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Couchperle: Space is the Place

Ein Beitrag von Mathis Raabe

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Space is the Place, Sun Ra

Als 2018 Black Panther erschien, war Afrofuturismus plötzlich wieder in aller Munde. Der Begriff wurde zwar erst in den Neunzigerjahren von Kulturwissenschaftlern geprägt. Das damit gemeinte Phänomen gibt es aber schon deutlich länger: Erzählungen, die durch fantastische oder kosmische Motive Schwarze Menschen zentrieren oder befreien, die Implikation wahlweise, dass man sich in der Mehrheitsgesellschaft wie ein Alien fühlt, dass man nur abseits der Erde der Gewalt der Mehrheitsgesellschaft entkommen kann oder, positiver formuliert, dass man durch Weltflucht und alternative Geschichtsschreibung zeigen kann, zu welch erfülltem und hochentwickeltem Leben eine befreite Schwarze Community im Stande wäre.

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Einer der prägendsten Vertreter ist der Jazz-Musiker Sun Ra. Er gab sich den Namen des ägyptischen Sonnengottes und behauptete, vom Planeten Saturn zu kommen. Auf der Erde war das Alien Sun Ra zwar als Friedensbotschafter. Allerdings wollte er sich mit dem Unfrieden der Menschen wohl nicht selbst gemein machen. Ein Schlüsselwerk von Sun Ras Arbeit und vom Afrofuturismus im Allgemeinen – den man damals noch nicht so nannte – ist sein Film Space is the Place von 1972. Darin plant Sun Ra, Afroamerikaner aus Kalifornien in eine utopistische Weltraumkolonie auf einem anderen Planeten umzusiedeln. „The music is different here, the vibrations are different“, sagt er zu Beginn des Films bei der Begehung dieses Planeten. Auf der Erde dagegen seien nur Pistolenschüsse zu hören. Die Methode für die geplante Umsiedlung: „Teleportation durch Musik“.

Der Beweis, dass es auf der Erde ungemütlich ist folgt auf dem Fuß: In einem Stripclub kommt es zu Schüssen und Explosionen. Mit dem Inhaber des Clubs, genannt „der Aufseher“, findet sich Sun Ra dann in einer Zwischenwelt bei einem Kartenspiel wieder, das die Filmhandlung rahmt und über seine Ideen für die Zukunft der Schwarzen Bevölkerung entscheiden soll. Das Duell dieser beiden Figuren verhandelt, wie später auch viele Filme des New Black Cinema, einen ideologischen Konflikt zwischen denen, die ihre Community befreien wollen, und denen, die nach individualistischer Logik Profit aus deren Leid schlagen, um wenigstens selbst zu überleben – Drogendealer, Zuhälter. Er ist nicht die einzige Figur, über die Sun Ra Kritik übt an denen, die ihm zu angepasst sind: Ein Schwarzer Musikpromoter tritt auf, der Sun Ra helfen soll, seine Botschaft zu verbreiten. Beide Figuren sehen jedoch bei rassistischer Gewalt tatenlos zu, wenn es der Dollar diktiert und werden so zu Handlangern der Unterdrückung durch einen weiß geprägten Kapitalismus.

Sun Ras Performance hat nicht unbedingt die Form von Schauspiel, eher von Vorträgen, wie er sie trotz seines eigenwilligen Wissenschaftsverständnisses auch regelmäßig an Universitäten hielt. In diesem Kontext, bei einem Seminar mit dem Titel „The Black Man in the Cosmos“ an der Universität von Berkeley lernte er auch den Produzenten des Films Jim Newman kennen. Gen Ende des Films wird Sun Ra von der NASA entführt – scheinbar können seine von Astrologie und altägyptischer Religion beeinflussten Thesen dem Stand der Wissenschaft eben doch gefährlich werden, und vor allem: auch die weißen Wissenschaftler sind im Film eben Handlanger einer Naturalisierung des Status Quo. Man muss Sun Ras Selbstüberhöhung zum Messias nicht sympathisch finden, muss seine Faszination für „alternative Wissenschaft“ nicht teilen, um nachzuvollziehen, dass sie eine gegenkulturelle Störkraft hat, die für seine Arbeit wichtig war. So ist es im Übrigen auch heute: Feministische Interpretationen von Astrologie beispielsweise sind vom gefährlichen Einsatz von Pseudowissenschaft durch Rechte und Verschwörungserzähler klar zu trennen und anders zu bewerten.

Schwarze Kulturkritiker*innen wie Kodwo Eshun, Tricia Rose und Greg Tate haben die besten Texte über Space is the Place, Sun Ra und den Afrofuturismus längst geschrieben, dies ist nichts als eine Zusammenfassung, ein persönlicher Sichtungseindruck und eine Empfehlung. Auch Expert*innen für queeres Kino haben sich mit dem Film beschäftigt und Verweise auf die zeitgenössische DIY-Filmszene von San Francisco erkannt, auf Filme wie Thundercrack! und Elevator Girls in Bondage. Mehrfach schwankt der Film scheinbar aus dem Nichts aus magisch-surrealistischen Welten zu Softcore-Erotikszenen und wieder zurück. Space is the Place ist also vielfältig lesbar, aus jeder Warte aber ist er ein singulärer Film, kaum zu vergleichen, und ein Film, der eher passiert und inspiriert als dass man ihn ganz verstehen muss. Und die Musik ist selbstverständlich großartig. Das Finale ist eine Sun-Ra-typische Mischung aus Free-Jazz-Konzert und kosmischem Poesie-Vortrag. Ob die „Teleportation durch Musik“ dabei glückt, sollte man sich selbst ansehen.

Rapid Eye Movies konnte vor einigen Jahren die originale und wohl einzige Analogkopie des Films digitalisieren und so dafür sorgen, dass er der Welt in guter Qualität erhalten bleiben wird. Nun ist er bei MUBI zu sehen.

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