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Bürgerinnen und Bürgern, die aus der Reihe tanzen, entzieht der chinesische Staat das Vertrauen. Dann lässt er Videokameras vor ihrer Wohnung installieren und schickt ihnen die Quartierswache auf den Hals. Die Datenerfassung wird als Instrument totaler Kontrolle perfektioniert.

Total Trust (2023)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Chinas System sozialer Kontrolle

In China ist das System der sozialen Kontrolle und Überwachung, das auf der Erfassung und Analyse persönlicher Daten basiert, weit fortgeschritten. Wer schriftliche Beschwerden und Eingaben bei staatlichen Organen einreicht, sammelt Minuspunkte – im wörtlichen oder auch im übertragenen Sinn. Vor der Wohnungstür eines kritischen Geistes können beispielsweise Wachleute Stellung beziehen, oder der Gesundheitsstatus auf seinem Handy schaltet auf Gelb, sodass ihm eine Ladentür verschlossen bleibt. Der Dokumentarfilm „Total Trust“ porträtiert Menschenrechtsaktivist*innen in China, die sich mit den neuen Methoden staatlicher Repression herumschlagen müssen.

Die Dokumentarfilmerin Jialing Zhang, die in New York studierte, muss in China seit Land der Einzelkinder, bei dem sie mit Nanfu Wang Regie führte, selbst mit polizeilicher Verfolgung rechnen. Sie unterhielt aus dem Ausland heimlich Kontakt mit Aktivist*innen, die in China das Material für ihren Film drehten. Die Porträtierten Zijuan Chen, Quanzhang Wang, Wenzu Li und Sophia Xueqin Huang kämpfen exponiert und unter großer Gefahr für ihre eigenen Rechte oder für die Freilassung inhaftierter Angehöriger und Klienten. In Shenzhen steht Zijuan Chen, die mit ihrem Sohn Tutu auf die Freilassung ihres inhaftierten Mannes Weiping Chang wartet, schon lange im Visier des Staates. Chang hatte sich als Menschenrechtsanwalt unbeliebt gemacht und darf seine Familie nicht mehr sehen. Seine Frau schreibt stapelweise Petitionen an die Behörden, sie veröffentlicht Protestvideos, doch die Schikanen treiben sie immer wieder an ihre Grenzen.

Nicht einmal zur Gerichtsverhandlung werden Zijuan Chen und der Sohn vorgelassen – unter dem Vorwand, sie kämen aus einer Region mit hoher Covid-Infektionsrate. Im Verlauf des Films scheint Chens Mut zu wachsen, ebenso aber die Traumatisierung ihres Jungen, der die Repressionen des Staates hautnah mitkriegt. Der Anwalt Quanzhang Wang setzt sich in Peking nach seiner Freilassung aus fünfjähriger Haft weiter mit seiner Frau Wenzu Li für Menschenrechte ein. Polizisten installieren im Treppenhaus Kameras, die ihre Wohnungstür ins Visier nehmen. Eines Tages hindern Fremde sie am Verlassen der Wohnung. Wang soll einer Einladung westlicher Diplomaten nicht nachkommen können.

Auch eine Bedienstete aus dem Heer von viereinhalb Millionen chinesischen Quartierswachleuten kommt zu Wort. Sie erzählt, dass die Wachleute eine Liste von Anwohner*innen bekämen, die Probleme hätten oder die im Verdacht stünden, bald eine Petition an die Behörden zu schicken. Aus deren Alltag werde dann berichtet: wann sie das Haus verlassen, wohin sie gehen. In Gebieten, in denen das sogenannte Sozialkreditsystem eingeführt ist, gibt es für das Überqueren einer Straße bei roter Ampel fünf Minuspunkte, für eine Beschwerde an die Regierung gar 50 Minuspunkte. Pluspunkte kann man sich verdienen mit ehrenamtlicher Arbeit, beispielsweise indem man für alte Leute kocht. Der sozialen Kontrolle mit Achselzucken zu begegnen, verkennt ihre Auswirkungen: Minuspunkte können dazu führen, dass man keine Flüge mehr buchen darf oder dass die eigenen Kinder vom Besuch bestimmter Schulen ausgeschlossen werden. Der Mensch soll nach dem Willen der Regierung offenbar gläsern werden, damit soziale Proteste schon im Keim erstickt werden können. 

Die junge Journalistin Sophia Xueqin Huang hatte Artikel über sexuelle Belästigung geschrieben und auch über die Proteste in Hongkong. Die Polizei verhörte sie, montierte eine Videokamera vor ihrer Wohnung. Doch die Journalistin konterte, indem sie der Kamera auf der Straße tagelang Passagen aus George Orwells 1984 vortrug. Sie erfuhr bei einer Festnahme, dass die Behörden selbst ihren Menstruationszyklus kannten. Schlimm findet die Journalistin die gesellschaftliche Entwicklung zur Selbstzensur: Die Menschen würden sich unter dem öffentlichen Druck immer mehr anpassen. Der Staat delegiert die Kontrolle an die Mitbürger*innen oder eben an das Handy, das oft auch dazu dient, sich auszuweisen, Tests und Tickets vorzuzeigen.

Jialing Zhangs Film wühlt auf und schärft das Bewusstsein für die Gefahren der Big-Data-Sammelwut. Persönlichkeitsprofile, Kontakte und Konsumverhalten können nicht nur private Unternehmen, sondern auch Behörden interessieren. Handy-Apps können in einem repressiven System manipuliert werden, um die Freizügigkeit einzuschränken. China nutzt die Möglichkeiten digitaler Technologien zur Überwachung und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung bereits intensiv. Und ist die Unfreiheit erst einmal etabliert, entkommt ihr so schnell niemand mehr. Die mutigen Aktivist*innen, die dieser Film porträtiert, nötigen einem Respekt ab, weil sie sich dennoch persönlich in den Ring werfen für elementare Rechte wie die freie Meinungsäußerung oder die Kritik an Missständen.

Total Trust (2023)

Die digitalen Möglichkeiten sozialer Kontrolle in China haben zu einem noch nie da gewesenen Maß staatlicher Überwachung geführt. Durch Selbstzensur oder durch das Ausspionieren der Nachbarn — die Überwachung erfasst nicht nur die von der Regierung als Bedrohung empfundenen Personen, sondern immer mehr und immer totaler auch den Normalbürger: Ob man Blumen kauft, sein Kind zur Schule bringt oder nachts den Müll rausbringt. Big Data und digitale Technologien werden bereits als Waffen eingesetzt, um Freiheiten zu beschneiden. Schritt für Schritt verändert sich so das soziale und politische Verhalten der Chinesen. Mit dem Dokumentarfilm „Total Trust“ gelingt der in den USA lebenden chinesischen Filmemacherin Jialing Zhang ein exklusiver und bislang noch nie möglich gewesener intimer Einblick in das Innere Chinas. Sie erzählt eine zutiefst beunruhigende Geschichte über Technologie, (Selbst-)Zensur und Machtmissbrauch.

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