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Couch-Perle: A Tale of Two Sisters

Ein Beitrag von Julian Stockinger

Jetzt auf Mubi: „A Tale of Two Sisters“, ein Schlüsselfilm der Korean New Wave vom Regisseur von „I Saw the Devil“, der trotz der ein oder anderen Altersschwäche noch zu überzeugen weiß und vor allem in puncto Atmosphäre brilliert.

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Filmstill zu A Tale of Two Sisters (2003) von Kim Jee-woon
A Tale of Two Sisters (2003) von Kim Jee-woon

Mit The Isle (2000) und Joint Security Area (2000) haben Kim Ki-duk und Park Chan-wook eine der fruchtbarsten Wellen der jüngeren Filmgeschichte losgetreten: Die Korean New Wave. Drei Jahre später steuerte Regisseur Kim Jee-woon (I Saw the Devil, A Bittersweet Life) mit A Tale of Two Sisters einen psychologischen Horrorfilm bei. Auch wenn nicht alles daran prächtig gealtert ist, handelt es sich um eine wiederentdeckenswerte Perle der 00er Jahre.

„Wer, glaubst du, bist du?“, fragt ein Psychiater das Mädchen, dessen Gesicht nicht zu erkennen ist. Zu verdeckt ist es von Haaren, denn sie sitzt gekrümmt und mit hängendem Kopf. Sie gibt keine Antwort, doch es bleibt kein Zweifel offen, dass etwas Traumatisches vorgefallen ist. Und zwar im Familienhaus, in das die minderjährigen Schwestern Su-mi (Im So-jung) und Su-yeon (Moon Geun-young) zurückkehren. Neben ihrem Vater (Kim Gab-soo) lebt dort, sehr zum Missfallen der Jugendlichen, auch noch die Stiefmutter (Yum Ah-jung). Doch nicht nur die eigenwillige Frau, die einen Mangel an Empathie aufzuweisen scheint, bereitet den Schwestern Kopfzerbrechen. Handelt es sich um Albträume, oder treibt in dem Anwesen ein Geist der (jüngeren) Vergangenheit sein Unwesen?

Ein aus der Gegenwart gegriffenes, bereits totverwendetes Modewort, das den Sog des bald 20 Jahre alten Films adäquat beschreibt, ist Slow Burn. Kim Jee-woon lässt sich beim Aufbau des Plots, in dem das Publikum lange im Dunkeln tappt, erstaunlich viel Zeit. Er nutzt sie, um falsche Erwartungen zu schüren, auf Irrwege zu locken und den anfänglichen Fragezeichen noch ganz viele weitere Fragezeichen hinzuzufügen. Umso lauter haut er in der zweiten Hälfte auf den Tisch, weiß zu überraschen und zeigt Mut zur Eskalation. Doch wenn sich ein Film mit Twists und Turns selbst zu übertreffen versucht, wirkt das schnell überkonstruiert und gezwungen. Auch A Tale of Two Sisters ist aus heutiger Sicht Opfer seiner narrativen Ambitionen. Die Aha-Momente gen Ende, die im Erscheinungsjahr 2003 moderner waren, als sie es heute sind, hätte es nicht gebraucht. Doch unter dem Korsett der Handlung schlummert immer noch die unangenehme, unberechenbare und Zuseher*innen irritierende Seele des Films.

Kim Ji-woon betritt mit A Tale of Two Sisters ein Terrain, das Regisseure wie Andrzej Żuławski und Roman Polański lange vor ihm schon betreten haben. Selbstverständlich nicht mit der gleichen Konsequenz, denn die zwei sind wahre Meister darin, mentale Ausnahmezustände für die Leinwand zu inszenieren. Zumindest wenn wir von ihren Ausflügen ins Horrorgenre sprechen. Possession (1981) entwirft das Innenleben von zwei Menschen nach einer schmerzhaften Trennung, das im Film auf unterschiedlichsten Ebenen nach außen getragen wird. Der Mieter (1976) führt uns ins paranoide Wahngebäude des Protagonisten, der von Verfolgungswahn angetrieben die Eskalationsleiter hinaufklettert, bis es zum fatalen Sturz nach unten kommt. Und in A Tale of Two Sisters erleben wir den Zustand einer Familie, die mit den Konsequenzen eines extrem traumatischen Erlebnisses zu kämpfen hat. Auf sich zurückgeworfen, verstört und verwirrt müssen sie mit einem Vorfall zurechtkommen, der nicht zu begreifen ist. Wen wundert es da, dass das menschliche Gehirn als Bewältigungsstrategie seine eigenen Erklärungen kreiert…

A Tale of Two Sisters ist nach einigen Abstrichen auch heute noch ein verstörendes Vergnügen von einem Film, was nicht zuletzt an der verführerischen Ästhetik liegt. Das Haus wird inszeniert, als führe es ein Eigenleben, was die surreale Atmosphäre nur unterstreicht. Die Kamera, die durchwegs kontrastreiche Farbkombinationen einfängt, leistet auch in ihren Bewegungen sonderbares, was bei Lee Mo-gae nicht verwundern sollte. Und selbst die ausgewählten Schockszenen, die das Traumata und die Familienstruktur für ein paar Minuten vergessen lassen, zeigen ihre Wirkung. Da kann man nach bald 20 Jahren getrost über die etwas gezwungen wirkende Auflösung hinwegsehen.

A Tale of Two Sisters ist bei MUBI zu sehen.

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