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Darling der Woche

Suzan Pitt, David Lynch und der Spargel

Ein Beitrag von Christian Neffe

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Still aus Asparagus von Suzan Pitt
Still aus Asparagus von Suzan Pitt

Vermenschlichte Tiere, Fabelwesen und -geschichten, gelegentlich auch mal Aliens und Roboter — das sind für gewöhnlich die Hauptinspirationsquellen für Animationsfilme, im Westen wie im Osten. Aber Spargel? Das ist dann doch reichlich unkonventionell — und passt deshalb umso besser zur experimentellen Animationskünstlerin Suzan Pitt (1943-2019). Dass die in Kasas City geborene Malerin und Animatorin außerhalb eingeweihter Kunstkreise keine sonderlich große Bekanntheit genießt (erst recht nicht in Deutschland, wie allein ein Blick auf die hiesigen Google-Suchergebnisse zu ihrem Namen zeigt), kommt, obwohl sie auch in Deutschland wirkte, wenig überraschend: Pitts relevantestes Werk entstand 1979, zu einer Zeit also, als es experimentelle Kurzfilme um ein Vielfaches schwieriger hatten als heute, über den Großen Teich zu gelangen.

Jener Film von 1979 trägt den Titel Asparagus, „Spargel“ also, ein Gewächs, das für Pitt aufgrund seiner zweigeschlechtlichen sexuellen Konnotation besonders faszinierend war: in seinem Frühstadium phallisch, männlich, in seiner Spätphase blühend, offen, weiblich. Der 18-Minüter ist ein surreal-psychedelischer Trip durch Pitts Gedankenwelt voller abstraktem Symbolismus, dissonanter Töne, knalliger Farben, fließender Bildübergänge, sexueller Anspielungen und Phantasmagorie, in dem eine Frau all ihre Fantasien, Gedankengänge und Vorstellungen in einen Koffer steckt und sie im nächstgelegenen Theater über die Zuschauer*innen ergießt. Der Film entstand über einen Zeitraum von vier Jahren hinweg in Handarbeit.

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In diesem Theater verschmelzen dann nicht nur die (Gedanken-)Welten, sondern auch Zeichentrick- und Knetanimation: Pitt beschränkte sich nicht auf einen Stil, sondern lebte sich kreativ in diversen Animations- und Kunstgenres aus. Bei seiner Premiere im Whitney Museum of American Art wurde das Theater aus dem Film dann auch als realer Raum genutzt, in dem bis zu 15 Zuschauer*innen Platz nehmen konnten. Asparagus gilt heute als wichtiger Impulsgeber für filmische Animation aus weiblicher Hand.

Und was hat das Ganze nun mit David Lynch zu tun, wie es die Überschrift dieses Artikel verspricht? Eigentlich recht simpel: Bekanntheit erlangte Asparagus über das Museum hinaus nämlich vor allem dadurch, dass er bei den berüchtigten „midnight screenings“ in New York und Los Angeles zusammen mit Lynchs Eraserhead gezeigt wurde, und das über zwei Jahre hinweg. Eine Kombination, die aufging. Schließlich verbindet Pitt und Lynch der postmodern-surrealistische Ansatz, die Leidenschaft fürs visuell Morbide — und der kreative Leitgedanke, die eigene Gedankenwelt cineastisch zu externalisieren. Die Bilder von Asparagus waren nämlich allem voran von Pitts (Tag-)Träumen inspiriert. Eines unterscheidet die beiden aber deutlich: die Darstellung von Sexualität, die in Lynchs erstem Film (und darüber hinaus) für Unbehagen sorgt, in Pitts Werken jedoch fast schon provokant offen gezeigt wird. Die Spannungsfeld zwischen Feminismus, (weiblicher) Körperlichkeit und Sexualität war eines der thematischen Steckenpferde Pitts. Fellatio wird hier am Ende gar zu einem transformativen Akt.

Neben ihrer Tätigkeit als Dozentin für experimentelle Animation am California Institute of the Arts machte Pitt in den folgenden Jahren unter anderem mit Multimedia-Shows in Havard und bei den Filmfestspielen von Venedig auf sich aufmerksam — und prägte sogar die deutschen Opernlandschaft mit ihren visuellen und kostümbildnerischen Arbeiten für die ersten beiden Stücke, in denen Animation zum Einsatz kam: Die Zauberflöte am Staatstheater Wiesbaden (1983) sowie La damnation de Faust an der Staatsoper Hamburg (1988).

Pitt wurde weltweit ausgestellt und hinterließ eine Handvoll weiterer animierter Kurzfilme, die vor einiger Zeit gesammelt auf DVD unter dem Titel Suzan Pitt — Animated Films erschienen sind. Findige Gemüter werden viele davon allerdings schnell per Google-Suche finden. Einige ihrer Arbeiten sind außerdem im Museum of Modern Art in New York, im Walker Art Center in Minneapolis und im Ludwig Museum in Köln zu sehen. Vor allem aber gaben ihre surrealen, enigmatischen Filme der von Männern dominierten Untergrund-Filmszene der 70er und 80er neue, feministische Impulse. So wie die Protagonistin von Asparagus ihrer Gedanken und Fantasien über das Theaterpublikum kippte, so tat es auch Pitt. Mit Erfolg.

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