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Cannes 2024

Postkarten aus Cannes #7: Mannsbilder

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Post aus Cannes: Über Männer, die über Geschlechterverhältnisse nachdenken, indem sie über Männerrollen nachdenken. 

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Abasi_Trump

Auch wenn der Frauenanteil in Cannes im Wettbewerb immer noch sehr zu wünschen übrig lässt, spielen dennoch Geschlechterfragen eine zentrale Rolle. Abzulesen ist dies exemplarisch an zwei Spielfilmen, die beide bei aller Unterschiedlichkeit einen ähnlichen Stoff behandeln. Ali AbbasisThe Apprentice“ und Kyril SerebrennkovsLimonov — The Ballad“ begleiten zwei Männer auf ihrem Weg in die Politik und sezieren, wie sie wurden, was sie sind oder waren. Während nämlich der „Held“ in Serebrennikovs Film nicht mehr lebt, könnte der Protagonist von Abbasis Film uns als US-Präsident wiederbegegnen.

Donald Trumps Ruhm auch vor seiner Zeit als 45. Präsident der USA begründet sich nicht allein auf seinem (allerdings recht fraglich gewordenen) Reichtum. Der TV-Nation wurde er vor allem als Star der Reality-Show The Apprentice (Der Lehrling) bekannt, mit der er sein Image als Selfmade-Millardär trotz heftigster geschäftlicher Turbulenzen festigen und der Nation vormachen konnte, er sei der geborene „Dealmaker“. Ali Abbasis neuer Film nach Border und Holy Spider (welch Bandbreite diese drei grundverschiedenen Filme aufweisen, ist mehr als beachtlich) spielt zwar auf Trumps wundersamen Aufstieg zum TV-Star an, beleuchtet aber im Wesentlichen die 1970er- und 1980er-Jahre, als der Immobilienunternehmen selbst noch ein Lehrling war.

Das Monster als Lehrling. © APPRENTICE PRODUCTIONS ONTARIO INC. / PROFILE PRODUCTIONS 2 APS / TAILORED FILMS LTD. 2023

Verantwortlich für diese Entwicklung sind hauptsächlich zwei Menschen: Donalds Vater Fred Trump (Martin Donovan) und sein erster „political fixer“ Ray Cohn (unfassbar gut: Jeremy Strong), einen gewieften Society-Löwen und knallharten Anwalt, der seine Homosexualität bis zu seiner AIDS-Erkrankung geheim halten konnte. Während Fred Trump nach Tyrannenart die Familie beherrscht, nimmt Cohn den jungen Trump (Sebastian Stan) auf andere Art und Weise unter seine Fittiche und bringt ihm die drei Grundregeln des wirtschaftlichen wie politischen Business bei: „1: Immer in die Offensive gehen. Attack, attack, attack!“; „2. Es gibt keine Wahrheit: Deny, deny, deny! und „3. Niemals eine Niederlage eingestehen, sondern sie stets als Sieg verkaufen!“ Später wird Donald Trump diese Prinzipien als seine eigenen ausgeben, in Wirklichkeit stammen sie aber von Cohn, den er später schmählich im Stich und fallen lassen wird.

Abbasi inszeniert sein eher episodisch angelegtes Werk im leicht verwaschen wirkenden Look der damaligen Zeit und zeigt ein New York, das damals in einem bedauernswerten Zustand war. Sebastian Stan versteht es in seiner außerordentlichen darstellerischen Leistung, Trump als noch unfertigen Menschen zwischen Unsicherheit und beginnendem Größenwahn erscheinen zu lassen. Man sieht und hört dessen spätere Eigenheiten, aber sie sind nicht so ausgeprägt wie später: ein Machtmensch, der erst ganz am Anfang einer Entwicklung steht, in manchen Moment fast sogar sympathisch. Und vielleicht ist das gerade das Monströse an diesem Film, der durchaus so etwas wie ein Schlüsselwerk zum tieferen psychologischen Verständnis von Trump werden könnte. Der Porträtierte selbst hat jedenfalls bereits eine Klage gegen den Film und seine Darstellung angedroht. Falls es noch eines weiteren Lobes für diesen Film bedurft hätte – hier ist es.
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So ähnlich oberflächlich die Thematik auch sein mag: Kyril Serebrennikov wählt für seinen Film Limonov — The Ballad eine ganz andere Herangehensweise. Während Abbasi die feinen Details herausarbeitet, ist Limonov laut, penetrant, rumpelig, räudig und eher Punk-Oper als fein ziseliertes Porträt. Das liegt auch und vor allem an der Hauptfigur, von der man (außer man ist bestens mit der russischen Innenpolitik der letzten Dekade vertraut) bis zum Schluss nicht ahnt, wer sich in Wirklichkeit dahinter verbirgt: Es handelt sich um den Schriftsteller und Politiker Eduard Weniaminowitsch Sawenko, der sich selbst Limonov nannte und der später die Nationalbolschewistische Partei und nach deren Verbot die Partei „Das andere Russland“ begründete, in der extrem linke wie rechte Positionen zusammenfanden.

Ja, das ist tatsächlich Ben Whishaw. © Fremantle, Wildside, a Fremantle Company, Chapter 2, FREMANTLEMEDIA ESPAÑA S.A., Hype Studios, France 3 Cinema

Im Westen weitgehend unbekannt sind die Hintergründe und der Werdegang ihres Begründers, der 2020 an einer Krebserkrankung verstarb. Limonov wuchs in der Ukraine auf und siedelte später nach Moskau um, wo er als Avantgarde-Lyriker zu einiger Berühmtheit gelangte und schließlich 1974 aus der UdSSR ausgewiesen wurde. Im Exil in New York entdeckte er Punk für sich, führt ein Leben zwischen Rockstar-Attitüde und völliger Mittellosigkeit, hielt sich schließlich als Butler in einem feinen Haushalt über Wasser und attackierte in seinen Schriften sowohl seine Heimat als auch die USA, der er bescheinigte, dass echter Dissens hier nicht möglich sei. Trotz aller Bemühungen konnte Limonov in den USA nicht Fuß fassen. Sein autobiografischer Roman It’s me, Eddy wurde schließlich von einem französischen Verlag herausgebracht. Und dieser Anerkennung folgte 1982 die Übersiedlung nach Paris, wo ihm endlich die ersehnte Anerkennung zuteilwurde.

Ben Whishaw gibt in der Rolle Eduard Limonovs einfach alles und trägt diesen unsympathischen Antihelden mit seiner zur Schau gestellten Abgefucktheit trotz aller Schwächen bis zum Ende. Dass man diesem Kotzbrocken nahe kommt, das vermag auch er nicht zu leisten, Whishaws leidenschaftlichen Engagement und allen inszenatorischen Tricks zum Trotz, die Serebrennikov hier abfeuert.

 

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