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Riders of Justice“ ist der Eröffnungsfilm des Internationalen Filmfestivals Rotterdam 2021 und ein typisches Anders-Thomas-Jensen-Werk: Eine hanebüchene Schwarze Komödie, aber bei genauem Hinsehen doch erstaunlich nah an der Realität.

Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders of Justice (2020)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Rachefeldzug in der dänischen Vorstadt

In einer Szene des neuen Films von Anders Thomas Jensen (Adams Äpfel) unterhalten sich zwei der Figuren über ihre zwielichtigen Machenschaften und dabei fällt der Name der Fitnesskette Cross Fit. Darauf Schnitt und Szenenwechsel: Ein Kreuz ziert die Fassade einer Kirche. Diese Art Humor ist typisch für Riders of Justice und gewissermaßen für das ganze Werk des Regisseurs und Drehbuchautors. Immer ein bisschen makaber in seinen Andeutungen, immer so, dass es noch genug Leute gibt, die sich darüber aufregen würden.

Anders Thomas Jensen ist aber auch ein Filmemacher, der, so macht es den Eindruck, sich aus dem Leben wie aus einer Kiste das Material greift, das er braucht um seine Geschichte zu erzählen, seinen Punkt zu machen. Wenn ihm der Sinn nach einem optischen Tongue-in-Cheek-Witz steht, dann lässt er eben in seinem eigenen Drehbuch die Einstellung einer Kirche auf einen Dialog über Cross Fit folgen. Wenn er will, dass seine Protagonisten ihren Feldzug in einer großen Scheune planen, die weniger nach dänischer Vorstadt als nach rauem Kriegsfilm aussieht, dann stellt er eben einer der Figuren genau so eine Scheune in den Garten. Und lässt eine andere Figur ständig lauthals darüber wundern, bis ihre Begeisterung zum Running Gag wird und die Scheune zu einem Ort, in dem im ständigen Halbdunkel Realismus und die Künstlichkeit des Genrekonstrukts ineinander fließen.

Nach diesem Prinzip funktioniert der komplette Film. Riders of Justice beginnt wie ein Weihnachtsmärchen aus der Feder von Charles Dickens, mit verschneiten Straßen in der Vorweihnachtszeit und einem blonden Mädchen, das sich von seinem Großvater ein blaues Rad zu Weihnachten wünscht. Nicht auszudenken, welche Verkettung von Ereignissen dieser Wunsch in Gang setzt. Der Stil ändert sich, jetzt sind wir offensichtlich im Dänemark der Gegenwart, die Märchenhaftigkeit ist grauem Winterwetter und routinierter Betriebsamkeit gewichen. In einer Firma werden zwei verhuschte Mathematiker entlassen, weil ihr neu entwickelter Algorithmus keinen raschen Profit bringt und wenig später zerreißt ein Zugunglück die Familie von Markus (Mads Mikkelsen). Seine Frau ist sofort tot, Tochter Mathilde (Andrea Heick Gadeberg) überlebt schwer mitgenommen. Markus kehrt von seinem Auslandseinsatz beim Militär nach Hause zurück und ist gerade dabei in den Verdrängungsmodus überzuwechseln, als die Mathematiker (Nikolaj Lie Kaas und Lars Brygmann) an seiner Tür klingeln. Sie glauben nicht, dass es sich bei dem Unglück um einen Unfall gehandelt hat.

Was folgt ist eine Mischung aus Schwarzer Komödie, brutalem Rachefeldzug und einem durchaus sehr sensiblen Melodrama über die verschiedensten Formen männlicher Verkapselung. Der harte Elitesoldat, der außer Gewalt keine anderen Strategien zur Problemlösung mehr kennt, trifft auf einen Haufen Geeks, die ihre mehr oder weniger offensichtlichen Unzulänglichkeiten etwa durch Überheblichkeit kaschieren, manchmal auch durch cholerische Ausbrüche oder unkontrolliertes Essverhalten. Damit ist Riders of Justice – trotz seines hanebüchenen Handlungsverlaufs – erstaunlich nah an der Realität. Die Männer mögen gemeinsam einen großen, blutigen Vergeltungsschlag planen, aber sie tun das in einer Küche, die aussieht wie direkt aus dem Ikeakatalog. In komplett unauffälligen Vorstadtsiedlungen. In khakifarbenen Allwetterjacken. Ihnen sind Dinge zugestoßen, die jedem von uns passieren können: der Verlust eines geliebten Menschen, Einsamkeit, enttäuschte Hoffnungen, Fehler, für die man sich noch Jahre später nicht im Spiegel anschauen möchte.

Und was tun die meisten Menschen nun mal, wenn sie etwas erleben, das ihr intellektuelles oder emotionales Fassungsvermögen übersteigt? Sie suchen nach dem Sinn und meinen ihn im Glauben zu finden. Oder in einem Algorithmus, der die Korrelationen verschiedenster Ereignisse soweit in die Vergangenheit verfolgen kann, dass er irgendwann möglicherweise auch in der Lage ist, die Zukunft zu berechnen. Es ist interessant, wie unterschiedliche Produktionen sein können, die sich thematisch so sehr ähneln. Eine ganz ähnliche Prämisse liegt Alex Garlands Science-Fiction-Serie Devs aus dem vergangenen Jahr zugrunde. Darin ist ein mysteriöser Supercomputer schon in der Lage diese Berechnungen auszuführen. Aber das geleckte Silicon-Valley-Setting mit seinen Avantgarde-Architekturbüros und geheimen Abteilungen könnte kaum weiter entfernt sein von Anders Thomas Jensens Hands-on-Mentalität. „Zeitverschwendung,“ erklärt einer der Mathematiker irgendwann. „Kein Hirn und kein Computer kann so schnell diese riesigen Datenmengen verarbeiten.“ Wenn das so ist, bleiben Geschichtenerzähler wohl fürs Erste die Einzigen mit der Macht, die Ereignisse so elegant anzuordnen, dass sie einen Sinn ergeben. Insofern ist Riders of Justice der perfekte Opener für ein Filmfestival.

Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders of Justice (2020)

Mads Mikkelsen spielt einen Militärangehörigen, der nach dem tragischen Unfalltod seiner Frau zu seiner Tochter im Teenageralter zurückkehrt. Als er andere Überlebende des Zugunglücks trifft, kommt er zu dem Schluss, dass es sich dabei um einen feigen Anschlag gehandelt haben muss und macht sich daran, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

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