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Nachdem sie jahrelang in einer WG gewohnt hat, zieht Lisa aus. In die erste eigene Wohnung. Dabei werden nicht nur Kisten gepackt und Schränke demontiert, sondern auch Beziehungen und Freundschaften einer Prüfung unterzogen. Kommt das mit hinüber ins neue Leben oder bleibt es zurück?

Das Mädchen und die Spinne (2021)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

2 Zimmer, Küche, Bad

Zwei Füße in Sicherheitsschuhen, eine asphaltierte Straße, ein Presslufthammer, der Löcher in die harte Oberfläche bohrt — immer wieder werden die Episoden, aus denen Ramon und Silvan Zürcher ihren Film „Das Mädchen und die Spinne“ gebaut haben, umrahmt und rhythmisiert von diesem sich wiederholenden Bild. Ungleich feiner aber als in diesen kleinen Szenen sind die Mittel, mit denen die beiden Filmemacher unter die schroffe, aber ungleich glattere Oberfläche ihrer Geschichte vordringen — mit ganz feinen Nadeln, scharfen Blick und sezierenden Dialogen zerlegen sie die von ihnen beobachteten Alltagssituationen bis aufs Blut und legen dabei mit beinahe schon sadistischer Freude die offenen Nervenenden ihrer Figuren frei.

Lange Zeit haben Mara (Henriette Confurius) und Lisa (Liliane Amuat) gemeinsam mit Markus (Ivan Georgiev) in einer WG gewohnt, doch nun zieht Lisa aus in eine eigene Wohnung ganz für sich allein. Eigentlich ein Anlass zur Freude, doch das geschäftige Treiben von Freund*innen und Verwandten, die mit helfen beim Bezug der neuen Wohnung, deren Grundriss wir zu Beginn gezeigt bekommen, und beim Ausräumen der alten, vibriert vor Spannungen verschiedener Art. Schnell merkt man, dass die Dinge zwischen Lisa und Mara nicht gerade zum Besten stehen, Verletzung und Traurigkeit, zwischen denen immer wieder kleine Gesten einer ehemaligen oder vielleicht immer noch gegenwärtigen Vertrautheit hindurchschimmern, dazu irritierende Sätze und kleine Handlungen, die mindestens passiv-aggressiv gedeutet werden müssen — all das durchbricht und unterminiert die Oberfläche eines Umzugs mit Freunden und der Verheißung eines unbelasteten Neuanfangs an einem anderen Ort in der nicht genauer benannten Stadt. Da gibt es Liebespaare, die sich gerade getrennt haben, andere, die gerade erst (vielleicht) zusammenfinden, Freundschaften, die zerbrechen (oder auch nicht), Flirts wie zwischen Lisas Mutter (Ursina Lardi) und dem Handwerker Jurek (André M. Hennicke), Annäherungsversuche wie zwischen Jan (Flurin Giger) und Mara, die ihn brüsk zurückweist, und immer wieder aufbrechende, schwelende Konflikte, niemals laut, aber stets von brennender Intensität. 

Die beiden Wohnungen, die alte wie die neue, sind nicht nur bevölkert von Menschen, die helfen, und Kindern, die unnütz im Weg herumstehen, sondern auch von Geistern und Gespenstern. Da ist beispielsweise die Nachbarin Frau Arnold, die einmal die Katze an sich genommen hatte und sie am liebsten nicht wieder hergegeben hätte. Oder die geisterhafte und zumeist nackte Mitbewohnerin der benachbarten WG, die wie ein Gespenst immer nur nachts aus dem Haus geht und die tagsüber schläft. Und nicht zuletzt gibt es ein altes Piano als Hinterlassenschaft eines Dienstmädchens, das eines Tages aus der WG auszog und das Klavier sowie eine Kiste hinterließ und die auf einem Kreuzfahrtschiff vermutet wird.

Wie bereits in Das merkwürdige Kätzchen (2013) verstehen es Ramon und Silvan Zürcher in Das Mädchen und die Spinne, scheinbar kleine Alltagssituationen mit Spannung, Doppelbödigkeit und unzähligen kleinen Spitzen aufzuladen, die verdeutlichen, wie sehr es unter der scheinbar ruhigen Oberfläche brodelt. Kaum ein Wortwechsel kommt hier ohne Spitzen und kleine oder größere Gemeinheiten aus, im günstigsten Fall drückt sich in ihnen sexuelle Anspannung aus, manchmal aber auch blanker Hass oder abgrundtiefe Verletzung, stets lächelnd und seelenruhig vorgetragen. Selten nur entgleist hier mal etwas, hat sich jemand nicht im Griff, ist nicht alles unter Kontrolle — zumindest wenn man der Oberfläche vertraut. 

Mit genauem Blick auch für kleine und kleinste Details, für Blicke und kleine Gesten vermisst der Film seine winzige Welt und erstellt eine Kartographie der Untiefen und Bruchlinien der Menschen, die diese Welt bevölkern, die hier ein- und ausgehen, ankommen und wieder verschwinden oder die vielleicht niemals wirklich da waren. 

Am Ende fasst ausgerechnet die Geisterstimme des imaginierten Dienstmädchens zur See das, was zuvor zu sehen war, treffend zusammen: „Seitdem ich auf dem Schiff bin, ist mir schwindlig. Immer schwankt es. Ich torkle und staune, nicht zu fallen. Staune, dass niemand fällt. Und frage mich, wieso die Kerzenständer im Salon nicht umkippen. Die Vasen nicht über die Tischkanten rutschen. Die Lampen nicht gegen die Wände krachen. Hier wirkt alles magnetisch. Als halte eine geheime Kraft die Dinge zusammen. Die Kraft des Schiffs. Wie ein stolzes Schloss gleitet es über die Wellen. Schwebt ruhevoll durch einen Traum. Meinen Traum …“ 

Wie ein Traum wirkt auch dieser Film — man kann sich nur am Ende nicht so recht sicher sein, ob es ein guter Traum war oder nicht vielleicht eher ein abgrundtiefer böser. Beunruhigend ist er auf jeden Fall. 

Das Mädchen und die Spinne (2021)

Lisa zieht aus, Mara bleibt zurück. Während Kisten geschleppt, Wände gestrichen und Schränke aufgebaut werden, tun sich Abgründe auf, lassen Sehnsüchte den Raum anschwellen und ein Begehrenskarussel nimmt immer mehr Fahrt auf.

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