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Cannes 2024

Postkarten aus Cannes #9: Viva Italia?

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Die aktuelle Postkarte kommt immer noch aus Cannes, ist aber ungemein italienisch: Paolo Sorrentino zelebriert den male gaze und Christophe Honoré begeistert mit einer Metakomödie.

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Honoré_Cannes

Man vergisst gelegentlich, dass Italien hier gleich um die Ecke ist: 72 Kilometer trennen Cannes vom italienischen Grenzort Ventimiglia und allein schon deswegen gehört es zu den freilich ungeschriebenen Gesetzen des Filmfestivals in Cannes, dass hier neben der französischen auch die italienische Filmlandschaft gehäuft vertreten ist. Umso lieber geschieht dies natürlich, wenn es sich dabei um italienisch-französische Koproduktionen handelt, von denen in diesem Jahr gleich zwei im Wettbewerb an der Croisette antraten.

Den Auftakt bildete Christophe Honorés hinreißende Metakomödie Marcello Mio, in der Chiara Mastroianni durch die unbedachte Bemerkung einer Regisseurin (Nicole Garcia spielt sich hier ebenso selbst wie alle anderen Auftretenden) an ihre enorme Ähnlichkeit mit ihrem Vater Marcello erinnert wird. Sie solle, so wird ihr beim Dreh einer Szene mit Fabrice Lucchini beschieden, diese mehr wie Marcello spielen und weniger wie Deneuve (ihre leibliche Mutter also). Dies ruft eine regelrechte Trotzreaktion in ihr hervor, fortan verwandelt sie sich förmlich in ihren geliebten und vermissten Vater, kleidet sich wie dieser in Otto e mezzo (Achteinhalb) und sorgt damit für Kopfschütteln und besorgte Nachfragen.

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Mit sehenswertem Cast, der beinahe so eine Art Who is who des französischen Films darstellt, und viel Selbstironie ist Marcello Mio eine heitere Metakomödie über das Filmemachen, große familiäre Vorbilder und die Bürden, die man damit erbt. Das ist wirklich klug gemacht, bietet aber außer für die Mitwirkenden nicht wirklich viel Erkenntnis für das erheiterte Publikum, sondern bleibt im Wesentliche eine amüsante Nabelschau einer berühmten Filmfamilie.

Geneigte Leser*innen wissen darum, dass mir Paolo Sorrentinos Film La Grande Bellezza sehr ans Herz gewachsen ist, auch wenn ich mir wegen dieser Vorliebe schon zahlreiche strenge Blicke und abfälliger Bemerkungen („Altmännerkino“ war da noch eine der netteren) haben gefallen lassen müssen. Ich muss aber auch gestehen, dass mich danach nichts von Sorrentinos weiterem filmischen Schaffen je wieder so überzeugt hat wie die Geschichte im Jeb Gambardella.

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Und so blickte ich der Premiere von Sorrentinos neuestem Werk Parthenope mit einigermaßen gemischten Gefühlen entgegen, die sich dann auch als völlig berechtigt erwiesen. Mit gewohnt ausladender Bildsprache und gutem Blick für die Schönheit von Dingen und Menschen erzählt der Regisseur, der sich gerne in direkter Nachfolge zu Federico Fellini wähnt, von einer schönen jungen Frau namens Parthenope (Celeste della Porta), die in Neapel aufwächst (Parthenope ist übrigens auch sowohl der historische Name der Stadt Neapel wie auch jener einer Sirene aus Homers Dichtung Odyssee) und der die Männer reihenweise zu Füßen liegen.

In schwelgerischen Bildern begleitet der Film den Weg dieser Frau durch Höhen und Tiefen, lässt sie zumindest mitschuldig werden am Freitod eines Verehrers und gönnt ihr zudem großmütig auch noch eine mit Leichtigkeit erreichte akademische Karriere sowie eine ebenso wollüstige wie bizarr-komische Orgie mit einem Kirchenfürsten. Was all das aber mit Neapel zu tun haben soll – sowohl der Name wie auch der Handlungsort implizieren ja eine solche Parallelität, weiß allein Sorrentino, denn außer als gelegentliche Kulisse spielt die Stadt nicht die gleiche Rolle wie Rom in La Grande Bellezza.

La Grande Bellezza: Ein toller Anzug ist es ja schon! © DCM Film Distribution

Überhaupt die Dekors: Unter Sorrentinos Blick gerät in diesem Film alles zur reinen Oberfläche, selbst die Menschen, die hier in (immerhin beneidenswert schönen zerfallenden Villen an Meer) durchs Bild schreiten oder im Wasser planschen, wirken alle so schön, so wohlfrisiert und zu jeder Gelegenheit passend gekleidet, dass man sich in einem gigantischen Werbeclip wähnt, der lediglich vergessen hat, das beworbene Produkt im Bild zu platzieren. Parthenope ist und bleibt ein schönes hohles Nichts, eine Phantasmagorie, die bei aller Schönheit (oder vielleicht genau wegen dieses Übermaßes an Schönheit) ohne Seele bleibt. Gäbe es eine Preiskategorie mit dem Kriterium male gaze, würde Parthenope diesen (und das will in diesem Jahr schon etwas heißen) haushoch gewinnen.

 

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