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Es geht, wie eigentlich immer in Philip Grönings Werken, um Zeit. Und um mit Heidegger über Zeit zu philosophieren, noch dazu an einem heißen Sommertag, braucht man einen langen, langen, endlos langen Film. So lang, dass Zeit Stillstand wird. Und dann explodiert.

Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot (2018)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Der Heidegger sagt …

Hochsommer. Hitze, flirrende Insekten und eine kleine Ansammlung Ameisen, die über Elena (Julia Zange) und ihren Zwillingsbruder Robert (Josef Mattes) laufen. Die beiden sitzen mal im Gras, mal im Weizenfeld in der Nähe einer Tankstelle irgendwo in den Voralpen. Elena ist blond, zierlich und hat wenig Nerv für irgendetwas. Am wenigsten für ihren Bruder Robert, der ja, wie der Name des Films Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot schon sagt, in ihren Augen ein Idiot ist.

Doch dieser hat anscheinend eine Inselbegabung in Sachen Philosophie und soll ihr helfen, denn am Montag macht sie Abitur in diesem Fach. Und so palavert und doziert Robert immer wieder in langen Monologen über die Zeit. 

Robert:

2 Uhr 14.

Was soll denn das überhaupt heißen, 2 Uhr 14?

Was haben denn überhaupt Zahlen mit der Zeit zu tun?

Also: Was ist Zeit?

Elena

Der Grund der Zeit ist die Hoffnung.

 

Die Zeit, im philosophischen Sinne Heideggers mit Unterstützung des Aurelius Augustinus ist es, die hier die Grundlage für die langen Gespräche ist, die sich um das Sein und Werden, um die Vergangenheit, Jetzt-Zeit und Zukunft drehen. Und währenddessen passiert in der Umgebung der Zwillinge eher nichts. Stillzustehen scheint sie, die Zeit in Philip Grönings Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot an diesen zwei flirrenden Sommertagen dort an der Tanke. Die Zeit, sie wird besprochen und gleichsam dehnt sie sich unendlich aus, in diesem Film, der mit 173 Minuten viel Raum/Zeit bietet für diese Expansion. 

Deshalb gibt es auch viel Platz, sich die beiden ProtagonistInnen genauer anzusehen. Elena und Robert sind enge Vertraute. Sie haben Rituale, unausgesprochene Verbindungen, ein geteiltes Wissen und Fühlen, das so nah ist, dass es oftmals zu nah scheint. Erotik liegt in der Luft. Aber auch massive Aggression. Und die Art von Langeweile und Offenheit, die geradezu dazu einlädt zu explodieren und verrückten Scheiß zu machen. Und so mischt sich unter Heidegger und die Sommersonne noch etwas weiteres: das stetig wachsende Gefühl, hier einem Drama der ganz klassisch griechischen Art zuzusehen, bei dem die Figuren eigentlich schon um ihr Schicksal wissen – und je mehr sie sich vor ihm scheuen, desto näher kommen sie der Erfüllung desselben.

Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot ist nicht das erste Werk von Gröning, das sich mit Zeit als Existenzfrage auseinandersetzt. Schon Die große Stille und auch sein Film Die Frau des Polizisten lassen den Film als Medium seine philosophischen Fragen ausloten. Hier wird es nun noch expliziter und das ist durchaus problematisch. Denn je stärker er nicht den Film oder das Kino als Zeiterfahrungsmaschine arbeiten lässt, sondern Worten den größeren Raum einräumt, desto mehr entgleitet der Versuch in eine Art Vortrag über die Idee. Und es verschwindet das Erfahren derselbigen, das ein Annähern auf einer tieferen Ebene erlauben würde.

Doch Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot ist auch noch ein Geschwisterpsychogramm, ein Versuch der Erfahrbarmachung dieser engen Beziehung, die eigentlich mehr Zweisein als Individualität andeutet. Diese Beziehung beginnt vielversprechend, besonders mit dem Tabu der geschwisterlichen Erotik, das in der Luft liegt. Doch letztendlich fällt es im Zuge des Filmes recht flach aus, zumal sowohl die buchstäbliche als auch die metaphorische Hitze den Film im letzten Drittel in eine ganz andere Richtung katapultieren. Wie sollte es auch anders kommen: Die Explosion der Emotionen und existenziellen Fragen findet hier tatsächlich statt und verbindet die Geschwister schließlich ganz und gar, indem sie die Lücken füllen und Akte begehen, die zur ganzheitlichen Symbiose noch fehlten.

Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot wiederum füllt seine Momente mit wundervoller Kameraarbeit, die die Umgebung, die Hitze, den scheinbaren Stillstand von Zeit, der erst gedehnt und dann stark gerafft wird, in anmutige Bilder kleidet, die Sehnsucht erwecken nach so viel Sommerzeit. Doch es verliert sich der emotionale Anschluss an seine Figuren, der Gröning in seinen vorherigen Werken noch gelang, und der Film kippt zusehends ins Dozieren, statt ins gemeinsame Philosophieren und Erfahren, was einem das Erlebnis vor allem aufgrund der stark gedehnten Zeit oftmals belehrend erscheinen lässt. 

Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot (2018)

Der neue Film von Philip Gröning handelt von dem Zwillingspärchen Elena und Robert und wird seine Weltpremiere im Wettbewerb der Berlinale 2018 feiern.

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Meinungen

Karl · 25.02.2018

FEHLER:

"Schon Zeit der Stille und auch sein Film Die Frau des Polizisten lassen den Film als Medium seine philosophischen Fragen ausloten."

Grönings Film heißt "Die große Stille"...

In reply to by Gast (nicht überprüft)

Kino-Zeit-Redaktion · 26.02.2018

Vielen Dank — wir haben den Fehler korrigiert.