The One Man Village

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Vom Glück des Landlebens

Vor allem Städter haben vom Landleben idyllische Vorstellungen. Dass die bäuerlichen Rhythmen tatsächlich einen Menschen glücklich machen können, zeigt der Dokumentarfilm des Libanesen Simon El Habre: eine bildstarke Hommage auf einen Mann, der als einziger in ein zerstörtes Bergdorf zurückgekehrt ist.
The One Man Village/ Semaan Bil Day’ia setzt ganz auf die Überzeugungskraft seiner poetischen Kamerasprache. Der Blick auf die Landschaft und auf die Gesichter sagt mehr als das, was die Interviewten von sich preisgeben. Regisseur Simon El Habre lädt die Zuschauer ein, sich dem Fluss der Bilder hinzugeben und sich treiben zu lassen wie an einem schönen Tag im Grünen, an dem man die Zeit vergisst. Jede Schau in die libanesischen Berge ist genau komponiert, jede Detailaufnahme bietet ungewöhnliche Ansichten und sogar die interviewten Personen wirken manchmal so, als habe sie ein Maler in eine Kulisse gerückt.

So entsteht ein Erzählfluss, der sich harmonisch an den Lebensentwurf von Semaan anschmiegt. Semaan ist der einzige Bewohner von Ain el Halazoun, eines Dorfes im Libanongebirge, in dem vor dem Bürgerkrieg 45 Familien lebten. „Ich habe mir versprochen, dass ich eines Tages wieder Kühe haben werde“, sagt er. Darum kam er vor fünf Jahren zurück in sein Heimatdorf. Zu hektisch und zu schmutzig war ihm das Leben in der Stadt. Semaan wollte wieder leben wie früher – im engen Kontakt mit Tieren, im Einklang mit der Natur und nahe bei seinen Wurzeln, auch wenn er in seinem Dorf ganz allein ist und weder Frau noch Kinder hat. Über Politik spricht er nicht, auch nicht über die Vergangenheit. Semaan will niemanden bekehren, er will einfach nur frei sein und das Leben nach seinem Gusto genießen.

Der Mann mit dem grauen Pferdeschwanz und dem markanten Schnauzbart hat ganz recht, wenn er sich an manchen Stellen wortkarg gibt. Wir können ja alles sehen: Dass hier einer den richtigen Schritt getan hat, lässt sich allein an seinen zufriedenen Augen, seinem verschmitzten Lächeln und seiner entspannten Haltung ablesen. Aber gerade diese Weigerung, als Exempel für das große Ganze zu fungieren, erlaubt es dem Regisseur – übrigens der Neffe von Semaan — sich in seinem ersten langen Dokumentarfilm seine eigenen Gedanken zu machen. Die formuliert er zwar nicht explizit, aber sie werden einfach durch den Hintergrund lebendig, vor dem Semaan seine höchst private Entscheidung getroffen hat. Während des Bürgerkrieges zwischen Christen und Drusen (eine mehr dem Islam nahestehende Religion) hatten die Bewohner 1983 das Dorf verlassen, das daraufhin von Milizen zerstört und unbewohnbar gemacht wurde.

Die Aussöhnung von 1994 erlaubt es der christlich geprägten Bevölkerung des Libanongebirges ganz offiziell, wieder in ihre Heimatdörfer zurückzukehren. Doch die Wunden sitzen offenbar zu tief. Außer Semaan hat niemand diesen Schritt getan. Manche der Vertriebenen bestellen zwar wieder ihr Land, kehren aber vor Sonnenuntergang in ihre neue Heimat in der Stadt zurück. Warum sie dem Frieden nicht trauen, erfährt man in den Interviews des Films genauso wenig wie den genauen Hergang der Vertreibung. Dies ist kein Defizit der Recherche, sondern spiegelt die Scham über ein offenbar sinnloses und willkürliches Blutvergießen. „Früher liebten wir uns wie Brüder“, erzählt ein alter Mann, der die Wandlung zum Hass wie ein Naturgesetz schildert. „Wenn man sich nicht mehr liebt, bekämpft man sich.“ Vor diesem Hintergrund bekommt die Entscheidung von Semaan etwas Symbolisches: ein Akt der Versöhnung, des Nach-Vorne-Schauens und des Anknüpfens an ein früheres Miteinander. Ein Frieden, der auch in den Bildern lebt: dem klaren, intensiven Einklang mit der Natur.

The One Man Village

Vor allem Städter haben vom Landleben idyllische Vorstellungen. Dass die bäuerlichen Rhythmen tatsächlich einen Menschen glücklich machen können, zeigt der Dokumentarfilm des Libanesen Simon El Habre: eine bildstarke Hommage auf einen Mann, der als einziger in ein zerstörtes Bergdorf zurückgekehrt ist.
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