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Historische Ereignisse auf einen intimen Rahmen heruntergebrochen: In der Adaption von Robert Harris‘ Roman München erzählt Christian Schwochow anhand einer britisch-deutschen Freundschaft von der Konferenz zum Münchner Abkommen 1938, die fürs Erste einen Krieg im Herzen Europas verhinderte.

München – Im Angesicht des Krieges (2021)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Frühere Freunde in heikler Mission

Seinen ersten großen Ausflug in englischsprachige Gefilde unternahm der deutsche Filmemacher Christian Schwochow mit der Regie zweier Folgen der Netflix-Saga The Crown, die die Regentschaft der Monarchin Elizabeth II. nachzeichnet. Mit einigen bekannten britischen Gesichtern ist auch sein neues Werk München – Im Angesichts des Krieges besetzt, das, basierend auf einem 2017 veröffentlichten Roman von Robert Harris, den Ablauf der Konferenz zum Münchner Abkommen schildert. Jener in der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 unterzeichneten Vereinbarung der Regierungschefs Deutschlands, Großbritanniens, Italiens und Frankreichs, die Hitlers Anspruch auf das Sudetenland festlegte und vorerst einen Krieg auf europäischem Boden abwendete.

Auch wenn zahlreiche Personen der Zeitgeschichte auftauchen, entfaltet sich die Handlung aus der Perspektive zweier fiktiver Figuren, die uns das Drehbuch aus der Feder von Ben Power (The Hollow Crown) in einem im Jahr 1932 spielenden Prolog als befreundete Oxfordabsolventen vorstellt. Als der Brite Hugh Legat (George MacKay) und der mit seiner Partnerin Lenya (Liv Lisa Fries) in England studierende Paul von Hartmann (Jannis Niewöhner) ihren Abschluss feiern, liegt Unbeschwertheit in der Luft: Kleine Sticheleien über landestypische Eigenschaften und Pauls Glaube an eine aufregende Zukunft verpassen dem Geschehen eine hoffnungsvolle Note, die sich nach dem doch sehr knappen Einstieg und einem Sprung von sechs Jahren ins Gegenteil verkehrt hat.

Hugh arbeitet inzwischen als Privatsekretär des Premierministers Neville Chamberlain (überzeugend zwischen Sorge und Trotz schwankend: Jeremy Irons) und gerät mit seiner Ehefrau Pamela (Jessica Brown Findlay) regelmäßig aneinander, da er sich mit Haut und Haar in seinem Job stürzt und sie nicht an ihn heranlässt. Paul sitzt derweil als Diplomat in Berlin im Außenministerium und hält, anders als noch vor ein paar Jahren, wenig vom neuen Deutschland unter Adolf Hitler (einem listigen Greifvogel ähnelnd: Ulrich Matthes). Als der Reichskanzler vom Sudetenland Besitz ergreifen will und dafür den Einmarsch in die Tschechoslowakei vorbereitet, planen von Hartmann und einige andere Verschwörer*innen aus der Wehrmacht ein Manöver, das Hitlers Herrschaft beenden soll. In London versuchen Chamberlain, den der Film übrigens ungewöhnlich wohlwollend betrachtet, und sein Stab unterdessen mit einem Schreiben an Benito Mussolini, einen engen Vertrauten des Führers, den Frieden in Europa zu sichern. Tatsächlich einigen sich Deutschland, Großbritannien, Italien und Frankreich in letzter Sekunde auf ein Treffen in München, bei dem die Ansprüche auf das Sudetenland geregelt werden sollen.

Da Paul dank seiner Geliebten Helen Winter (Sandra Hüller) brisante Unterlagen erhält, die Hitlers wahre Absichten offenlegen, nämlich einen gigantischen Eroberungskrieg, lässt er sich als Dolmetscher in die Notfallkonferenz einschleusen und muss dort einen Moment abpassen, um Hugh die Dokumente zu übergeben. Ohne Chamberlains Wissen bekommt sein alter Freund nämlich den Auftrag, ebenfalls nach München zu reisen und die möglicherweise eine neue Lagebeurteilung notwendig machenden Informationen an sich zu nehmen.

Sicherlich gibt es leichtere Aufgaben, als eine Geschichte mit Spannung aufzuladen, deren Ausgang den meisten bekannt sein dürfte. Christian Schwochow schafft es allerdings, seiner hochwertig ausgestatteten Romanadaption vom ersten Akt an eine fiebrige Intensität zu verleihen. Schon die rastlose Handkamera transportiert ein Gefühl der Unruhe und spiegelt die um sich greifende Nervosität aller involvierten Personen. Das gebannte Warten auf eine Antwort nach dem Schreiben an Mussolini hat Thriller-Qualität. Auch weil der Film geschickt zwischen den Ereignissen in Berlin und London hin- und herspringt. Mit Franz Sauer, einem Mitglied von Hitlers Leibwache, bringt sich außerdem recht früh ein Bekannter Pauls aus Jugendtagen als potenzielle Bedrohung in Stellung. August Diehl spielt diesen Soldaten zwar als neckischen, über die alten Zeiten witzelnden Kumpeltypen. Sein launiges Auftreten wirkt aber stets etwas zu aufgesetzt. Hinter der scherzenden Fassade lauern Misstrauen und wilde Entschlossenheit.

Die Dynamik des Einstiegsdrittels überträgt sich in den Mittelteil, der die Entwicklung der Münchner Konferenz skizziert. Wichtige Entscheidungen fallen hier jedoch hinter verschlossenen Türen. Der Fokus liegt ganz auf Paul und Hugh, die sich nach längerer Zeit erstmals wiedersehen und alles riskieren, um ihre Mission zu erfüllen. Dass wichtige geschichtliche Ereignisse hier auf eine kleine Perspektive eingedampft werden, findet auch Ausdruck in der Art und Weise, wie München – Im Angesicht des Krieges gefilmt ist. Es dominieren eher nahe Einstellungen. Nur selten weitet sich der Blick der Kamera.

Ab und an wirkt der Film etwas kurzatmig. Hughs Familiensituation wird beispielsweise zu Beginn angerissen, ist dann aber lange Zeit nicht mehr von Bedeutung. Die Beziehung der beiden jungen Männer, die nach einem früheren Streit über unterschiedliche politische Ansichten zerbrochen ist, hätte trotz guter Darstellerleistungen noch etwas facettenreicher ausgearbeitet sein dürfen. Und Pauls Wandel vom Hitler-Anhänger zum enttäuschten Widerständler verläuft leider größtenteils außerhalb des Bildes. Schwochows um fiktive Elemente angereicherte Aufarbeitung, die man wegen der ständigen Sprachwechsel im Originalton schauen sollte, lässt uns dennoch mit den Protagonisten mitfiebern. Können sie sich schadlos halten, oder fliegen sie auf? Diese Frage sorgt für Nervenkitzel, selbst wenn wir den Ausgang des Münchner Treffens kennen. Bitter ist freilich auch der Nachgeschmack, den die Mischung aus Spionagethriller und Historiendrama hinterlässt: Wissen wir doch, dass der Schrecken des Krieges nur rund ein Jahr später über die Welt hereinbrach.

München – Im Angesicht des Krieges (2021)

In diesem auf dem internationalen Bestseller von Robert Harris basierenden Film steht Europa im Herbst 1938 kurz vor dem Krieg. Während Adolf Hitler den Einmarsch in die Tschechoslowakei plant, sucht die Regierung Neville Chamberlains händeringend nach einer friedlichen Lösung. Vor diesem Hintergrund reisen der britische Beamte Hugh Legat und der deutsche Diplomat Paul von Hartmann nach München, um an einer Notfallkonferenz teilzunehmen. Mit dem Beginn der Verhandlungen werden die alten Freunde in eine politische Intrige mit ernstzunehmenden Konsequenzen verstrickt. Während die ganze Welt zuschaut, dreht sich alles um die Frage, ob der Krieg noch verhindert werden kann – und falls ja, zu welchem Preis.

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Meinungen

Filmkritik 2.0 · 21.01.2022

Der Film ist von seiner Struktur und Inszenierung schrecklich altbacken. Völlig unnötig viel zu hektisch montiert und Figurenzeichnung klischeehaft und in der Wandlung der Figur des Paul nicht nachvollziehbar. Ein Film, der sich der in seiner Machart Hollywood anbiedert, doch die Amerikaner hätten so was vor 20 Jahren gedreht. Schade, schade