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Wenn wir alle für uns allein und unsere Familien hart arbeiten, dann brauchen wir kein funktionierendes Sozialsystem. So ist es doch, oder? – Nicht?! Das erzählt „Hillbilly Elegy“ aber anders.

Hillbilly Elegy (2020)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Harte Arbeit

Im Zuge der US-Wahl 2016 entstand ein plötzliches Interesse an den ländlichen Regionen der USA, die offenbar niemand auf dem Schirm hatte und die nun auf einmal dringend verstanden werden mussten. Was denkt der Hillbilly? Was will er? Wer ist er? Vor diesem Hintergrund wurden die Memoiren des Finanzmanagers J. D. Vance, der in armen Verhältnissen in Ohio aufwuchs und sich durch harte Arbeit und tief verwurzelte Familienwerte zu einem Jura-Studium in Yale durchkämpfte, bei ihrem Erscheinen 2016 viel diskutiert. Ein treffendes Bild der Arbeiterklasse? Oder falsche Selbst-Beweihräucherung eines Mannes, der sich für die Milieus, über die er schreibt, überhaupt nicht interessiert? „Hillbilly Elegy“ wurde nun von Ron Howard als Familiensaga über den steinigen Weg und die großen Entbehrungen des J. D. Vance verfilmt.

J. D. Vance (Owen Asztalos/Gabriel Basso) wächst in den 1990ern in Middletown, Ohio, auf. Trotz einfacher Verhältnisse ist das Leben hier gut: Mit den Jungs der anderen Familien im Ort prügelt er sich gelegentlich am Fluss, aber es gibt immer ‚deine Leute‘, auf die und auf deren Werte du dich verlassen kannst. Es herrschen Zusammenhalt und handfeste Gerechtigkeit, und über allem steht der Stolz, Teil einer Familie zu sein. Deren Geschichte und Tradition begründen, wer jemand in der Welt ist. Doch ganz so einfach bleibt das Leben natürlich nicht: Bev (Amy Adams), die Mutter von J. D. und seiner Schwester Lindsay (Haley Bennett), kämpft zunehmend mit ihrer Drogenabhängigkeit und auch Großmutter ‚Mamaw‘ Vance (Glenn Close) gelingt es nicht, Armut und Verzweiflung zu entrinnen. Alles, was sie tun kann, ist J. D. den Wert harter und ehrlicher Arbeit einzubläuen.

Selbst als der Junge erwachsen wird und sich mit Mühe ein Studium in Yale finanziert, bleibt er unweigerlich Teil seiner Familie. Kurz vor einem wichtigen Bewerbungsgespräch muss er in die Heimat, um seine rückfällig gewordene Mutter zu pflegen. Und wieder bewährt sich: Fest verwurzelte Werte und das harte, unnachgiebige Durchhalten im Angesicht von Pflegerechnungen und Wohnungslosigkeit führen irgendwann zum Erfolg. Armut, Krankheit und Hoffnungslosigkeit sind nichts gegen Heimat, Familie und Tradition.

In den wärmsten Farben und weichen Bildern zeichnet der Film eine quasi-märchenhafte Welt ländlicher Eintracht. J. D. trägt den schweren Weg aus einer Kindheit voller Gewalt und Aussichtslosigkeit allein deswegen mit Fassung, weil Kentucky und Ohio ihm Halt geben und er eine Tradition hat, auf die er sich jederzeit besinnen kann: Die weiße Arbeiterklasse seiner Vorfahren. Oder das, was Hillbilly Elegy dafür halten mag. Die gewalttätige Mutter wird nicht von der Polizei abgeholt, denn dafür gibt es ja die Familie. Der Sohn gerät nicht an falsche Freunde, die Drogen nehmen, denn darauf passt ‚Mamaw‘ schon auf. J. D. muss keine unbezahlbaren Pflegerechnungen begleichen, denn gemeinsam kann sich die Familie um Bev auch kümmern, wenn diese im Motel wohnt. Die Verbindung, die Hillbilly Elegy zwischen den persönlichen Koordinaten von Familienzusammenhalt und den strukturellen Problemen von Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit und kaum zu erreichenden Aufstiegschancen zieht, sind dabei einigermaßen irritierend.

Schnell offenbart sich im Film, dass die von Hillbilly Elegy vordergründig vielleicht als konservativ, aber konsensfähig verkauften Werte auf eine darunterliegende Politik weisen, die außer radikaler Selbstverantwortung und ‚hard work‘ eigentlich überhaupt keine Werte kennt: Wenn die Familie keine Krankenversicherung hat und sich deswegen keine Pflege für Bev leisten kann, außer sie in einem Motel unterzubringen, dann wäre die Frage durchaus möglich, ob nicht die Lösung jenseits von ‚Zusammenhalt‘ und ‚Durchkämpfen‘ vielleicht in strukturellen Veränderungen des US-amerikanischen Krankensystems läge. Doch solange es die Familie gibt, die sich kümmert, ist es unter der Musik von Hans Zimmer einfach ergreifend, dass die Heroin-abhängige Mutter allein im Motel sitzt, während der Sohn nur durch hard, hard work in Yale bestechen kann, um eines Tages für alle zu sorgen. Denn nicht nur kann er sich die Pflege der Mutter eigentlich nicht leisten, auch die Studiengebühren verlangen ihm alles ab. Ein Glück weiß er, was im Leben wirklich zählt: Durchhaltevermögen, Kampfgeist und (hat der Film das schon erwähnt?) – harte Arbeit.

Vor dem Hintergrund der sozialen Probleme, die Hillbilly Elegy eigentlich thematisiert, ist das Pathos des klassischen American Dream geradezu albern. Die Lösung aller Probleme liegt nicht darin, dass jeder für sich bis zum Umfallen kämpft. Eine Krankenversorgung, die sich alle Menschen auch leisten können, wird eben nicht dadurch abgelöst, dass es die Familie™ gibt, die unter Entbehrungen heldenhaft für alles einsteht. Der harte Weg zu guter Ausbildung wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass Anerkennung und gute Bezahlung am Ende des Tunnels winken, den man ja auch vor allem deswegen durchsteht, weil es diese Familie™ gibt, durch die der alleinige Wert von harter Arbeit™ weitergegeben wurde. Abgesehen von Glenn Close gibt es keinen Grund, sich diese nur halbherzig als ergreifende Familiengeschichte getarnte Hochglanz-Werbebroschüre für eiskalten Neoliberalismus anzusehen.

Hillbilly Elegy (2020)

J.D. Vance, ein früherer Marine aus dem Süden Ohios und derzeit Jurastudent in Yale, steht kurz davor, den Traumjob seines Lebens zu ergattern, als eine Familienkrise ihn in die Heimat zurückruft, die er eigentlich vergessen wollte. J.D. bekommt es nun mit den komplizierten Verhältnissen seiner Familie aus den Appalachen zu tun, unter anderem mit der schwierigen Beziehung zu seiner suchtkranken Mutter Bev (Amy Adams). Mithilfe der Erinnerungen seiner Großmutter Mamaw (Glenn Close) – die resolute und brillante Frau, die ihn großgezogen hat – erkennt J.D. bald, dass er zur Erfüllung seiner Träume zunächst seine Wurzeln akzeptieren muss.

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Meinungen

maja · 29.03.2021

den kritkiker find ich zu kritisch. der film basiert auf wahren erlebnissen - warum sollte dieser film noch den politischen rahmen bearbeiten, wenn das thema doch traumata, dysfunktionale familien und möglichkeiten bearbeitet.