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Couchperle: Die Filme von George Miller

Ein Beitrag von Christian Neffe

Action, Melodrama, Familienunterhaltung – die Filmografie von George Miller, Macher von „Furiosa: A Mad Max Saga“, ist erstaunlich breit gestreut. Christian Neffe gibt einen Überblick und sucht nach Zusammenhängen.

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George Miller Couchperle

Es gibt Regisseur*innen, bei denen sich im Laufe ihrer Karriere ein wiedererkennbarer Stil, eine klare Vorliebe für bestimmte Themen, eine spezifische Herangehensweise an ihre Stoffe herausbildet. Und es gibt George Miller. Tatsächlich kommt man beim Blick über die Filmografie des 1945 in Queensland, Australien geborenen Regisseurs und Produzenten kaum aus dem Staunen heraus, so breit gestreut ist das, was sich da tummelt: von explosiven Endzeit-Materialschlachten über melodramatische Medizinkrimis bis zu kleinkindgerechter Animationsunterhaltung ist irgendwie alles dabei, was man im Laufe eines Filmemacherlebens so auf die Beine stellen kann. Fehlt eigentlich nur noch ein Musical. Wobei: Sogar das ist vorhanden.
 

Die Mad-Max-Originaltrilogie

Es gibt Klassiker, bei denen erschließt sich auch noch bei einer heutigen Erstsichtung sofort, warum sie diesen Status haben. Mad Max aus dem Jahre 1979 gehört nicht dazu. Hinzu kommt ein oft geäußerter Irrtum: Der erste Teil ist kein Endzeit-Film. Denn auch wenn die zivilgesellschaftlichen Institutionen — allen voran die Polizei — allmählich bröckeln (aber eben noch immer bestehen), bunte Punker-Gangs die Straße terrorisieren und Antiheld Max Rockatansky (Mel Gibson) sich dieses moralischen Verfalls ebenfalls nicht verwehren kann, so ist hier alles doch noch relativ grün und beschaulich. Mit Ausnahme von ein paar durchaus spektakulären Stunts und Millers (bis heute) charakteristischem Gesichts-Crashzoom kocht der erste Mad Max auf Sparflamme. Die Handlung schleppt sich ziemlich dahin, und insgesamt fehlt es diesem Film, den Sets und der Ausstattung noch an visueller Ikonizität.

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Die etablieren erst der zweite und — noch ein bisschen mehr — der dritte. Da sind die Bomben gefallen, die Ordnung ist zusammengebrochen, es geht ums nackte Überleben. Und natürlich um den Sprit. In beiden Filmen findet Max zu seiner Moralität und Menschlichkeit zurück, wenn er Überlebende gegen marodierende Wahnsinnige unterstützt. Insbesondere der zumeist als schwächer empfundene dritte Film führt in Sachen Sets und Kostüme die A-Punk-alypse fast zur Perfektion, wäre da nicht der Part mit den Kindern, der zu viel Dampf aus der bis dato so dynamischen Handlung nimmt. Dennoch: Teil zwei und drei sind auch heute noch sehr sehenswert. Teil eins hingegen erfordert einiges an Durchhaltevermögen und ist hauptsächlich aus Vollständigkeitsgründen relevant.

 

Die Hexen von Eastwick

Radikaler Genrewechsel #1: In Die Hexen von Eastwick lässt Miller einen höchst spielfreudigen Jack Nicholson als Teufel in Menschengestalt auf eine prüde US-amerikanische Kleinstadt los. Dort fängt er Affären mit gleich drei von der Stadtgesellschaft eingeengten Frauen (Cher, Susan Sarandon und Michelle Pfeiffer) an, die über magische Kräfte zu verfügen scheinen und fortan im Ort als „Schlampen“ verschrien sind. Es geht um sexuelle Freiheit, Selbstverwirklichung — und darum, wie toxische Männer diese schon immer, auch in Form der mittelalterlichen und neuzeitlichen Hexenverfolgungen, zu verhindern versucht haben. Die Hexen von Eastwick macht auch heute noch verdammt viel Spaß, allem voran dank Nicholson.

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Lorenzos Öl

Radikaler Genrewechsel #2: Basierend auf realen Ereignissen erzählt Miller von einer Familie, bei dessen fünfjährigem Sohn die seltene Erbkrankheit ALD diagnostiziert wird, die allmählich sein Hirn zerstört. Da die Krankheit bisher kaum untersucht ist, unternehmen die Eltern (Nick Nolte und Susan Sarandon) alles, um eine Heilung zu finden — und entwickeln schließlich das titelgebende Öl, das bis heute bei ALD-Patienten benutzt wird, auch wenn seine medizinische Wirksamkeit noch nicht abschließend geklärt ist.

Der Konflikt zwischen medizinischer Forschung, die jahrelange Untersuchungen mit Placebo-Gruppen erfordert, und der Verzweiflung der unmittelbar Betroffenen von Krankheiten steht im Mittelpunkt dieses Films, der durchaus einige emotionale Spitzen zu bieten hat, sich aber auch klar auf eine Seite stellt und der Schulmedizin mit etwas zu viel emotionalisierender, populistischer Skepsis begegnet.

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Schweinchen Babe in der großen Stadt

Radikaler Genrewechsel #3: Nachdem Miller beim Oscar-prämierten Ein Schweinchen namens Babe nur an Produktion und Drehbuch beteiligt war, übernahm er bei der Fortsetzung auch die Regie. Die tappt in eine typische Sequel-Falle: neuer Schauplatz, alles größer, aufwendiger, aber letztlich zu viel. Ähnlich wie in der Fortsetzung zu Kevin — Allein zu Haus verschlägt es das Schäferschweinchen in eine Großstadt (welche, bleibt unklar — ein Blick aus dem Fenster zeigt Wahrzeichen aus einem Dutzend Metropolen), wo es seine neu gewonnenen Freunde retten muss. Der Film stolpert über seine eigenen Ambitionen hinsichtlich Technik und Plot. Wo das minimalistische Bauernhof-Setting des Erstlings noch wunderbar funktionierte, flüchtet sich Schweinchen Babe in der großen Stadt allzu oft in flachen Slapstick.

 

Happy Feet 1 und 2

Wir bleiben bei Kinder-/Familienfilmen mit sprechenden Tieren, wechseln aber aus England in die Antarktis und vom CGI-unterstützten Realfilm zum Computeranimationsfilm mit dezenten Realfilmanteilen. Happy Feet erzählt eine durch und durch klassische Geschichte über einen nonkonformen Außenseiter: ein Pinguin, der entgegen der Traditionen seines Volkes nicht singen, dafür aber bestens tanzen kann. Klassisch ist auch die Auflösung: Wir überwinden die dogmatischen Widerstände der Alten, bringen beides zusammen und retten nebenher noch die Fischbestände.

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Hier ist er dann auch, der Musical-Film, der mit mitreißenden Choreografien und einer stattlichen Anzahl an Popsongs daherkommt. Die Miller-DNS ist dabei vor allem in den seltenen Actionsequenzen mit ihren Zeitlupen, ihren exzessiven Zooms und ihrem präzisen Center-Framing erkennbar. Und auch hier stolpert Teil zwei über die üblichen Sequel-Probleme, vor allem, was die thematische Stagnation und das exorbitant erhöhte Tempo betrifft. Happy Feet 2 fühlt sich an wie der erste Teil auf Speed. Mit schlechterer Musik.

 

Mad Max: Fury Road

Mit dieser Rückkehr zur Postapokalypse legte Miller sein bisheriges Meisterstück vor. Der Plot ist angenehm schlank: Dass hier letztlich nur eine Fahrt von A nach B und wieder zurück nach A erzählt wird, wird zwar bisweilen kritisiert, aber genau darin liegt die puristische Genialität von Fury Road, der gar nicht mehr will, als einem alle Falten aus dem Gesicht zu pusten. Und Holladiewaldfee, wie ihm das gelingt!

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Okay, ein bisschen mehr will er dann doch: nämlich mit toxischer Männlichkeit, patriarchalen Machtstrukturen, Gesellschaftsklassen und deren Abhängigkeiten voneinander, wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung und religiösem Dogmatismus abrechnen. Aber hey, habt ihr den Typen mit der E-Gitarre gesehen, aus der Flammen schießen?

 

Three Thousand Years of Longing

Während alle auf eine Fortsetzung zu Fury Road warteten, entschloss sich Miller zum kompletten Kontrastprogramm, und zwar zu einer Adaption von A.S. Byatts Kurzgeschichte The Djinn in the Nightingale’s Eye. Das Resultat: ein Quasi-Kammerspiel, in dem Idris Elba als Jahrtausende alter Dschinn und Tilda Swinton als mittelalte Narrotologin sich in Bademänteln gegenseitig Geschichten erzählen und nebenher übers Geschichtenerzählen philosophieren. Es geht um die Bedeutung von Mythen, um Wünsche und die Tücken des Wünschens, um Liebe und Begehren und so vieles mehr: Three Thousand Years of Longing ist eine filmische Wundertüte, die immer wieder überrascht, mal tieftraurig, mal schmachtend romantisch, manchmal auch geradezu slapstickhaft albern ist. Eine tiefe Verbeugung vor der Kunst und der Wirkmacht des Erzählens von Geschichten in all ihren Formen und Ausprägungen.

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