Jim Jarmusch – The Complete Collection

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Mr. Independent in voller Breite

Seit er mit Permanent Vacation seinen Abschlussfilm an der Tisch School of the Arts der New York University inszeniert hat, der beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg uraufgeführt und dort mit dem Josef von Sternberg Preis ausgezeichnet wurde, ist der US-amerikanische Filmemacher Jim Jarmusch Werk für Werk zum gefeierten Giganten der Independent-Szene aufgestiegen. Nun widmet Arthaus dem mittlerweile 61-jährigen Autorenfilmer mit Jim Jarmusch – The Complete Collection eine aus zwölf DVDs und ebenso vielen Filmen bestehende Edition, die sein bisheriges Gesamtwerk, begleitet von zahlreichen Extras präsentiert: Zwölf Mal konzentrierte, intensive Filmkunst mit den charmanten Underdogs des so genannten Amerikanischen Traums, die es in sorgfältig inszenierten, dichten Geschichten mit meist cross-kulturellem Charakter gegen die Widrigkeiten ihrer Lebenswelten aufnehmen.
Hat er im Debüt Permanent Vacation (1980) zunächst eine eher atmosphärische Rolle als Saxophonspieler inne, agiert John Lurie in dem gemächlichen Drama Stranger Than Paradise (1984) und im urkomischen Gefängnisfilm Down by Law (1986) als einer der Hauptdarsteller im Jarmusch-Universum, während er nicht nur für diese ersten drei Filme des Regisseurs auch die Musik komponierte, sondern erneut für Mystery Train (1989), der nunmehr die zweite Kooperation von Jim Jarmusch und der Kameralegende Robby Müller markiert, die sich später mit dem melancholischen Western Dead Man (1995) mit Johnny Depp und der Musik von Neil Young sowie dem Gangster-Epos Ghost Dog – Der Weg des Samurai / Ghost Dog: The Way of the Samurai (1999) mit einem großartigen Forest Whitaker als charismatischer Anti-Held fortsetzen wird. Die episodisch angelegte Komödie Night on Earth (1991) wartet in fünf Metropolen der Welt mit einem illustren Starensemble und der stimmungsvollen Filmmusik von Tom Waits auf, chronologisch gefolgt von der herrlich schrägen Konzert-Dokumentation Year of the Horse (1997) um die Welttournee des kanadischen Musikers Neil Young und seiner Band Crazy Horse.

Nachdem er diesen Stoff bereits drei Mal zuvor als Kurzfilm inszeniert hat, wird 2003 die ausführliche Version von Coffee and Cigarettes beim Filmfestival von Venedig uraufgeführt, bei deren Segment „Twins“ wiederum Robby Müller die Kamera führt, während in den lose verbundenen Geschichten prominente Protagonisten wie Tom Waits, Iggy Pop, Roberto Benigni, Steve Buscemi, Jack White, Cate Blanchett, RZA und Bill Murray auftreten, der anschließend in Broken Flowers (2005) als alternder Casanova-Verschnitt brilliert. Auch in dem kryptischen Thriller The Limits of Control – Der geheimnisvolle Killer / The Limits of Control (2009) ist Bill Murray wieder mit von der Partie, dieses Mal unter anderen an der Seite von Isaach De Bankolé, John Hurt und Tilda Swinton, die im augenblicklich letzten Film von Jim Jarmusch – Only Lovers Left Alive (2013) – eine Hauptrolle als mondäne Vampirin spielt.

Betrachtet man das aktuelle Gesamtwerk des ungezähmten und unabhängigen Filmschaffenden Jim Jarmusch, dessen neustes Projekt Untitled Stooges Documentary über den Godfather of Punk Iggy Pop sich gerade in der Post-Produktion befindet, so beeindruckt zuvorderst seine variantenreiche, humoristisch-schwermütige und visuell wie musikalisch äußerst ansprechend gestaltete, fortlaufende Auseinandersetzung mit dem existenziellen Motiv persönlicher und kultureller Identität angesichts mitunter geradezu absurd erscheinender gesellschaftlicher Zustände und Entwicklungen. Nicht selten schräg und nichtsdestotrotz in ihrer defizitären Humanität unmittelbar berührend intensiv charakterisiert vagabundieren seine markanten Figuren durch das unwegsame Gelände ihrer Daseinsfigurationen zwischen Entfremdung und der Sehnsucht nach verlässlichen Verbindungen, die nur allzu häufig als ungerufene Wendungen des Zufalls oder Schicksals daherkommen und die düsteren Ausläufer einer unauslotbaren Einsamkeit beizeiten temporär zu lindern vermögen.

Der hintergründige Witz seines Werkes, der sich auch und gerade in tragischen Zusammenhängen aus der sorgfältig betrachteten Situation gebärt, lässt Jim Jarmusch zu einem Meister der sanft-satirischen Darstellung menschlicher Unzulänglichkeiten und Momenten ambivalent ausströmender Emotionen werden, die in seinen Filmen über die Haftung an den Helden hinaus ihren fulminanten Ausdruck in künstlerisch arrangierten Bildkompositionen finden. Es stellt eine ungeheuer unterhaltsame und kostbare cineastische Erfahrung dar, die Resultate des ganz speziellen, durch reichlich Freiheit geprägten Umgangs dieses Regisseurs mit seinen Schauspielern zu sehen, die bei diesen Einsätzen nicht selten zuvor unberücksichtigte Aspekte ihrer Persönlichkeit und Arbeit entfalten.

Wider den gängigen, gefälligen Mainstream gelingt es Jim Jarmusch stets aufs Neue, seinen Figuren ein derart glaubwürdiges, individualistisches Eigenleben einzuhauchen, dass sich am Ende seiner Geschichten mit dem Bedauern, diese nun verlassen zu müssen, auch beizeiten die skurrile Imagination einstellt, diese könnten in ihrer unverwüstlichen Einzigartigkeit irgendwo jenseits des fiktiven Universum schlichtweg weiterhin existieren. Allein dieser Effekt in Kombination mit der Kunstfertigkeit, abseits von oberflächlichen Erklärungen und durch stark bewegende Stimmungen eine gewisse Komplizenschaft zwischen den exzentrischen Protagonisten und dem Publikum herzustellen, zeichnet das Werk von Jim Jarmusch aus, der Interviews zufolge seine eigenen Filme nach ihrem Erscheinen selbst nur ein einziges Mal inkognito im Zuschauerraum eines Kinos anschaut, um die Reaktionen darauf auszuloten – die gleichermaßen rigorose wie sympathische Haltung eines nach vorn orientierten Regisseurs, der weit entfernt davon ist, sich mit eitlen Selbstbetrachtungen aufzuhalten.

Jim Jarmusch – The Complete Collection

Seit er mit „Permanent Vacation“ seinen Abschlussfilm an der Tisch School of the Arts der New York University inszeniert hat, der beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg uraufgeführt und dort mit dem Josef von Sternberg Preis ausgezeichnet wurde, ist der US-amerikanische Filmemacher Jim Jarmusch Werk für Werk zum gefeierten Giganten der Independent-Szene aufgestiegen.
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