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Couchperle: So so British!

Diese Woche ist mit „The Old Oak“ ein neuer Ken-Loach-Film gestartet. Der Regisseur ist für viele ein Synonym für britisches Kino – zumindest, wenn es um die Arbeiterklasse geht. Das ist aber natürlich nicht alles: Wir haben ein paar weitere ur-britische Filme und Motive zusammengetragen. 

Meinungen
The Wicker Man / The Old Oak / Ein Fisch namens Wanda
The Wicker Man / The Old Oak / Ein Fisch namens Wanda

Rock’n’Roll, die Royals, Fish’n’Chips und Backstein … Es ist so einfach, beim Blick auf die Insel in die Klischees abzurutschen. Auch mancher Film hat das getan. Aber was verrät uns das britische Kino wirklich, auch zwischen den Zeilen, über Britishness? Eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit, von Working-Class-Realismus bis zu überdrehten Komödien.

Working Class People

I wanna live like common people I wanna do whatever common people do Wanna sleep with common people I wanna sleep with common people

(Pulp, Common People)

Die britische Gesellschaft ist mit unserer nur schwer zu vergleichen. Auch bei uns in Deutschland gibt es Klassen. Einen derart starken und empathisch-stolzen Begriff von Working Class haben wir nicht. Das ist eine ganz eigene Kultur, mit einer eigenen Art sich zu kleiden, Bier zu trinken und zu wohnen. Das geht einher mit einer genuinen Ästhetik, die sich auch im Widerstand gegen Thatcher nochmal verfestigt hat. Kulturfremd ist das nicht: Eine Band wie Oasis, um das zerstrittenen Brüderpaar Liam und Noel Gallagher, verkörperte diesen Geist eine ganze Weile in Perfektion. 

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Im Kino hat sich der Ausdruck Kitchen-Sink-Drama herauskristallisiert. Das ist eine besondere Form von Sozialrealismus, der den Menschen in ihr Zuhause folgt. Ken Loach ist einer der Protagonisten dieses Kinos. Seine Filme – von Kes (1969) bis Ich, Daniel Blake (2016) – sind Porträts einer Arbeiterklasse. Der andere große Name ist Mike Leigh, dessen Stil sich deutlich von Loach unterscheidet.

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Mit größerer Komplexität und weniger Moral nimmt sich dieser Regisseur seiner Figuren an. Naked (1993) ist das wohl düsterste Porträt eines Non Working Man. Und All Or Nothing (2002) entfaltet eine melancholische Traurigkeit, in der man auch Trost finden kann.

Ein Geheimtipp: Der tragisch-ungeschönte Liebesfilm Tyrannosaur – Eine Liebesgeschichte, der die Gefühlswelt der Working Class als Trauma aufschlüsselt und doch nicht ohne Hoffnung ist.

Sebastian Seidler

Die Musik(kultur)

Auf Aktion folgt Reaktion, auf jede gesellschaftliche Eigenart eine entsprechend rebellische Gegenbewegung. Im – so will es das Klischee – so zugeknöpften Großbritannien ist der Drang nach freier Entfaltung im Blick auf Kultur, Sexualität und Werte deshalb umso größer. Und wo könnte sich diese Revolution besser widerspiegeln als in der Musik? Eben. Als die Rock- und Popmusik in den 1960ern aus den Radios verbannt wird, entstehen deshalb die Piratensender – wortwörtlich: Schwimmende Studios auf Booten, die von der Küste aus senden.

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Radio Rock Revolution erzählt von dieser Episode der britischen Musikkultur als luftig-alberne, aber unglaublich herzliche Komödie, mit einem fantastischen Ensemble (unter anderem Philip Seymour Hoffman, Bill Nighy und Emma Thompson) und natürlich einem nicht minder fantastischen zeitgenössischen Soundtrack. Da kann man sogar ganz ohne Gewissen ein bisschen nostalgisch werden.

Christian Neffe

Der Horror der Provinz – Folkhorror

Folkhorror ist ein weites Feld und es ist sicher keine ausschließlich britische Erfindung. Allerdings kommen die drei großen Klassikers des Subgenres von der Insel: Witchfinder General (1968), The Blood on Satans Claw (1971) und The Wicker Man (1973) sind die fixen Koordinaten, auf die sich jede darauffolgende Variante mehr oder weniger bezieht. Ben Wheatley wird mit Kill List und Sightseers und vor allem mit A Field in England drei moderne Aktualisierungen vorlegen. Auch Alex Garland lädt seinen phänomenalen Horrorfilm Men mit mythischen Bezügen zu Pantheismus, Männlichkeit und Sexualität auf. 

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Was daran so britisch ist? Der Bezug auf keltische Traditionen, die ihre Spuren im UK hinterlassen haben, geben diesen Filmen einen eigentümlichen Touch. Verbunden mit einer eher zugeknöpften Öffentlichkeit in Bezug auf Sexualität, spielen diese Filme ostentativ mit dem Tabubruch: Die Nacktheit, gerade in den frühen Filmen, ist weit von Trash entfernt. Es ist eine provokative Intervention. Hinzukommt die Landschaft auf der Insel: Man kann sich The Wicker Man nicht ohne diese Aufnahmen vorstellen.  

Sebastian Seidler

Die Stocksteife

Die Briten, die sind doch alle ein bisschen steif, spießig und ganz und gar unlocker. Auf dieser Prämisse, diesem so argen Klischee, haben bereits die Ulk-Onkel von Monty Python mit ihrem wild-anarchistischen Humor aufgebaut, gegen den „feinen englischen Humor“ mit Gaga-Gags, billigen Cartoons und Nonsens-Pointen aufbegehrt. Am effektivsten nimmt man so etwas aber natürlich aufs Korn, indem man den direkten Vergleich und Kontrast schafft. Kaum einem Film gelingt das besser als Charles Crichtons Ein Fisch namens Wanda.

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In der 1988er-Krimikomödie will ein Gaunerquartett große Beute machen. Darunter der Kampfsport- und Waffennarr Otto (Kevin Kline), in dem das Stereotyp vom aggressiven, gewaltgeilen Amerikaner seine Verkörperung findet. Der Jurist Archie (John Cleese) wiederum, an den sich Ottos Geliebte Wanda (Jamie Lee Curtis) ranmacht, ist der Prototyp des stocksteifen, überkorrekten Briten. Ein Fisch namens Wanda arbeitet sich in diesem Gegenspiel genüsslich und in höchstem Maße unterhaltsam an „Typisch amerikanisch“- und „Typisch britisch“-Klischees ab.

Christian Neffe

Klischees und derbe Sprache

Vier Hochzeiten und ein Todesfall war der internationale Durchbruch für Hugh Grant und ein echter Überraschungserfolg. Der Film von Mike Newell und Drehbuchautor Richard Curtis, der zwar in Neuseeland geboren ist, aber als Autor zahlreicher britischer Comedyserien, darunter Mr. Bean, zweifellos als Experte für den englischen Humor gelten darf, prägte 1994 das Bild Englands in Hollywood. Und man könnte meinen, Curtis hätte den Überraschungserfolg vorhergesehen: In sein Drehbuch sind US-amerikanische Figuren eingebaut, über die von Seite der Brit*innen eifrig gespottet und auf kulturelle Unterschiede verwiesen wird. Gerade als der besonders freche Gareth volltrunken ist und einen Schottenrock trägt, gerade als wandelndes Klischee, kann er die älteren Damen von Übersee, die Teil einer Hochzeitsgesellschaft sind, besonders beeindrucken. Mr. Bean aka Rowan Atkinson darf übrigens in einem Gastauftritt als nervöser Traupfarrer seine typische tollpatschige Comedy in den Film einbringen.

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Auch schon in der Produktion spielten kulturelle Unterschiede eine Rolle: Der US-Vertrieb kommunizierte regelmäßig über den Atlantik, um zu fordern, der Sex und die derbe Sprache sollten aus dem Film gekürzt werden, damit er international funktionieren kann. Am Ende hat er womöglich gerade deshalb funktioniert, weil die britische Art, Geschichten zu erzählen weniger prüde ist.

Der Titel ist Programm: Vier Hochzeiten und ein Todesfall zeigt Grants Figur Charles und seine Freund*innen ausschließlich im Kontext dieser sozialen Zusammenkünfte. Wie ihr Leben sonst aussieht, was sie beruflich machen, sogar der Grund dafür, dass Charles’ Love Interest Carrie (Andie MacDowell) zwischen England und den USA pendelt, wird nie erwähnt. Ob das US-Publikum mitgeschnitten hat, dass die Obsession so vieler (Nicht-nur-)Hollywood-Liebeserzählungen mit dem Heiraten hier durchaus persifliert wird, wenn Grants Figur am Ende seine Angebetete fragt, ob sie das Heiraten nicht zur Abwechslung sein lassen können, nachdem er den ganzen Film über gestresst von einer Trauung zur nächsten gehetzt war?

Die Szene, in der die beiden endlich zusammenfinden, findet natürlich in strömendem Regen statt, den die Figuren vor lauter Verliebtheit gar nicht mehr bemerken. Very British, very cute.

Mathis Raabe

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