Melancholia (2011)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Jedem Ende wohnt ein Zauber inne

In seinem gewaltigen Prolog nimmt Lars von Trier das Ende vorweg, gerade so, als würde er dem Zuschauer von Anfang an gar nicht erst die Möglichkeit geben, sich dem Unausweichlichen zu entziehen. Wie die Protagonisten in seinem Film, so ist auch der Zuschauer dem Ende hilflos ausgeliefert, sehenden Auges steuern wir auf das Unglück zu und können uns ihm nicht entziehen.

In stilisierten Bildern, die in Superzeitlupe wie zum Leben erwachte Gemälde, wie kunstvoll inszenierte Fotografien voller magischem Realismus wirken, sehen wir die Apokalypse kommen — und es ist nicht nur das Ende des Films, das in diesem grandiosen Prolog gezeigt wird, sondern es ist das Ende allen Seins. Ein gewaltiger Planet namens Melancholia, um ein Vielfaches größer als unsere Erde hat sich auf eine Reise durch das Universum gemacht, hat alle Planeten unseres Sonnensystems passiert, ohne eine Kollision zu verursachen, hat sich hinter der Sonne versteckt wie ein heimtückischer Meuchelmörder, um dann der finalen Kollision mit dem blauen Planeten zuzusteuern.

Melancholie ist auch der Name der Krankheit, unter der Justine (Kirsten Dunst) leidet. Doch man braucht eine Weile, bis man das realisiert. Weil wir sie ausgerechnet an jenem Tag kennenlernen, der allgemein als der schönste Tag im Leben gilt — bei ihrer Hochzeit. Anfangs scheint auch noch alles in bester Ordnung zu sein mit der schönen und strahlenden Braut. Auch wenn bereits die Anreise zu dem Hotel, in dem die Feier stattfindet, nicht gerade einfach ist, denn die Stretch-Limousine kann die engen und gewundenen Straßen kaum passieren. Ein eher kleines Problem, das zur Erheiterung der Braut und ihres Bräutigams Michael (Michael Skarsgård) beiträgt. Überhaupt herrscht eine ausgelassene Stimmung bei der Feier, der Vater der Braut mopst ziemlich offensichtlich die Silberlöffel und flirtet mit den zwei Bettys an seinem Tisch, die Reden sind launig, man spürt die Liebe und Zuneigung des jungen Paares zueinander. Doch dann mischen sich zunehmend Misstöne in die Feier, es kommt zum Streit der geschiedenen Elterns Justines, plötzlich ist die Braut verschwunden und erscheint wieder in sichtlich gedrückter Stimmung, Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg), die das Fest organisiert hat und deren Mann (Kiefer Sutherland) zeigen sich zunehmend genervt, so dass die Hochzeit schließlich in eine Katastrophe mündet — kein Wunder, denn sie steht buchstäblich unter einem schlechten Stern, der in wenigen Tagen sein Ziel erreichen wird. Hier endet der erste Tei des Films, der nach Justine benannt ist und der zweite mit dem Titel Claire beginnt.

Claire, die das Hotel, in dem die aus dem Ruder gelaufene Hochzeitsfeier stattfand, betreibt, nimmt ihre strauchelnde Schwester bei sich auf, kümmert sich um sie und versucht sie wieder aufzurichten. Zur gleichen Zeit nähert sich Melancholia immer schneller der Erde und die Prognosen, ob sich der Planet auf Kollisionskurs befindet oder nicht, gehen erheblich auseinander. Je greifbarer und unausweichlicher die Katastrophe ist, desto ruhiger und gefasster wird Justine, während Claire zunehmend panischer…

Lars von Triers neues, mit Spannung erwartetes Werk Melancholia ist kein Film, sondern eine Erfahrung, eine apokalyptische Verkündigung des Endes der Welt. Während Terrence Malicks Auseinandersetzung mit dem Wesen der Welt am Ende mehr Fragen aufwirft als beantwortet, bleibt der dänische Filmemacher stets klar, konkret und unbarmherzig in seiner pessimistischen Weltsicht.

Am Ende ist Schweigen und Dunkelheit. Und Fassungslosigkeit über einen Film, der überwältigt und von so großer, dunkler, monolithischer Größe ist, dass man nichts dagegen hätte, wenn damit das Filmfestival von Cannes enden würde. Denn mal ehrlich: Was soll, was kann nach dem Ende der Welt noch kommen? Außer der Goldenen Palme von Cannes natürlich…

Als Lars von Trier seinem Produzenten das Drehbuch zu lesen gegeben hatte, fragte dieser ihn nach der Lektüre, was denn nach diesem Film eigentlich noch kommen solle. Diese Frage stellt sich wahrhaftig — eine Antwort darauf steht noch aus. Man wagt es gar nicht darüber nachzudenken, wenn dies tatsächlich Lars von Triers letzter Film sein sollte. Kaum ein Regisseur hat sich im Verlauf seiner Karriere immer wieder so radikal neu erfunden, kaum einer hat so viele Impulse gegeben und ist mit seinen Werken immer wieder den Schritt an die Grenzen des Filmemachens und darüber hinaus gegangen. Es besteht kein Zweifel: Lars von Trier ist einer der größten Regisseure unserer Zeit, was Melancholia einmal mehr aufs Eindrucksvollste unterstreicht.
 

Melancholia (2011)

In seinem gewaltigen Prolog nimmt Lars von Trier das Ende vorweg, gerade so, als würde er dem Zuschauer von Anfang an gar nicht erst die Möglichkeit geben, sich dem Unausweichlichen zu entziehen. Wie die Protagonisten in seinem Film, so ist auch der Zuschauer dem Ende hilflos ausgeliefert, sehenden Auges steuern wir auf das Unglück zu und können uns ihm nicht entziehen.

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Meinungen

Anneliese Siegle · 28.11.2011

Ein Meisterwerk! Mich hat noch selten ein Film so beeindruckt. Wenn das Ende der Welt so kommt, bin ich einverstanden!

friedgard Schulte-Thoma. · 22.10.2022

Dann haben Sie den Original "Tristan" von Wagner noch nicht nicht ansatzweise gesehen oder gar gehört

marywin · 03.11.2011

Ein abartig düsterer Film, den ich gut gefunden hätte, wenn er sich auf die Darstellung liebloser Familienbande, materialistischer Einstellungen und jobmäßiger Zumutungen beschränkt hätte. Lange hielt ich es für eine Metapher. Es ist einfach nur düstere Fantasy-Verfilmung, die mit den Emotionen der Leute spielt. Schade um Charlotte Gainsbourg. Der Regisseur kann bekannt sein wie er will und Wagner hinzuziehen und Preise einkassieren, ich werde ihn mir nicht noch mal antun.

kim · 02.11.2011

Tolle Bilder (vorallem im Prolog, aber nicht nur), keine Längen. Erst beim späteren Reflektieren wird einem klar, dass die Story ein bisschen unausgegoren ist.
Trotzdem 6 Sterne.

nania · 30.10.2011

An und für sich habe ich nichts gegen "anspruchsvolle" Filme. Aber sie sollen m.E. auch tatsächlich anspruchsvoll sein. Gerade bei Melancholia waren mir die Stilmittel, die Sinnbilder und Allgorien viel zu überdeutlich dargestellt und damit entwertet. Dazu kam noch ein gehöriger wissenschaftler Unfug, eine dünne Story und viel zu einseitige Melodie. Denn Tristan und Isolde ist in diesem Werk wahrlich nicht zu finden.
Ich mag klassische Musik, aber dieses Stück werde ich mir nie wieder anhören können.

Die schauspielerische Leistung - die war ohne Zweifel gut - aber der Rest? Ich halte den Film für ziemlich aufgeblasen - wie übrigens auch die jenigen, die mit mir im Kino waren - und wir sind alle keine Leute, die sich vor so etwas scheuen. Nur leider traf zu viel aufeinander, so dass wir eigentlich nacher ziemlich belustigt aus dem Kino kamen. Warum? Weil der Film uns überkandidelt erschien.

Das mag anderen anders gehen, aber Lars von Trier ist eben kein Regisseur, der vielen gefällt.

Melancholia · 25.10.2011

Der Film ist gut... die vollen Kinosäle beweisen dies.

ABER: Er hat seine Längen. Es gibt keinen Stoff, den man nicht innerhalb von zwei Stunden erzählen kann. Dieses Werk an den richtigen Stellen um insgesamt eine Viertelstunde gekürzt - und es gäbe für niemanden mehr ein Leugnen, dass der Streifen ein Meisterwerk ist und bleibt!

Fabian · 21.10.2011

Und wie langweilig, durchschnittlich und uninspiriert muss man sein um diesen Film schlecht zu finden....

Ana · 19.10.2011

Ein ganz schlechter Film. Es wird in epischer Breite langweilig und mit schrecklich lauter Musik die Depression der einen Schwester und die Angszustände der anderen Schwester aufgezeigt. Dass ein Planet auf die Erde zusteuert, ist nicht wirklich Teil der Geschichte (nur zum Schluss, als die Schwester ständig gen Himmel blickt). Wie die normale Bevölkerung auf diesen Weltuntergang reagiert, wird hier auch nicht erwähnt. Den Film hätte man auch ohne den Weltuntergang, mit irgend einem anderen Angszustand drehen können. Insgesamt völlig sinnlos und langweilig! Welchen Geisteszustand muss man erreicht haben um diesen Film gut zu finden?

Anna S. · 19.10.2011

Große Schauspieler, große Gefühle und der Mut zu den große Themen - ganz großes Kino, das sich nicht um den angesagten Zeitgeist schert.
Lars von Trier geht unbeirrt seinen künstlerisch-kompromisslosen Weg weiter und ist und bleibt damit einfach der größte Filmkünstler des gegenwärtigen europäischen Films. Eine Inspiration für unser aller Leben.

Machtnix · 17.10.2011

Der Film ist keinen Cent wert. Einige haben das Ende nicht gesehen...... warum auch. Einfach Müll

Rolf · 15.10.2011

Ein Meisterwerk! Vielen Dank.

me · 14.10.2011

ein meisterwerk in opulenten wunderschönen bildern
vielleicht sollte man vor deem fiml warnen, denn er macht die depression körperlich spürbar
und zeigt den unterschied von lebensangst und todesangst
nein , das ist kein film für jeden...besonders nicht für latent depressive menschen
auch meiner freundin und mir war übel als wir aus dem kino kamen
und ich denke, das war durch bildschnitt und kameraführung auch willentlich so angelegt
große kunst, großes kino...keine worte...

Der Barmbeker · 13.10.2011

Der Film zieht einen in das Zentrum von Geisteskrankheit, ob man will oder nicht. Hinterher war mir übel. Was hilft es, die Todessehnsucht einer Depressiven erfüllt zu sehen? und zwar für alle. Der Film ist nicht zu empfehlen. Die nur zum Teil schönen Bilder werden durch den überwiegenden Einsatz einer wackeligen Handkamera zunichte gemacht. Der erste Teil lebt von der Schauspielkunst der Hautdarstellerin, nur deswegen gebe ich 2 Punkte.

@kinofan · 12.10.2011

Tss, tss - nur will jemand nicht gut und verständlich sprechen kann, heißt dass noch lange nicht, dass er keine Filme drehen kann. Anderes Medium, mehr Zeit zum Überlegen, usw...

kinofan · 11.10.2011

Zitat aus: Artikel zum Thema (s.u.)
Lars von Trier: Weiter Ärger wegen Nazi-Äußerungen

Im Mai hatte von Trier bei der Pressekonferenz zu seinem Film Melancholia beim Filmfestival von Cannes eine reichlich wirre Rede von sich gegeben, die so interpretiert werden konnte, dass er Sympathien für den Faschismus hege. Der Regisseur wurde daraufhin vom Festival ausgeschlossen.

Erste Konsequenzen hat der Regisseur bereits für sich selber gezogen. Von Trier gesteht ein, dass er "nicht die Fähigkeit besitzt, sich klar und eindeutig auszudrücken"...

Kinofan:
Ein bisschen größenwahnsinnig der Herr, und wenn er sich nicht klar ausdrücken kann, sollte er auch aufhören, Filme zu produzieren.
Auf seine aufpolierte Gefühlsduselei kann man verzichten.

Herr K · 10.10.2011

Im Groben und Ganzen sehr guter Film. Er hat zwar so seine Längen, aber da muss man halt mal durchhalten. Duchhaltefilme sind sowie so das beste, da kommen vielleicht mal andere Filmfassetten zum Vorschein, die den Einen oder Anderen Standartfilmliebhaber stören könnten. Die sehen Kirsten Dunst aber wenigstens mal nackt und am Ende gibst auch aktionmässiges Feuer.
Jedenfalls spürt man teilweise eindrucksvoll die Unsicherheit und Bedrückung Einiger sowie die Coolness und Selbstsicherheit Anderer. Das sich im Zweiten Teil bei den Protagonisten völlig umkehrt (Kinder sind davon natürlich ausgeschlossen). Die ganze bröckelnde Fassade des menschlichen Daseins wird eindrucksvoll durch das Hochzeitsfest offenbart. Wer sollte nun in die Klapsmülle, wohl doch alle „Normalen“!

Und was bleibt – wie würden Sie sich verhalten im Angesicht des jüngsten Gerichts?

Gott zum Gruße all euch elitären Cineasten

Mike · 08.10.2011

Die Story ist einfach nur dünn. Der Versuch des surrealen ist völlig in die Hose gegangen. Der Film kann such von den besten Schauspielern nicht gerettet werden, er bleibt langweilig, zäh und ist eine reine Geld verschwendung.

Cleo Sonntag · 08.10.2011

Kein klassischer Katastrophenfilm, da die Unausweglichkeit von erster Sekunde an wahrhaftig spürbar ist.
Trotz dessen schafft es Lars von Trier die beginnende Künstlichkeit später durch seine mit der typischen Handkamera realistisch inszenierten Bilder,
den Film voller Spannung in ein geschlossenes System zu verwandeln. Ein weiteres Lars von Trier Meisterwerk!

kinofan · 06.10.2011

Die Eitelkeit eines Lars von Trier ist nicht zu toppen. Fellini ist eben unerreichbar. Das Surreale in diesem Film geht glatt weg in die Hose, eben zu fett aufgetragen; dazu eine dünne Story. Die Schauspieler geben ihr Bestes. das ist aber auch so gut wie alles.
Schade, dass so viel Wirbel um diesen Film gemacht wird, hat er einfach nicht verdient.

DerEine · 04.10.2011

Einer der besten Filme, den ich je gesehen habe. Dieser Film wird mir lange in Erinnerung bleiben, er ist fast schon traumatisch aber im guten Sinne. Ich denke, dass Gläubige Menschen ein Problem mit diesem Film haben werden, wegen gewissen Zeilen von Dunst. Teilweise sehr kontrovers aber trauriger weise Fakt und aus diesem Grund wird leugnend reagiert und abgelehnt. Es gibt an diesem Film nichts auszusetzen, es sei denn man kann schlecht mit der Wahrheit umgehen. Ein Philosophisches Meisterwerk. 6/6

juergen04 · 30.09.2011

Überbetont schöne Bilder in einer unverständlich langatmigen Geschichte, die sich mehr als Opernstoff eignen würde. Ich versteh den Hype nicht, der um diesen Film gemacht wird. Beim Namen des Regisseurs scheint alles sofort in Ehrfurcht zu erstarren.... Dieser Film hat bei mir jedenfalls keinen anhaltenden Eindruck hinterlassen.

Fan · 26.07.2011

Der Wahnsinn - man hängt an diesem Film wie an einer Nadel!