eine eindrückliche Visitenkarte in Cannes. Nach der völlig belanglosen Horrorsatire Murder Party setzte der Regisseur buchstäblich alles auf eine Karte. Ein Großteil des mit 430.000 Dollar überschaubaren Budgets wurden mit der eigenen Kreditkarte bezahlt. Diese Kompromisslosigkeit spiegelt sich auch in den Filmen wieder, deren Figuren sich jeder Küchenpsychologie entziehen und deren Gewalt von einer unerbittlichen Rohheit sind, dass man glaubt, jeden Schlag selbst einzustecken.

Green Room, über eine Punkband, die von Nazis eingekesselt wird, ist ein adrenalintreibender Horrortrip, der gleichzeitig ein präzises Bild subkultureller Machtdynamiken entwirft; geradlinig und hart, wie ein Stück der Dead Kennedys. Das Genrekino hatte einen seiner neuen Helden gefunden – und dann folgte Wolfsnächte (Hold the Dark), die Verfilmung des gleichnamigen Romans von William Giraldi. Bis zu diesem Film konnten sich sehr viele auf Jeremy Saulnier einigen. Mit dem Erscheinen dieses dunklen und rätselhaften Films auf Netflix ging ein tiefer Riss durch die Fangemeinde. Bis heute will dieser Film einfach nicht an Popularität gewinnen und wird auch durch den Algorithmus des Streaming-Giganten eher in den Hintergrund gedrängt — zumindest fühlt es sich so an.

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Zustimmen und ansehen

Dabei ist dieser Film ein Geschenk eigenwilliger Filmkunst, dem man durchaus eine Chance geben sollte. Erzählt wird die Geschichte des Wolfspezialisten Russel Core (Jeffrey Wright), der zu einer abgelegenen Siedlung in Alaska gerufen wird: Wölfe hätten einen Jungen getötet. Die Mutter bitten darum, die Tiere zu jagen, einen der Wölfe zu töten. Bald zeigt sich, dass von den Tieren überhaupt keine Gefahr ausgeht. Vielmehr ist es der Mensch, der in dieser Gegend zur Bestie wird. Der Mensch ist dem Menschen ein Menschwolf.

Jeremy Saulnier hat einen eiskalten Film gedreht, der auf der Grenze zwischen Mensch und Tier wandelt. In dieser Zwischenwelt lassen sich die Dinge nicht mehr klar einordnen und Menschlichkeit und Moral beginnen zu verschwimmen. Eben diese Ambivalenz mag mitunter verunsichern, weil Wolfsnächte in der Tat nicht viel bietet, an dem man sich festhalten kann. Lässt man sich darauf ein, wird man in das Herz der Finsternis gezogen. 

Immer noch bei Netflix. Herzlichst empfohlen.      

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