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Kolumnen

Über das Kino in unruhigen Zeiten

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Wir leben in politisch wie gesellschaftlich unruhigen Zeiten, denen das Kino eigentlich den Spiegel vorhalten müsste. Bislang aber gilt auf der Leinwand eher „business as usual“.

Meinungen
#KlappeAuf
#KlappeAuf

Kaum ein Tag vergeht, an dem die Politik — sowohl die im Inland wie auch global gesehen — nicht wieder einen neuen Aufreger produziert, einen handfesten Skandal oder eine Ungeheuerlichkeit. Spätestens seit dem Amtsantritt von Donald Trump geht es in der Welt anscheinend immer verrückter und bedrohlicher zu, brechen alte Gewissheiten und Koalitionen zusammen und offenbaren sich immer bedrohlichere Szenarien vom Heraufziehen der Kriegsgefahr vor allem im Nahen Osten über die epidemische Ausbreitung von rechtspopulistischen bis rechtsextremen Kräften bis hin zu den Besorgnis erregenden wissenschaftlichen Prognosen über den sich rasant beschleunigenden Klimawandel. Und das Kino? Reagiert bislang seltsam lahm und wie in Schockstarre aufgrund der Wucht der üblen Entwicklungen.

Politische Baustellen

Natürlich gibt es jede Menge Filme, die auf den ersten Blick nicht nur eine erzählerische, sondern auch eine mehr oder minder offene politische Agenda transportieren. Die Vielfalt der Topoi reicht von bitterbösen Analysen von Macht und Korruption der herrschenden politischen Klasse — gerne auf wahren Begebenheiten basierend — über Flucht- und Migrationsdramen, Lehrstücken über die zerstörerische Kraft des entfesselten neoliberalen Turbokapitalismus, gelegentlichen Filmen über islamistische wie vor allem neonazistischen Radikalisierungen und deren Folgen sowie über die systemische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, Rassen und sozialen Schichten bis hin zu Sozialdramen über die prekären Lebensverhältnisse der sogenannten „kleinen Leute“, wie sie vor allem und nach wie vor Ken Loach in seinen Filmen beschreibt.

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Trailer zu Sorry We Missed You von Ken Loach

 

Joker als Nonplusultra?

Zu jeder der beschriebenen Kategorien fallen einem mit einiger Sicherheit zig Filme ein, die in den letzten Monaten und Jahren das Licht der Leinwände oder zumindest der Festivals erblickten. Und so könnte man wohl annehmen, dass es um das politische Kino gar nicht so schlecht steht. Aber Hand aufs Herz: Welcher dieser Filme hat denn wirklich Spuren hinterlassen und ein größeres Publikum erreicht? Nun finden sich Filme mit politischer Haltung eher selten in den Kinocharts wieder, doch dass derzeit ausgerechnet eine bemühte Comicverfilmung wie Joker als Nonplusultra des politisch aufgeladenen Kinos gilt, das als Erklärungsmodell für das Erstarken des Bösen und der schieren Amoral herhalten muss (und damit nicht nur die normalen Kinocharts, sondern auch die Arthouse-Charts in Deutschland anführt — warum nur, warum?), ist schon recht bedenklich. Weil der Film außer Küchenpsychologie, Leere und Zynismus nicht viel mehr zu bieten hat. Aber vielleicht bringt er ja gerade deswegen und damit den Zeitgeist perfekt auf den Punkt. Politische Relevanz hat er deshalb aber noch lange nicht.

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Trailer zu Joker

 

Natürlich ist jeder Film auf die ein oder andere Art und Weise politisch — oder wie Gertrud Koch es einem in einem Buchtitel auf den Punkt brachte: „Jede Einstellung ist eine Einstellung“. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese (Selbst-)Gewissheit und Binsenweisheit in bewegten und unruhigen Zeiten wie diesen noch reicht. Oder ob das ursprünglich feministische Postulat, dass das „Private immer auch politisch“ ist, so bitter nötig es damals wie heute war und ist, nicht auch manche/n dazu verführt, die politischen Implikationen von Stoffen, Erzählweisen und formalen Gestaltungsmitteln insofern hintanzustellen, weil sie ja sowieso stets mitgedacht sind und sich deshalb qua Automatismus ganz von alleine einstellen. Das allerdings ist angesichts der massiven Bedrohungen für das Gemeinwesen, den sozialen wie auch gesellschaftlichen Frieden zu wenig und zu indifferent.

 

#Klappeauf

Und doch gibt es Hoffnung: Das Aufstehen der Filmbranche in der Causa Hans-Joachim Mendig zeigt, dass Filmschaffende sehr wohl etwas bewirken können, Initiativen wie die österreichische #Klappeauf macht Mut, die Stimme gegen rechte Kräfte und die geplante Beschneidung der Kunstfreiheit zu erheben, der stete Kampf von ProQuote und die Folgen der #MeToo-Bewegung machen Hoffnung auf einen wirklichen, tiefgreifenden und überfälligen Wandel innerhalb der Filmbranche, in dessen Folge der Film und das Kino aus seiner Beliebigkeit wieder herausfindet und endlich wieder diese revolutionäre Kraft entfaltet, die es einst auszeichnete. Es wäre dringend an der Zeit.

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