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Mit präzisem Blick und einem klugen Drehbuch seziert Johanna Moder in ihrem Film „Waren einmal Revoluzzer“ die Lebensentwürfe und -lügen ihrer Generation und zeichnet so das Bild eines Milieus, das stets das Beste will und daran — natürlich —  fast zwangsläufig scheitern muss. 

Waren einmal Revoluzzer (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Lebenslügen und andere Unwahrheiten

Helene (Julia Jentsch) hat es geschafft: Einen sicheren Job als Richterin in Wien, eine schicke Altbauwohnung, einen liebevollen Lebensgefährten, den einstmals erfolgreichen Musiker Jakob (Manuel Rubey), dazu zwei entzückende Kinder, einen tollen Freundeskreis — kurzum: das scheinbar perfekte Leben. Da kommt so ein kleiner Nervenkitzel gerade recht, als sie von ihrem Ex hört, dem Russen Pavel (Tambet Tuisk), der in Moskau lebt und als Dissident den Nachstellungen des autoritären Staates ausgesetzt ist. Ihr alter Freund Volker, der beruflich nach Moskau muss, soll Pavel ein Paket übergeben, ohne zu wissen, was sich darin befindet. Die Übergabe gerät zu einem heftigen Besäufnis, nach dem Volker mit brummendem Schädel den Plan gefasst hat, Pavel nach Österreich und damit in Sicherheit vor dem Zugriff der Behörden zu bringen. Klar, dass Helene ihn dabei unterstützt. 

Doch als es endlich so weit ist, ist die Ernüchterung zumindest bei Helene erstmal groß. Denn Pavel kommt nicht allein, sondern mit seiner Frau Eugenina (Lea Tronina) und dem gemeinsamen Baby, von denen sie bislang nichts wusste. Und dass nun gleich eine ganze Familie untergebracht und versorgt werden muss, lässt die nicht ganz uneigennützige Hilfsbereitschaft schnell an ihre Grenzen stoßen. Zumal die aufgenommene Familie nicht zu allem Ja und Amen sagt, sondern durchaus eigene Vorstellungen entwickelt, wie sie ihr neues Leben gestalten will. 

So sympathisch und witzig dieses Ensemble auch eingeführt wird (sehr lustig beispielsweise Volkers völlig verkaterter Anruf aus Russland — ein Anblick, bei dem man allein schon Schädelweh bekommt), schleichen sich doch immer wieder fein eingestreut und mit leichter Hand inszeniert Misstöne in die Komödie. Ist Helenes Interesse an ihrem Ex-Lover wirklich ganz frei von den einstigen Gefühlen? Sind sie und ihre Freunde nicht vielleicht ein wenig zu besoffen von der eigenen vor sich hergetragene Gutherzigkeit und haben in Wirklichkeit keinerlei Ahnung, auf was sie sich das einlassen? Ist ihre Hilfsbereitschaft wirklich so selbstlos oder geht das nur, solange es nicht die eigene bürgerliche Komfortzone stört?

Bei aller Kritik an seinem gutbürgerlich saturierten Bobo-Milieu geht Johanna Moder, die das Drehbuch gemeinsam mit Marcel Mohab und Manuel Rubey entwickelte, nicht allzu gnadenlos mit ihren Figurenensemble um. Trotz analytischer Schärfe ist ihr Blick auf die Fehler und Schwächen ihrer Figuren kein zynischer, sondern allenfalls ein ernüchterter, manchmal fast melancholisch anmutender, der mit leisen Zwischentönen und feinem Humor fragt, was unterm Strich und mit einigen Jahren Abstand eigentlich übrig bleibt von den Idealen junger Jahre. Und das Lied, das im Abspann läuft, eine Vertonung von Erich Mühsams der deutschen Sozialdemokratie gewidmetes Gedicht Der Revoluzzer aus dem Jahr 1907, dessen erste Zeile der Titel des Films paraphrasiert, bringt diesen Zwiespalt zwischen Schein und sein vortrefflich auf den Punkt: „War einmal ein Revoluzzer / Im Zivilstand Lampenputzer / Ging im Revoluzzerschritt / Mit den Revoluzzern mit.“ Am Ende des Gedichts steht dem selbsternannten Revoluzzer aber die eigene (Spieß-)Bürgerlichkeit im Wege. Und mit Helene, Jakob und ihren Freunde ist es nicht viel anders. Insofern sind uns diese Figuren vermutlich näher, als es uns lieb sein kann.

Waren einmal Revoluzzer (2019)

Nach dem Hilferuf eines russischen Freundes aus Studentenzeiten ergreifen zwei befreundete Wiener Paare, moderne urbane Enddreißiger, kurzentschlossen die verlockende Chance zu helfen: Endlich einmal nicht nur reden, sondern wirklich was tun. Doch was die Wiener als Abenteuer begreifen, bedroht rasch das Gefüge der alten Freundschaft und der Beziehungen zueinander. Vor allem weil Hilfe sehr unterschiedlich definiert werden kann, und auch, weil sich die Hilfsbedürftigen anders verhalten als die Helfenden das gerne hätten. (Quelle: Freibeuter Film)

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Meinungen

Bine · 27.08.2020

Echt guter Film. Kein Schenkelklopfhumor, aber echt humorvoll, kein erhobener Zeigefinger oder lehrmeisterisch. Aber doch sehr kritisch und gut beobachtet. Ein Film, den man auch später mal gern sieht und neues such entdecken lässt. Für ganz Junge , vielleicht nicht in allem verständlich.