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Auch nachdem sein Amazon-Deal aufgelöst wurde, arbeitet Woody Allen weiter daran, sein durch Kontroversen brüchig gewordenes Vermächtnis in Schutt und Asche zu legen. Mit der komatösen Showgeschäftskomödie „Rifkin’s Festival“ findet sein Schaffen wieder einmal einen Tiefpunkt.

Rifkin's Festival (2020)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Die traurige Leere nach der Selbstparodie

Eine etwas krude Taxonomie von Woody Allens Kino könnte sein Schaffen in drei Phasen unterteilen. Erste Phase: Die Filme spielen in New York. Zweite Phase: Die Filme spielen in diversen europäischen Großstädten. Dritte Phase: Die Filme spielen in Woody Allens Kopf. Sein solipsistisches Spätwerk wirkt stets wie eine Sammlung von Gesprächen, die ein älterer Herr mit sich selbst führt. Die müdesten Treppenwitze, vielleicht für Vernissagen oder Dinner-Partys, die vor drei oder vier Jahrzehnten stattfanden. Kameralegende Vittorio Storaro stellt die Sony F65 zwischen Hirnwindungen auf und filmt, was im merkwürdig bunt ausgeleuchteten Schädel so vor sich geht. Das Ergebnis ist stets künstlich wie ein Videospiel, in dem man über Existenzialismus und Ehebruch parliert. So entsteht zumindest gar nicht erst der Eindruck, das Gezeigte hätte etwas mit echten Menschen, mit dem Leben und der Welt zu tun. Auch eine Form von Ehrlichkeit.

Allen lässt die Gegenwart filmen, nennt sie die Gegenwart und zeigt trotzdem Vergangenheit. An seinen jüngeren Filmen lässt sich kaum noch ablesen, dass er einmal am Puls der Zeit war. Ein Künstler, der die Welt aufmerksam beobachtete, der von einem konkreten Milieu erzählte, es gleichzeitig präzise aufspießte und überhöhte. Natürlich gibt es das New York, von dem er früher erzählt hat, längst nicht mehr. Mittlerweile scheint auch der Geist dieser Stadt vergessen. So greifen also Gentrifizierung und Geriatrisierung ineinander. In Midnight in Paris spottete der Regisseur noch über jene, die sich nach den Höhen einer erträumten goldenen Epoche sehnen. Schlimm ist, dass Allen selbst einer von ihnen geworden ist. Noch schlimmer aber, dass er sich nicht nach Dali, Hemingway und Picasso sehnt, sondern nur nach der Zeit des jungen Woody Allen. 

Wenn er in Rifkin’s Festival die Filmwelt darstellt, dann zeigt er eine etwa 50 oder 60 Jahre alte Version von ihr. Kurz zur eher unbedeutenden Handlung dieses eher unbedeutenden Films: Mort Rifkin (müde, gelangweilt, verschmitzt: Wallace Shawn) ist Filmkritiker und -dozent. Eigentlich möchte er einen Roman schreiben, doch die Arbeit geht nur schleppend voran. Auf der Flucht vor der Routine begleitet er seine deutlich jüngere Frau Sue (Gina Gershon) zu den Filmfestspielen von San Sebastián. Dort arbeitet sie für den arroganten Phillipe (Louis Garrel), ein Phantombild eines engagierten Filmemachers zwischen Godard, Dušan Makavejev und Costa-Gavras. Während sie eine Affäre mit dem Franzosen beginnt, kommt Mort der Ärztin Jo (Elena Anaya) näher. Für etwa 90 Minuten passieren Woody-Allen-Film-Dinge.

Natürlich – wie könnte es anders sein – dient als Rahmenhandlung eine Therapiesitzung, bei der der griesgrämige Kritiker seine Erlebnisse verarbeitet. Ganz freudianisch steigt der Film dann auch immer wieder in seine Träume hinab, die sich als Parodien auf große Filmklassiker präsentieren. Die Auswahl der Titel ist mit Citizen Kane, Außer Atem, Jule und Jim, Persona, Der Würgeengel, Achteinhalb und Das siebente Siegel nicht eben originell. Einerseits verfilmt Allen natürlich längst Drehbücher, die schon eine Weile in der Schublade liegen. Kino mit Staubschicht. Andererseits fragt man sich schon, ob die sklavische Orientierung am Kanon wirklich mit dem ewiggestrigen Mort oder doch mit dem ewiggestrigen Allen zu tun hat. Einen Unterschied macht es nur bedingt, weil dieser Bezugsrahmen selbst als Parodie langweilig bleibt. Hier ist ein Künstler am Werk, der die Außenwelt nur noch gefiltert durch die Filme seiner Jugend versteht. Der Regisseur ist zur schöngeistigen Version eines traurigen Comic-Nerds geworden, der Batman oder Luke Skywalker vor die Wirklichkeit spannen muss, um sie zu ertragen. Nur dass es bei ihm eben Belmondo und Max von Sydow (gespielt von Christoph Waltz) sind.

Schon das Feindbild des Films ist lächerlich. Wo soll sie denn sein, die Plage der hitzköpfig-engagierten, oberflächlichen jungen Filmemacher, die Nahostkonflikt und Kritikergattinnen am selben Nachmittag ad acta legen wollen? Meint er den 91-jährigen Jean-Luc Godard oder den 66-jährigen Ken Loach? Der Glaube an die revolutionäre Kraft des Kinos scheint eigentlich auf einem historischen Tiefpunkt. Es steht sicher auch um die von Allen und seinen Figuren eingeforderten „große Fragen“ in der Filmkunst nicht zum Besten. Kaum einer sitzt in Filmen noch in Upper-East-Side-Appartements und spricht über die Abwesenheit Gottes und den neuen Aufsatz von Susan Sonntag. In Diskussionen einen Strohmann seines Kontrahenten zu erbauen, ist selten zielführend. Zwei zu bauen, die dann miteinander diskutieren sollen, fällt irgendwo zwischen Puppenhaus und Wahnsinn. Larmoyant wird eingefordert, was der Film nicht für eine Sekunde bieten kann.

Vieles, was als veraltet gilt, kann dem Moment widersprechen oder eine Renaissance einleiten. Nur ist es so fruchtlos, wie Allen am Jetzt vorbeischielt. Alles ist so dünn gebrüht, so homöopathisch, dass der Film fast zerfasert. Die Interessen und Stilmittel eines Autorenfilmers kehren sich in seinen schlechtesten Momenten zur Selbstparodie und fallen störend auf. Rifkin’s Festival ist das, was kommt, wenn sich sogar die Selbstparodie erschöpft hat. Er wiederholt etwa seinen wundervollen Marshall-McLuhan-Gag aus Der Stadtneurotiker derart unbeholfen, dass man sich fragen muss, was daran je witzig war. Als hätte er beiläufig auf ein Gemälde von Matisse gekritzelt. 1990 schrieb der Kritiker Jonathan Rosenbaum seine bis heute einleuchtenden Notes Toward the Devaluation of Woody Allen – mittlerweile scheint Allen selbst an diesem Projekt mitzuwirken. 

Nie hat sich das Kino kraftloser angefühlt. Nie war das Argument einleuchtender, dass man manchmal zum Darstellen von Menschen und Ideen auch Menschen getroffen und gehört haben muss. So bleibt alles texturlos und vage, wie ein Gerücht über einen Unbekannten. Allen und sein filmischer Stellvertreter Mort fordern stets die Auseinandersetzung mit den großen Fragen: Gibt es einen Gott? Existieren Gut und Böse? Was ist der Sinn des Lebens? Zumindest in Teilen ist Rifkin’s Festival deshalb als Erfolg zu werten. Kaum jemand wird den Kinosaal verlassen, ohne sich eine große Frage zu stellen: Warum? Warum? Warum?

Rifkin's Festival (2020)

Woody Allens neuer Film „Rifkin’s Festival“ handelt von einem amerikanischen Ehepaar, dass das Filmfestival von San Sebastian besucht und dort von der speziellen Atmosphäre des Events, dem Charme und der Schönheit Spaniens und der Fantasiewelt des Films förmlich absorbiert wird. Sie beginnt eine Affäre mit einem französischen Regisseur und er verliebt sich in eine Spanierin, die dort lebt.

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