Das Wunder von Mâcon

Eine Filmkritik von Falk Straub

Den Vorhang zu und alle Fragen offen

Wie vielleicht kein zweiter Regisseur will Peter Greenaway das Kino neu erfinden. „Mich interessiert, woraus das Vokabular des Kinos besteht“, hat der gebürtige Waliser einmal geäußert. In seinem 1993 entstandenen Drama Das Wunder von Mâcon verwendet Greenaway dafür eine Sprache, die die Grenzen zwischen Film und Theater, Realität und Fiktion, Darsteller und Betrachter auslotet.
Mâcon, 1659: Die Region wird seit Jahren von Missernten und Unfruchtbarkeit geplagt. Als eine hässliche alte Frau (Diana Van Kolck) einen wunderschönen Knaben (Nils Dorando) gebiert, glaubt das Volk an ein Wunder. Die 18-jährige Schwester des Jungen (Julia Ormond) gibt ihn als Frucht ihres jungfräulichen Leibes aus, um mit ihrem Bruder ein Geschäft zu machen. Doch weder der Bischof (Philip Stone) noch dessen wissenschaftshöriger Sohn (Ralph Fiennes) glauben daran. Als die junge Frau dem Sohn des Bischofs ihre Unschuld anbietet, tritt sie eine Spirale der Gewalt los, die in die Ermordung des Jungen, in eine Massenvergewaltigung und schließlich in ihren eigenen Tod mündet.

Greenaway wäre nicht Greenaway, würde er die Handlung unmittelbar präsentieren. In Das Wunder von Mâcon wohnt das Kinopublikum einem Theaterstück bei. Der gesamte Film ist eine Inszenierung in der Inszenierung in Form einer mittelalterlichen Moralität über die Gier des Einzelnen, die Verlogenheit der Kirche und das bigotte Frauenbild der Gesellschaft zwischen Jungfrauenverehrung und Verdammnis durch den Sündenfall. Die Kinozuschauer blicken dabei nicht nur auf die Bühne, sondern auch hinter die Kulissen und ins Theaterpublikum.

Im zweitsündigen Stück, dessen farbenprächtige Einstellungen vor Statisten, Requisiten, Zeichen, Zitaten, Anspielungen und Verweisen überborden, verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Als einzig historisch verbürgte Person bewegt sich Cosimo III. de‘ Medici (Jonathan Lacey) samt seinem Gefolge auf und hinter der Bühne, abseits und im Stück, ist Zuschauer und beeinflusst den Fortgang der Handlung zugleich. Hinter den Kulissen kommt es zu einer weiteren Entgrenzung. Die Darstellerin der 18-jährigen Jungfrau (Julia Ormond) wird von Kollegen auf der Theaterbühne – lediglich für das Kinopublikum sichtbar – tatsächlich vergewaltigt.

Am Ende des Stücks lösen sich die Ebenen dann scheinbar vollständig auf, als sich die Adligen um Cosimo ebenfalls als Schauspieler zu erkennen geben. Ob sie sich dabei jedoch – genau wie das Theaterpublikum – als Darsteller des Films lediglich vor den Kinozuschauern verbeugen oder tatsächlich zur Theatertruppe gehörten, bleibt wie so häufig bei Greenaway völlig offen.

Das Wunder von Mâcon

Wie vielleicht kein zweiter Regisseur will Peter Greenaway das Kino neu erfinden. „Mich interessiert, woraus das Vokabular des Kinos besteht“, hat der gebürtige Waliser einmal geäußert. In seinem 1993 entstandenen Drama „Das Wunder von Mâcon“ verwendet Greenaway dafür eine Sprache, die die Grenzen zwischen Film und Theater, Realität und Fiktion, Darsteller und Betrachter auslotet.
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Meinungen

Heavymetalconsi · 20.08.2017

... Schreckliche innere Seite von Katholizismus. Perversion pur.