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Dominik Graf legt mit „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ eine in ihrer Originalität und melancholischen Tiefe durchweg sehenswerte Adaption von Erich Kästners Roman vor.

Fabian oder der Gang vor die Hunde (2021)

Eine Filmkritik von Dobrila Kontić

Die Schwere des Unabgeschlossenen

Die Vergangenheit ist näher als vermutet, scheint uns die Einstiegsszene von Fabian oder Der Gang vor die Hunde mitteilen zu wollen: Die Treppenstufen hinab geht es in die Berliner U-Bahn-Station Heidelberger Platz, zunächst ins Gegenwarts-Gewimmel und vorbei an unzähligen Reisenden, die aus den gelben Bahnen steigen, auf ihre Smartphones starren und mitunter in die Kamera. Diese schreitet am anderen Ende der Station wieder hinaus und rund 90 Jahre zurück, ins Berlin Anfang der 1930er. Die letzten Jahre der Weimarer Republik haben begonnen, NSDAP-Plakate säumen den Weg raus aus dem U-Bahnhof, draußen scheint die Sonne, aber ansonsten überzieht schon längst kein goldener Schimmer mehr die triste Gegenwart.

Auf diesen Rückspulvorgang folgt in Fabian oder der Gang vor die Hunde ein zu Beginn noch wirres Gemenge aus wackligen, teilweise im Super 8-Format gedrehten Aufnahmen, Original-Filmschnipseln von Berliner Straßenszenen jener Zeit, theaterhaften Dialogen und unterschiedlichen Erzählstimmen aus dem Off. Regisseur Dominik Graf scheint das Publikum bewusst fordern, vielleicht auch ein wenig überfordern zu wollen mit diesem Einstieg in seine Adaption von Erich Kästners Roman, der 1931 in gekürzter Form erstmals erschien und 2013 in seiner Urfassung und mit dem ursprünglichen Ergänzungstitel als „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ veröffentlicht wurde. Auf dieser Urfassung und dem pessimistischeren Ausblick des Titels gründet das Drama um den Protagonisten Dr. Jakob Fabian (Tom Schilling), von allen nur Fabian genannt.

Eigentlich hat der aus Dresden stammende Germanist und Kriegsveteran schriftstellerische Ambitionen, aber verdingt sein Sprachgefühl gegenwärtig als Werbetexter in einer Zigarettenfabrik. Seine kritischen Beobachtungen zur Gegenwart, insbesondere dem besorgniserregenden Elendsanstieg und Werteverfall im „Steinhaufen“ Berlin, notiert er in einem Notizbuch und teilt sie seiner Umgebung mit feiner Ironie mit. Eine Haltung, die Fabians bester Freund Stephan Labude (Albrecht Schuch) als wirkungslos kritisiert. In seinen lichten Momenten beschwört Stephan als sozialistischer Aktivist das „Zeitalter der Menschenwürde“ herauf und hofft, dass seine kürzlich eingereichte Habilitationsschrift zum Dichter Gotthold Ephraim Lessing Anerkennung findet. In seinen dunklen Momenten aber gibt er sich der Melancholie haltlos hin und ertränkt seinen noch frischen Liebeskummer im Exzess.

Und für solche Zwecke hat Berlin in diesem Sommer 1931 jede Menge geeignete Etablissements zu bieten: Gemeinsam schlagen sich Fabian und Stephan die Nächte in schäbigen Kneipen, Künstlerateliers und beim Kabarett um die Ohren, begleitet von einer Kamera, die mitunter genau wie die beiden ums Gleichgewicht ringen muss. An einem solchen Abend lernt Fabian die junge Frau kennen, die seit kurzem seine Nachbarin ist: Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl), eine Rechtsreferendarin, die von einer Schauspielkarriere träumt. Die beiden verlieben sich so schnell und hingebungsvoll ineinander, dass Fabian versucht ist, seinen trotzigen Pessimismus abzulegen. Doch finanzielle Nöte und unterschiedliche moralische Auffassungen stehen der jungen Beziehung bald im Weg.

In seiner fast dreistündigen Laufzeit führt Fabian oder Der Gang vor die Hunde durch einen von diesem interessanten Figuren-Trio intensiv verlebten Berliner Sommer, dessen glückliche Momente flüchtig und zunehmend von Vorausdeutungen zu persönlichen und kollektiven Schicksalen durchzogen sind. Mit seiner formalen Betonung des Fragmentarischen, auf tragische Weise Unabgeschlossenen erzeugt Dominik Graf bald eine bittersüße Schwere in dieser Adaption. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden hier ineinander verwirbelt, bis eine Melancholie spürbar wird, die wirklich originell erarbeitet ist und dem Publikum nicht etwa durch Violinenklänge und tränenreiche Darbietungen aufgedrängt wird. Diese experimentelle, äußerst sehenswerte Auseinandersetzung mit Kästners Roman lässt prägnante Sätze wie „Es starben und es lebten die Verkehrten“ umso bedeutungsvoller nachklingen.

Fabian oder der Gang vor die Hunde (2021)

Berlin, 1931. Jakob Fabian (Tom Schilling) arbeitet tagsüber in der Werbeabteilung einer Zigarettenfabrik und driftet nachts mit seinem wohlhabenden Freund Labude (Albrecht Schuch) durch Kneipen, Bordelle und Künstlerateliers. Als Fabian die selbstbewusste Cornelia (Saskia Rosendahl) kennenlernt, gelingt es ihm für einen kurzen Moment, seine pessimistische Grundhaltung abzulegen. Er verliebt sich. Doch dann fällt er einer großen Entlassungswelle zum Opfer, während Cornelia dank ihres Chefs und Verehrers Karriere als Schauspielerin macht. Ein Arrangement, mit dem sich Fabian schwer abfinden kann. Aber nicht nur seine Welt gerät aus den Fugen.
(Quelle: ZDF)

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Meinungen

Hardy de Heimfeld · 09.08.2021

Hammer Film - selten so mitgenommen worden durch Raum und in die Zeit - blöd, wer ihn sich nicht gibt -

Ani Wonrot · 19.08.2021

Absolut meine Meinung. Kino bleibt eben Kino. Gutes Kino ist heutzutage wichtiger, denn je... Wo gibt es sonst noch qualitative Unterhaltung ohne Manipulation,Hetze und Angstverbreitung...