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Die unvermutete Lieferung eines Pakets mit Aufzeichnungen aus der Vergangenheit  zwingt die alleinerziehende Maia und deren Tochter Alex, sich mit der Lebensgeschichte der Mutter auseinanderzusetzen. Und diese Reise führt in den vom Bürgerkrieg gezeichneten Libanon der 1980er Jahre.

Memory Box (2021)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Pandora’s Box

Es ist eine Kiste randvoll mit Erinnerungen, die ein Postbote während eines verschneiten Winters in Montreal bei der alleinerziehenden Maia (Rim Turki) abliefert — eine Erinnerungskiste, mit der diese zunächst überhaupt nichts zu tun haben will. Denn sie steckt randvoll mit Fotos, besprochenen Kassetten und Tagebuchaufzeichnungen aus einer Zeit, an die sie lieber nicht erinnert werden will. Sie entstammen den Achtzigerjahren, als Maia so alt war wie jetzt ihre Tochter Alex (Paloma Vauthier) und als sie im vom Bürgerkrieg gezeichneten Libanon aufwuchs. Doch während die Mutter die Kiste und deren Inhalt am liebsten unter Verschluss halten würde, ist die Neugier von Alex geweckt. Und so beginnt sie heimlich, die verschiedenen Aufzeichnungen und Aufnahmen genauer zu untersuchen und daraus die Geschichte ihrer Mutter zu rekonstruieren.

Dass Joana Hadjithomas und Khalil Joreige bislang vor allem im Bereich der Medienkunst gearbeitet haben, merkt man dem Film vor allem zu Beginn an, wenn sich Chatfenster und Benachrichtigungen über Direktnachrichten über die Bilder legen. Auch später zeigt sich die künstlerische Herkunft der beiden, wenn sie die Fotografien aus der Kiste mittels Stop-Motion-Verfahren zum Leben erwecken und sich in diese plötzlich die Brand- und Zerstörungsspuren des Krieges förmlich hineinfressen und die Menschen, die auf den Bildern zu sehen sind, ganz an den Bildrand drängen. In diesen Momenten werden die Schrecken des Krieges nicht nur sicht-, sondern vor allem spürbar — und das vor allem mit künstlerischen Mitteln, die an der Schnittstelle von Medienkunst und Film stehen. Statt die Schrecken des Krieges mittels Realismus nachzuzeichnen, sind es hier Verdichtung und Zuspitzung, die den Ton vorgeben. 

Überhaupt arbeitet der Film immer wieder mit solchen Überlagerungen von Erinnertem, Verdrängtem, Vergangenem und Gegenwärtigem, Momenten großen Glücks und solchen tiefster Traumatisierung. Und es ist ziemlich bezeichnend, dass diese Aufarbeitung der Traumata der Elterngeneration durch die jüngere immer wieder mit Mitteln des Digitalen geschieht. Eine Bewegung der Verlebendigung und Vergegenwärtigung des Vergangenen, wie sie gerade in den sozialen Netzwerken immer häufiger zu beobachten ist — sei es durch Farbgebungsverfahren alter Schwarzweißfotografien oder das Rendern historischer Filmaufnahmen in nahezu HD-Qualität.  Insofern erzählt Memory Box ganz nebenbei auch eine kleine Mediengeschichte, anhand derer sich Bruchlinien zwischen den Generationen ausmachen lassen.

Allerdings — und das ist sicherlich ein nicht unerhebliches Manko des ansonsten sehr gelungenen Films — gerät vor dem Hintergrund der Geschichte der Mutter die der Tochter ein wenig in den Hintergrund. Letztere fungiert vor allem als Katalysator für die Reise in die Vergangenheit. Ruft man sich aber ins Gedächtnis, dass, wie der Vorspann verkündet, die Geschichte lose auf den Erinnerungen von Joana Hadjithomas basiert und dass die Bilder aus dem Bürgerkrieg im Libanon  der 1980er Jahre zeitgenössische Aufnahmen ihres Co-Regisseurs Khalil Joreige sind, wird klar, dass dies zumindest einer strengen inneren Logik der Filmemacher*innen folgt und deren Wunsch nach Traumaverarbeitung. Und immerhin gerät vor diesem Hintergrund auch eine Figur wie die herrlich gezeichnete Großmutter von Alex schnell zur reinen Staffage. Aus der anfänglichen Dreierkonstellation, die Memory Box zu Beginn anmuten ließ wie eine (Frauen)Geschichte, verengt sich der Fokus zum Schluss vor allem auf Maia und lässt so eine Menge an Potenzial unterwegs einfach fallen. 

Und so bleibt Memory Box bis zum überaus versöhnlichen Ende über den Dächern von Beirut mehr ein Versprechen als dessen Erfüllung — ein Film voller guter Ideen und Ansätze, voller frischer Bilder und wichtiger Themen, die aber am Schluss einen zwar sehenswerten, aber nicht zur Gänze überzeugenden Film ergeben.

Memory Box (2021)

Maia lebt mit ihrer heranwachsenden Tochter Alex in Montreal. Am Weihnachtsabend trifft eine Kiste mit alten Schreibheften, Tonbändern und Fotos ein, die sie ihrer besten Freundin anvertraut hatte, bevor sie den Libanon verließ. Maia will diese Büchse der Pandora nicht öffnen, doch Alex kann nicht widerstehen: Als sie wegen eines Schneesturms zu Hause festsitzt, öffnet sie heimlich die Erinnerungskiste und erfährt so von der turbulenten Jugend ihrer Mutter in Beirut während des Bürgerkriegs.

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