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Couchperle: Die Welten des Brandon Cronenberg

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

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Cronenberg_Brandon
Antiviral / Possessor / Infinity Pool

Mit Infintiy Pool läuft derzeit der dritte Streich von Brandon Cronenberg in den deutschen Kinos. Nach seinem hochinfektiösen Antiviral und dem grimmigen Sci-Fi-Horror Possessor, bleibt der Sohn von Regie-Legende David Cronenberg auch hier seinem Thema treu: Dem Horror der Identitätsbildung wird in einer Tour de Force auf den Grund gegangen. Der erfolglose Romanautor James (Alexander Skarsgård) sucht ausgerechnet in einem Hotelressort nach Inspiration. Er ahnt nicht, dass es vor allem eine Reise in den Selbstverlust wird, auf der das Ich das Selbst verzehren wird. Mit seiner Frau Em (Cleopatra Coleman)  trifft er auf ein harmlos wirkendes Paar: die verführerische Gabi Bauer (Mia Goth) und ihren Mann Alban (Jalil Lespert). Als bei einem Ausflug an den Strand ein Mann zu Tode kommt, droht die Todesstrafe – schließlich werden in dem kleinen (fiktive) Inselstaat bereits Kleinigkeiten (Alkoholkonsum, sexuelle Ausschweifungen) unter drakonische Strafen gestellt. Einen Ausweg gibt es allerdings: Man kann für einen hohen Geldbetrag einen Doppelgänger von sich erschaffen lassen und diesen in den Tod schicken. Damit tun sich völlig neue moralische Freiheiten auf. Was aber verliert man eigentlich bei dieser Verdoppelung? Und war es wirklich der Doppelgänger, der da sein Leben gelassen hat? Wer ist das Doppel und wer das Original? 

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Diese Fragen stehen auch bereits beim Vorgängerfilm im Vordergrund. Darin hat sich eine geheimnisvolle Agentur darauf spezialisiert, Agenten in das Bewusstsein von Menschen zu schleusen, um mit deren Körper den perfekten Mord zu begehen. Andrea Riseborough spielt eine solche Auftragskillerin, die sich jedoch mit ihrem Gewissen auseinandersetzen muss. Zudem beginnt das Bewusstsein der Wirte zu rebellieren und gegen sie zu arbeiten: Wer behält in diesem mörderischen Wahnsinn die Kontrolle? Auffällig ist, wie auch in Possessor mit Figuren der Verdoppelung gespielt wird, die im Grunde für die komplexe Form der Reflexion stehen, die nur im Selbstbezug möglich ist. Das Fremde im Ich wandelt Cronenberg in irritierende Bilder der Gewalt um. Das Großartige daran: Jede noch so brutale Szene trägt den Schmerz und die Wut der Protagonisten in sich.

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Vor dem Besuch von Infinity Pool lohnt es sich, Possessor anzusehen. Einmal, weil beide Filme in einer ähnlichen, etwas unterkühlten Welt spielen. Zudem ermöglicht dieser Film einen leichteren Zugang zu Cronenbergs Thema, weil unter den abstrakten Gedankenexperimenten noch eine herzzerreißende Familiengeschichte liegt, die Möglichkeit der Identifikation größer ist. Dahingehen ist Infitinity Pool kompromisslos: Alle Figuren wandeln sich, werden im Verlauf des Films immer leerer und unbegreiflicher. Bei einem Film, in dem es um das Abstreifen der Identität geht, ist das völlig folgerichtig.

Man kann aber noch einen Schritt weiter zurück gehen und sich in den Albtraum von Antiviral, dem unterschätzen Debüt des Kanadiers, stürzen. Dessen Prämisse ist höchst bizzar: In einer nicht näher bestimmten Zukunft kann man seinen großen Idolen nahe sein, in dem man sich deren Viren und Krankheiten spritzen lässt. Herpes wie Keanu Reeves? Viraler Infekt à la Lady Gaga? Kein Problem. Mit diesem Geschäftsmodell verdient eine Firma wahre Unsummen. Einer der Mitarbeiter möchte etwas vom Kuchen abhaben und schmuggelt die infektiöse Ware hinaus, um sie auf dem Schwarzmarkt zu verticken. Dann infiziert er sich jedoch mit einem tödlichen Virus und kommt einem Mordkomplott auf die Schliche. 

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Nicht alles am Debütfilm Antiviral ist schon gelungen. Mitunter ist der Film zu lang und das Tempo zu elegisch. Dennoch gelingt es Cronenberg, eine schlüssige Welt zu erzählen und den viralen Wahn beim Wort zu nehmen: Starkult kann tödlich enden, wenn man sich zu sehr mit den medialen Bildern identifiziert. Auch hier geht es letzten Endes um Identität. Das Virus verbindet die Subjekte, lässt sie sich in ihrer Verletzlichkeit annähern.

Eben diese gesellschaftskritischen Töne, die das Werk von Brandon Cronenberg durchziehen, sind ein wesentlicher Unterschied zum verehrten Vater, dessen Welten hermetischer sind, selbstreferentieller. Und auch wenn die Art der Gewaltdarstellung ähnlich ist, geht es dem Sohn eher um die Seele, die in der Tiefe der Körper versteckt ist, während David Cronenberg in vielen seiner Filme den Körper wuchern lässt. Die Vergleiche sind daher eher im Weg, als dass sie helfen, einen Zugang zum Seelen-Identitäts-Horror von Infinitiy Pool zu legen. Lieber Possessor und Antiviral schauen – unbedarft und ohne Body Horror im Hinterkopf. Es lohnt sich.

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