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In „Stella. Ein Leben“ erzählt Kilian Riedhof mit Paula Beer in der Hauptrolle von einer Jüdin im nationalsozialistischen Berlin, die für die Gestapo arbeitet.

Stella. Ein Leben (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Du musst doch bereuen, bitte!“

In den Fernsehproduktionen „Der Fall Barschel“ (2015) und „Gladbeck“ (2018) befasste sich der 1971 im hessischen Seeheim-Jugenheim geborene Regisseur Kilian Riedhof bereits mit jüngerer deutscher Zeitgeschichte. Nun widmet er sich in seinem neuen Werk „Stella. Ein Leben“ zusammen mit seinen Co-Drehbuchautoren Marc Blöbaum und Jan Braren der NS-Diktatur. Der Plot basiert auf dem Leben der deutschen Jüdin Stella Goldschlag (1922-1994), die während des Zweiten Weltkrieges – nachdem sie selbst verfolgt, verraten und misshandelt wurde – als Denunziantin für die Gestapo tätig war.

„Was hättest Du getan?“, lautet die Tagline auf dem Filmplakat. Weder das Skript noch die Inszenierung oder das Schauspielteam setzen bei der Erörterung dieser Frage auf allzu simple Antworten. Die Taten der Protagonistin werden nicht bagatellisiert; es werden keine einfachen Rechtfertigungen hervorgebracht, um Stella von ihrer schweren Schuld freizusprechen. Es wird aber deutlich, dass die Ursache ihrer Taten nicht etwa per se ein schlechter Charakter, Egoismus oder Feigheit ist – sondern ein verbrecherisches System. Darin wird Stella zur Handlangerin. Sie ist somit Opfer und Täterin zugleich – inmitten von deutschen Täter:innen.

Wir lernen Stella Goldschlag (Paula Beer) im August 1940 in Berlin kennen. Sie träumt von einer Karriere als Swing-Sängerin am Broadway und ist überzeugt, „eh bald weg“ zu sein – weshalb sie die gefährliche Lage, in der sie und ihr jüdisches Umfeld aus Familie und Freund:innen sich befinden, zunächst nicht ernst genug nimmt. „Wir sind doch nicht aus Zucker!“, meint sie fröhlich, und gibt sich dem Glamour der Musik hin. Auch Jahre später, als sie mit ihrem Bandkollegen Manfred (Damian Hardung) verheiratet ist, unterschätzt sie die enorme Bedrohung, da sie meint, mit ihren platinblond gefärbten Haaren auf der Straße nicht als Jüdin wahrgenommen zu werden.

Paula Beer, die schon in François Ozons Frantz (2016) in einem historischen Stoff überzeugte, bringt die anfängliche Naivität und fatale Unbekümmertheit der Titelfigur glaubhaft zum Ausdruck. Ebenso wird die allmähliche Erkenntnis der ausweglosen Situation, als Stella und ihre Familie zur Zwangsarbeit verpflichtet werden und sie bald mit ihrer Mutter Toni (Katja Riemann) und ihrem Vater Gerd (Lukas Miko) untertauchen muss, von Beer treffend vermittelt. Stella erlebt Verlust, Vertrauensbruch, Folter und Gefangenschaft – bis sie sich bereit erklärt, untergetauchte Jüd:innen in der Stadt aufzuspüren, um der eigenen Deportation zu entgehen. Zu ihrem Komplizen wird der Passfälscher Rolf Isaakson (Jannis Niewöhner), mit dem sie ein Liebesverhältnis verbindet.

„Diktatur bricht Menschen, das ist einer ihrer Wesenszüge! Umso wichtiger ist es, die Diktatur immer wieder zu demaskieren, den Zuschauer:innen die Chance zu geben, den eigenen moralischen Resonanzboden zum Klingen zu bringen“, heißt es im Presseheft. Den Beteiligten gelingt es, eine komplexe, hedonistisch veranlagte Person zu porträtieren und deren bittere Geschichte ohne Ausflüchte zu schildern. In Zeiten, in denen die rechte Gesinnung (nicht nur) in Deutschland wieder erschreckend um sich greift, ist Stella. Ein Leben ein wichtiger Film, der zum einen sehr genau, mit vielen stimmigen Details ein dunkles Kapitel einfängt und zum anderen (leider) über eine hohe Relevanz für die Jetztzeit verfügt.

Stella. Ein Leben (2023)

Die junge Stella Goldschlag wächst während der NS-Diktatur in Berlin auf. Sie ist der Schwarm aller Mitschüler an ihrer jüdischen Schule. Sie träumt von einer Karriere als Jazz-Sängerin. Als sie 1943 mit ihren Eltern Toni und Gerd untertauchen muss, verwandelt sich ihr Leben in eine Tragödie. Die Familie wird verraten und von der Gestapo gefasst. Stella wird daraufhin gefoltert. Um sich und ihre Eltern vor der Deportation ins KZ Auschwitz zu retten, beginnt sie als sogenannte „Greiferin“ systematisch andere Juden zu verraten. Von September 1943 bis Ende des Zweiten Weltkriegs liefert Stella hunderte Mitjuden an die Gestapo aus.

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Meinungen

Karl Alich · 12.10.2023

Die NZZ titelt in ihrer Ausgabe vom 2. Oktober 2023: „Im Holocaust waren auch Juden Täter: Davon will «Stella» erzählen – ein unsäglicher Film“ und weiter: „Erst sucht das deutsche Kino den Menschen in Hitler, jetzt den Unmenschen im Juden: Die letzten erinnerungspolitischen Dämme brechen .“Ein hartes Urteil, zu hart. Es muss aber die Frage gestellt werden: Brauchen wir einen Film, in dem die furchtbaren Taten der Jüdin Stella ausgebreitet und die Mordtaten der Nazis in den Hintergrund geraten? War es nicht genau umgekehrt? Die Nachkommen der Täter trifft keine Schuld am Holocaust. Doch gerade in diesen Tagen geht es um die Verantwortung für die Zukunft und die offensive Auseinandersetzung mit allen, gewollten oder ungewollten Erscheinungsformen des Antisemitismus.
Karl Alich