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Zum wiederholten Mal standen Dany Boon und Kad Merad für eine Komödie vor der Kamera. Vom sympathisch-ulkigen Treiben aus „Willkommen bei den Sch‘tis“ ist diese unbeholfene Klamotte aber weit entfernt.

Voll ins Leben (2023)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Am Leben vorbei

Er ist auf Figuren an der Grenze zur Karikatur abonniert, kann aber auch ganz anders. Die Tragikomödie Im Taxi mit Madeleine zeigt einen Dany Boon, der nicht herumkaspert, sondern gekonnt zwischen Ernst und leiser Komik changiert. Mit Voll ins Leben wendet sich der französischen Filmemacher und Schauspieler leider wieder dem Brachialhumor zu und stolpert zusammen mit Kad Merad und Charlotte Gainsbourg durch eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte, die auf seinen eigenen Mist gewachsen ist. Drehbuch und Regie lagen schließlich in Boons Hand. Wie achtlos hier geschwisterliche Differenzen und romantische Verwicklungen beschrieben werden, erstaunt allemal.

Mit am überzeugendsten ist noch die Einführung in das Geschehen: In Form alter Amateurfilme tauchen wir im Schnelldurchlauf in das Leben der Hauptfigur ein. Tridan Lagache wurde in einem mexikanischen Resort des – real existierenden – Tourismusriesen Club Med geboren und wuchs, da seine Eltern in ebendieser Anlage arbeiteten, auch dort auf. Die Welt außerhalb der Urlaubsblase lernte er nie kennen, musste ständig liebgewonnene Menschen verabschieden und schaffte selbst im Erwachsenenalter nicht den Absprung.

Erst nach einem Zusammenbruch auf der Bühne des Resorts setzt mit 50 Jahren ein Umdenken ein. Tridan (Dany Boon) verlässt sein ungewöhnliches Zuhause, um – irgendeinen Grund muss das Skript ja liefern – seine große Kindheitsliebe Violette in Paris zu suchen. Der ehemalige Clubbewohner ist, daran gibt es schon am Anfang keinen Zweifel, völlig naiv und weltfremd. Untermauert wird dieser Eindruck durch seine schräge Atze-Schröder-Gedächtnisfrisur und seinen eigenwilligen Kleidungsstil. Tridan wirkt nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern wie eine Cartoon-Figur.

Seine fehlenden Erfahrungen mit der Welt da draußen nutzt der Film für diverse Scherze, wobei nur wenige wirklich lustig sind. Erheiternd ist es, dass er nach seiner Ankunft in Paris im Restaurant vergisst, seine Rechnung zu bezahlen. Natürlich keine böse Absicht. Vielmehr hat ihn die Macht der Gewohnheit im Griff. Immerhin waren im Club Med Essen und Trinken stets all-inclusive. Auf diesem Gag reitet Voll ins Leben im weiteren Verlauf jedoch ein bisschen zu oft herum.

Immer seltsamere Blüten treibt die Handlung ab dem Moment, in dem Tridan mit seinem Halbbruder Louis (Kad Merad) zu tun bekommt. Die beiden treffen sich in der kleinen Wohnung ihres gemeinsamen Vaters, der, so begreifen sie, eine Affäre hatte, bevor er mit Tridans Mutter nach Mexiko ging. Louis ist das Ergebnis des Seitensprungs und auf seinen mittlerweile verstorbenen Erzeuger alles andere als gut zu sprechen. Keine Lust hat er überdies, sich mit Tridan abzugeben, geschweige denn, ihn zu beherbergen.

Weil dem Paris-Besucher allerdings die Hälfte des väterlichen Apartments gehört, sieht sich Louis zu einer List gezwungen. Nachdem er erfahren hat, dass die von Tridan gesuchte Violette bereits verstorben ist, bittet er seine Teilzeitliebhaberin Roxane (Charlotte Gainsbourg), sich als die gesuchte Kindheitsfreundin auszugeben und dem Halbbruder freundlich klarzumachen, dass sie bereits vergeben sei. Tridan, das hofft Louis, würde seine Zelte dann schon abbrechen.

Wie in einer solchen Konstellation üblich, sind die Geschwister grundverschieden. Während der Club-Med-Zögling mit einem Lächeln durch die Welt geht, etwas Menschlichkeit in den hektischen Großstadtalltag bringen möchte und schmerzhaft verträumt auf die Liebe blickt, ist Louis eher der rücksichtslose Egomane. Ständig schlecht gelaunt, nur auf seinen Vorteil bedacht, an unverbindlichen Sextreffen interessiert, in einen Krieg mit seiner Ex-Frau verwickelt und mehrfach misogyne Dinge von sich gebend, hat er keinerlei Ähnlichkeiten mit Tridan. Roxane wiederum wird auf die Rolle eines Spielballs reduziert, erhält kein richtiges Profil, wird teilweise wie ein Dummerchen inszeniert, erweist sich in manchen Augenblicken aber plötzlich überraschend klarsichtig. Widersprüchliche Figuren können spannend sein. In ihrem Fall springt das Drehbuch jedoch nach Belieben hin und her.

Wie einfach der Humor häufig gestrickt ist, veranschaulicht eine Szene, in der Tridan von seinem schon zu Beginn angerissenen Trauma übermannt wird. Weil er als Kind permanent ihm ans Herz gewachsene Menschen hat abreisen sehen, lösen Busse eine Panikreaktion in ihm aus. Dass er beim Anblick eines gewöhnlichen Pariser Liniengefährts in helle Aufregung verfällt, ist allerdings nicht witzig, sondern schlichtweg lächerlich.

Aus der Kurve fliegt die romantisch angehauchte Komödie spätestens mit den Verstrickungen in der zweiten Hälfte, die zwischen ernüchternd formelhaft und gänzlich hanebüchen pendeln. Nebenkriegsschauplätze wie der Subplot rund um Louis‘ Aggro-Sohn Yohan (Marin Judas) werden derart platt auf die Spitze getrieben und aufgelöst, dass man sich fast darüber amüsieren könnte. Was Voll ins Leben am Ende als wahre Liebe verkaufen will, stinkt zudem gen Himmel. Im Kino muss natürlich nicht alles realistisch sein. Etwas mehr Lebensnähe als hier ist aber sicher nicht zu viel verlangt.

Voll ins Leben (2023)

Sein ganzes bisheriges Leben hat Tridan Lagache in dem  Club Med verbracht, wo er geboren wurde. Und dementsprechend hat er bislang alle acht Tage seine Freunde gewechselt, doch damit soll jetzt endlich Schluss sein. Also kündigt er in dem in Mexiko gelegenen Club und macht sich auf die Suche nach seiner Jugendliebe Violette. Doch das Leben außerhalb eines Ferienclubs ist gar nicht so einfach: Als er in Paris landet, kommt er zwar bei seinem Halbbruder Louis unter, von dessen Existenz er bis vor kurzem noch nichts wusste. Doch der will ihn schnell wieder loswerden und bittet deshalb Roxane darum, sich als Violette auszugeben.

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