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She Loves Her - Die Liebe zwischen Frauen im Film

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

„Von Pornos bis zu romantischen Komödien, die Botschaft, die uns klar und deutlich vermittelt wird, ist, dass wir alles falsch machen. Unsere Bettlaken sind falsch. Unsere Bewegungen sind falsch. Unsere Körper sind falsch.“ Mit diesen Worten aus ihrer Autobiografie Not that Kind of Girl bringt die Autorin, Regisseurin, Produzentin und Schauspielerin Lena Dunham präzise zum Ausdruck, dass sexuelle Momente in Filmen allzu oft sehr schlecht und völlig realitätsfern umgesetzt werden.

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The Handmaiden
Szene aus "Die Taschendiebin"

Neben heteronormativen Konstellationen betrifft dies nicht zuletzt alle Abweichungen davon. Dass vor allem die Darstellung lesbischer Liebe und Sexualität auf der Leinwand in ihrer Überästhetisierung rasch in die visuelle Ausbeutung münden kann, zeigte etwa das clever verschachtelte, aber in Teilen erschreckend plump inszenierte Werk Die Taschendiebin von Park Chan-wook.

Lange Zeit fristeten queere Figuren auf der Kinoleinwand – wenn überhaupt – nur ein Schattendasein. Ein erfülltes, glückliches (Liebes-)Leben war ihnen selten beschieden; oft fanden sie einen frühen, schmerzvollen Tod, starben im Kugelhagel (so etwa Sal Mineo als Plato in … denn sie wissen nicht, was sie tun, 1955) oder wurden von einem Baum erschlagen (Sandy Dennis als Jill in The Fox, 1967).

Über die fragwürdige Präsentation lesbischer Filmfiguren in den 1950er Jahren schrieb der US-Filmhistoriker Vito Russo in seiner Publikation The Celluloid Closet: Homosexuality in the movies: „they were seen as women trying to be men while in reality needing a man“. Als Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre das Genre des Erotikthrillers im Mainstream große Erfolge feierte, war dieser Stereotyp nach wie vor Teil des Hollywood’schen Weltbildes: In Paul Verhoevens Basic Instinct (1992) beispielsweise diente die queerness der undurchsichtigen Catherine Tramell (Sharon Stone), die diese mit ihrer forschen Freundin Roxy (Leilani Sarelle) auslebte, in erster Linie als zusätzlicher Kick für den Protagonisten Nick Curran (Michael Douglas) sowie für das männlich-heterosexuelle Publikum. Das hatte wenig bis gar nichts mit diversity, jedoch sehr viel mit einer Schaulust zu tun, auf die an späterer Stelle dieses Textes noch ausführlicher eingegangen wird.

Und wer glaubte, diese Klischees mit der Jahrtausendwende überwunden zu haben, wurde etwa von Atom Egoyan (in Chloe, 2009) oder Steven Soderbergh (in Side Effects, 2013) eines Besseren belehrt: Noch immer wurde lesbisches Begehren als reißerischer twist benutzt und noch immer wurde den sexuellen Begegnungen zwischen zwei Frauen eine sündige Anmutung verliehen, welche letztlich zu dramatischen Fensterstürzen in Zeitlupe oder zu einem bitteren Ende im Knast beziehungsweise in der Psychiatrie führen musste. Verderben, Wahnsinn, Exitus – und davor jeweils reichlich Freizügigkeit in verruchter Ausleuchtung.

Chloe
Bild aus Chloe von Atom Egoyan; Copyright: Kinowelt

 

Eine sensiblere Behandlung lässt sich indes etwa in kinematografischen Coming-of-Age-Erzählungen finden – zum Beispiel in Lukas Moodyssons Raus aus Åmål (1998): Von ihrem provinziellen Umfeld wird die Jugendliebe zwischen Elin (Alexandra Dahlström) und Agnes (Rebecka Liljeberg) zwar als Skandal eingestuft; der Inszenierung dieser Gefühle haftet jedoch nichts Effekthascherisches an. Moodysson greift auf romantische Konventionen zurück (so schallt beim ersten Kuss der zwei jungen Frauen der Schmacht-Hit I Want to Know What Love Is von Foreigner aus dem Autoradio) – und zusammen mit seinen beiden Hauptdarstellerinnen eignet er sich diese auf eine Weise an, die daraus etwas Neues, Individuelles entstehen lässt, ganz so, wie man als Teenager all die Dinge, die bereits unzählige Teenagergenerationen zuvor durchlaufen haben, als absolut einzigartig wahrnimmt, wenn sie einem plötzlich selbst widerfahren.

Auch in Weil ich ein Mädchen bin (1999) – einem Mix aus überdrehter, bonbonfarbener Satire und romcom – gelingt es der Regisseurin Jamie Babbit gemeinsam mit ihrem Akteurinnen-Duo Natasha Lyonne und Clea DuVall, im tendenziell Kitschigen das Wahrhaftige zu entdecken und in den intimen Passagen weder in die von Dunham beschriebene Lebensferne, in welcher „zwei Loser mit glatter Haut und Bambi-Augen“ gleichzeitig zum Orgasmus kommen, „indem sie einander ins Gesicht atme[n]“, noch in die erotische Exploitation abzudriften. Als weitere Filme dieser Couleur seien Water Lilies (2007) von Céline Sciamma und Jack & Diane (2012) von Bradley Rust Gray genannt.

Weil ich ein Mädchen bin
Bild aus Weil ich ein Mädchen bin von Jamie Babbit; Copyright: Advanced / Filmwelt

 

Eine ungleich diffizilere Angelegenheit ist hingegen Abdellatif Kechiches Blau ist eine warme Farbe (2013) – eine Adaption der gleichnamigen Graphic Novel von Julie Maroh über die junge Adèle (Adèle Exarchopoulos) und deren Beziehung zur Kunststudentin Emma (Léa Seydoux). Die Verurteilung des Werks, die (neben den ernst zu nehmenden Vorwürfen der beiden Schauspielerinnen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen beim Dreh) zum Ausdruck gebracht wurde und sich insbesondere auf eine ausgedehnte, explizite Sexszene bezog, mag – wie etwa Michael Kienzl in seinem Essay über die Kleinbürgerlichkeit des queeren Kinos darlegt – teilweise vorschnell und übertrieben gewesen sein. Gewiss ist es keineswegs verwerflich, dem Körperlichen in einem Reifedrama Raum zu geben – vielmehr wäre es äußerst verlogen, diese Komponente auszusparen oder verschämt ins Off zu verlegen.

Problematisch ist allerdings die Inszenierungsweise der beinahe siebenminütigen Passage. In einem (hier zitierten) Interview erklärte Kechiche im Hinblick auf das Filmen der weiblichen Körper: „What I was trying to do when we were shooting these scenes was to film what I found beautiful. So we shot them like paintings, like sculptures.“ Dies lässt unweigerlich an Laura Mulveys 1973 verfassten Aufsatz über visuelle Lust und narratives Kino denken, in welchem sich die feministische Filmtheoretikerin mit der Skopophilie (Schaulust) befasste und dabei in Hollywood-Produktionen der 1930er bis 1950er Jahre bestimmte Geschlechtszuschreibungen feststellte: Der Frau kam stets die Rolle des Schauobjekts zu; die weibliche Gestalt war lediglich Projektionsfläche.

Aus heutiger Sicht lässt sich leicht eine ganze Reihe von Gegenbeispielen finden; dennoch zeigt Kechiches geäußerte Herangehensweise und letztendliche Umsetzung, dass sich die in Teilen widerlegten Thesen aus Mulveys Grundlagentext selbst im 21. Jahrhundert noch auf die filmische Darstellung menschlicher Körper anwenden lassen. Hinzu kommt, dass sich in Blau ist eine warme Farbe auch abseits der dezidiert sexuellen Momente eine „Distanzlosigkeit und die visuelle Zerstückelung von Adèles Körper“ durch zahlreiche close-ups erkennen lassen; in einigen Szenen ist Adèle augenscheinlich keine aktiv Handelnde, sondern ein fetischisiertes Objekt.

Blau ist eine warme Farbe
Bild aus Blau ist eine warme Farbe von Abdellatif Kechiche; Copyright: Alamode

 

Dies führt direkt zu Chan-wooks Die Taschendiebin – einer Melange aus Melodram, Krimi und Erotikfilm, die im Mai 2016 auf dem Festival de Cannes ihre Premiere feierte und Anfang 2017 in den deutschen Kinos anlief. Im Zentrum stehen zwei Frauen – die Koreanerin Sook-hee (Kim Tae-ri) und die japanische Lady Hideko (Kim Min-hee) –, die in den 1930er Jahren in eine Intrige involviert sind und sich dabei ineinander verlieben. In der stärksten Passage des Werks zerstören die beiden Frauen die von Hidekos Onkel (Cho Jin-woong) angesammelte, in Buchform gebrachte erotische Fiktion, in welcher weibliche Figuren als Lustobjekte ausgebeutet werden.

Teile des Filmmaterials von Die Taschendiebin hätten Sook-hee und Hideko dabei jedoch konsequenterweise gleich mit vernichten sollen: Neben diversen albernen Dialogzeilen („Sie sind ein Naturtalent, Fräulein!“) irritiert an den sexuellen Szenen zwischen den beiden Frauen zum einen das Ausstellen der Körper, das wirkt, als wolle Chan-wook Mulveys Ausführungen ganz unmissverständlich veranschaulichen, und zum anderen die völlige Irrelevanz für die Handlung, vor allem im Finale der Erzählung.

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Trailer zu Die Taschendiebin

 

Dass sowohl die emotionale als auch die körperliche Liebe zwischen erwachsenen Frauen ebenso feinfühlig wie die zwischen Adoleszentinnen in einigen der bereits erwähnten Coming-of-Age-Geschichten in bewegte Bilder gebracht werden kann, demonstrierte etwa Todd Haynes mit Carol (2015) – einer Verfilmung des Patricia-Highsmith-Romans Salz und sein Preis. Die sich anbahnende Beziehung zwischen der verheirateten Titelfigur (Cate Blanchett) und der jüngeren Therese (Rooney Mara) im New York der 1950er Jahre ist artifiziell, im Stil eines Douglas-Sirk-Melodrams gestaltet. Und doch entwickeln sich, wenn sich die beiden Frauen physisch näherkommen, ganz und gar nicht künstlich anmutende Momente der Sinnlichkeit, in denen Carol und Therese – zwei differenziert gezeichnete Charaktere – als blickende und begehrende Subjekte erkennbar werden.

Gleiches gilt für Catherine Corsinis La belle saison – Eine Sommerliebe (2015); allzu bieder in ihrer Darstellung waren indes Freeheld (2015) von Peter Sollett oder Für immer eins (2015) von Maria Sole Tognazzi. Dass es nicht immer sexuell werden muss, um erotischen Funkenschlag zu erzeugen, und sich deshalb trotzdem keine altbackene Wirkung einstellt, lässt sich wiederum in Kelly Reichardts Certain Women (2016) erleben: Manchmal braucht es nur zwei verdammt gute Schauspielerinnen (Kristen Stewart und die wunderbare Entdeckung Lily Gladstone) sowie ein paar Diner-Gespräche und einen gemeinsamen Pferderitt auf abendlich-verlassener Straße, um sehr viel Kluges und Schönes über das hoffnungslose Sich-Verlieben auszusagen.

Certain Women
Bild aus Certain Women von Kelly Reichardt; Copyright: Peripher

 

Es muss in der Darstellung queerer und insbesondere lesbischer Liebe sowie Sexualität einen Weg zwischen exploitativ und bieder-verschämt geben. Einzelne Filmemacher_innen haben bewiesen, wie aufregend und ehrlich dieser Weg beschritten werden kann. Hoffen wir, dass ihnen in Zukunft viele Talente aus den Bereichen Drehbuch, Regie, Kamera, Montage und Schauspiel auf diesem folgen werden.

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