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Weina Zhao ist in Beijing geboren und kam im Altern von vier Jahren nach Wien, wo sie seitdem lebt. Gemeinsam mit ihren Eltern und Großeltern erkundet sie die Geschichte ihrer Familie und stößt dabei auf ebenso Unbekanntes wie Verschwiegenes und Tragisches.

Weiyena - Ein Heimatfilm (2020)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zuhause in der Zwischenwelt

Ursprünglich hatte Weina Zhaos Familienerkundung einen ganz anderen Titel: „Ich heiße Wien und bin aus Peking“ sollte der Dokumentarfilm heißen. Auch wenn ihr Film schlußendlich einen anderen Titel bekam, findet sich dennoch etwas davon gleich zu Beginn des Filmes wieder, wenn die Regisseurin aus dem Off erklärt, dass ihre Eltern sie nach der Stadt Wien benannt hätten, denn Weina leitet sich von dem chinesischen Wort Weiyena für Wien ab.

„Ich bin zwischen zwei Welt aufgewachsen und fühle mich zuhause in meiner Zwischenwelt“, heißt es gleich zu Beginn des Films und was in den folgendes 95 Minuten folgt, ist eine Erkundung dieser Zwischenwelt, die eng an Weinas Familie gebunden ist.

Im Chinesischen kann man, wie Weina Zhao erklärt, das Wort Zuhause gar nicht von der Familie trennen, beides ist fest miteinander verbunden, konkret und doch kaum greifbar. Und genau dies ist womöglich, so deutet es der Film an, genau der Grund dafür, dass Weina Zhao ihr Zuhause erst suchen müsse. Das hat unter anderem auch mit der Geschichte ihrer Eltern zu tun: Den Vater zog es noch vor der Geburt seiner Tochter nach Österreich, wohin Mutter und Tochter folgten, als die Kleine vier Jahre alt war. Dann allerdings hielt es Weinas Vater Vater wieder nicht lang an einer Stelle, das Wirtschaftswachstum in der Heimat veranlasste ihn, wieder nach China zurückzukehren. Lediglich in der Sommerferien, die die Familie gemeinsam in Beijing verbrachte, war das Gefühl, eine Familie zu sein, für das Kind spürbar.

Wie die Regisseurin sich in ihrem privaten Empfinden in einer Zwischenwelt bewegt, so tut sie das auch in ihrem Film selbst, wie sie an einer Stelle thematisiert:  „Durch meine Rolle als Regisseurin verändere ich mich als Tochter und als Enkeltochter. Intime Fragen werden als Spiel getarnt. Als Familienmitglied darf ich keine Gefühle zeigen. Als Fremde in einer professionellen Funktion ist meine Annäherung auf einmal nicht mehr unangenehm.“ Es ist ein beständiger Balanceakt, aber gerade im Falle von Weiyena — Ein Heimatfilm lohnt dieses Wandeln auf einem schmalen Grat für Weina Zhao ebenso wie für das Publikum, das auf sehr zurückhaltende und ruhige Weise Einblicke in Schicksale und typische Lebensläufe von Chines*innen in den vergangenen Jahrzehnten erhält. 

Durch die beiläufigen Gespräche im Familienkreis, vor allem mit den drei noch lebenden Großeltern, die ganz unterschiedlichen Schichten und Milieus entstammen, entsteht ein Teppich an Geschichten und Erlebnissen, Eindrücken und Schicksalen, die Geschichte auf sehr persönliche und bewegende Weise sichtbar machen, Brüche und Spaltungen herausarbeiten und die dennoch stets ganz persönlich und gerade deswegen sehr berührend sind: Da ist etwa Weina Zhaos Urgroßvater, der als Theater- und Filmemacher die Revolution begrüßte und mit dem großen Vorsitzenden Mao Tse-tung bekannt war. Ihm ist es vermutlich auch zu verdanken, dass die Familie ihr Leben über Generationen hinweg immer schon mit der Kamera festhielt, was sich nun bei dieser familiären Recherche natürlich als echter Glücksfall erweist. 

Weil Weina Zhao häufig vor der Kamera steht und damit auch als Stellvertreterin des Publikums Fragen stellt, die die Erzählung vorantreiben, hat sie sich die Regie mit der Kamerafrau Judith Benedikt geteilt, was sich im Nachhinein als gute Entscheidung und Glücksgriff erweist. Den beiden Regisseurinnen gelingt ein beispielhafter Film über Heimat(gefühle), Identitäten und Migration, der durch seine Nähe zu den Protagonist*innen seltene Einblicke in Familien und Schicksale einer uns überwiegend fremden Kultur zulässt und der nebenbei noch enorm spannend und in einigen Momenten auch von absurder Komik ist.

Weiyena - Ein Heimatfilm (2020)

Ihre Eltern benannten sie nach der Stadt, in der sie groß werden sollte: Weina heißt Wien. Der Vater kehrte in die alte Heimat Peking zurück, sie selbst wuchs auf im Transit zwischen Ost und West. Weina geht auf Spurensuche in der Vergangenheit ihrer Eltern und Großeltern. Anhand ihrer Biografien wird ein Stück chinesischer Geschichte greifbar: Maos Kommunismus, die Schrecken der Kulturrevolution, das Leben heute. Familie und Heimat sind im Chinesischen ein Wort – eine intime Reflexion über seine Bedeutung.

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