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Kolumnen

Werdet erwachsen!

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Wie divers sind eigentlich die großen Jugendserien-Hits, mit denen wir aufwachsen? Welchen (Mikro-)Kosmos entwerfen sie hinsichtlich Ethnie und Sexualität? Und gab es in den letzten drei Dekaden überhaupt Fortschritte?

Meinungen
Die Hauptfiguren aus "Beverly Hills, 90210", "Riverdale" und "Dawson's Creek"
Die Hauptfiguren aus "Beverly Hills, 90210", "Riverdale" und "Dawson's Creek"

Heutzutage können uns Serienheld_innen mal eben ein ganzes Wochenende rauben, indem sie uns zum Binge Watching einer kompletten Staffel (oder mehr) verführen; einst vermochten sie indes unseren Alltag zu strukturieren, indem sie etwa jeden Samstagnachmittag über unsere Bildschirme flimmerten. So erging es mir mit der US-Hitserie Beverly Hills, 90210, die als Inbegriff der Jugendserie galt und gilt: Zwischen 1990 und 2000 entstanden in zehn Staffeln insgesamt 292 Episoden, in welchen eine Clique von (zunächst) vier jungen Frauen und vier jungen Männern in der Highschool, auf dem College und in den ersten Berufsjahren gezeigt wird.

Die kleinen und großen Dramen um die Zwillinge Brandon und Brenda, die mit ihren Eltern in die titelgebende kalifornische Stadt ziehen, waren vor allem Anfang der 1990er Jahre äußerst beliebt – und auch ich entdeckte sie für mich, als ich circa neun Jahre alt war. Am ehesten identifizieren konnte ich mich damals mit der tendenziell anstrengenden, meist überdramatisch reagierenden Brenda und der super-freundlichen Donna – was irgendwie ein sehr seltsamer Widerspruch in sich ist. Schon damals ist mir ansatzweise aufgefallen, dass das Hauptpersonal der Serie überaus weiß sowie heteronormativ und das Identifikationsangebot (auch) deshalb ausgesprochen eingeschränkt ist; in vollem Umfang habe ich dies allerdings erst im Rückblick und aus einer gewissen zeitlichen Distanz bemerkt.

Die Highschool-Kids aus Beverly Hills, 90210; Copyright: Fox Network
Die Highschool-Kids aus Beverly Hills, 90210; Copyright: Fox Network

 

„Als ein Aspekt der riesigen Popkulturindustrie beeinflussen Filme, wie wir über uns und die Welt um uns herum denken“, schreiben Harry M. Benshoff und Sean Griffin in ihrer filmwissenschaftlichen Publikation Queer Images. Nicht weniger – beziehungsweise seit einiger Zeit vielleicht sogar noch mehr – trifft dies wohl auf Serien zu, deren Figuren wir oft jahrelang begleiten können.

Da Serien die Welt also nicht nur wiedergeben, sondern diese durch ihren hohen Einfluss (und ihren Suchtfaktor) gewissermaßen auch in unseren Köpfen herstellen, ist natürlich die Frage interessant, welche Welt das denn eigentlich ist, die darin entworfen wird. Bedeutsam ist dies nicht zuletzt bei erfolgreichen Serien wie Beverly Hills, 90210, die vor allem junge Menschen als Zielgruppe haben – also Zuschauer_innen in einem Alter, in welchem die Identitätssuche eine besonders große Rolle spielt.

Zunehmend wird in den (sozialen) Medien das Thema Diversität beziehungsweise der Mangel an Diversität in älteren und aktuellen Jugendserien diskutiert. Einige Bereiche, die dieser Begriff umfasst, etwa Behinderung oder Religionszugehörigkeit, werden sowohl in den Serien als auch in den Debatten darüber bisher leider kaum berührt; andere werden in den Serien zwar durchaus behandelt, nicht selten jedoch auf eine allzu oberflächliche oder gar problematische Art und Weise. Insbesondere zwei Aspekte – Ethnie und sexuelle Orientierung – geraten dabei immer wieder in den Fokus.

In welcher Form widmen sich die Macher_innen von Teenager-Serienhits also diesen beiden Themen? Und wie hat sich der Umgang mit diesen im Laufe der Zeit verändert – von Serien, die von einem adoleszenten Publikum noch im klassischen Fernsehprogramm verfolgt wurden (wie Beverly Hills, 90210 einst von mir), über Serien, die ebenfalls noch im TV liefen, aber relativ zeitnah auch auf DVD zur Verfügung standen und inzwischen zur Gänze in den Katalogen der Streaming-Dienste angeboten werden, bis hin zu Serien, die (hierzulande) exklusiv on demand gesichtet und gebinget werden können?

 

Schlichte Einsichten in komplizierte Sachverhalte

Die ersten zwei Staffeln von Beverly Hills, 90210 funktionieren überwiegend nach dem Message-of-the-Week-Prinzip: In jeder Folge werden ein bis zwei Sujets angesprochen, die in der Regel zu einem versöhnlichen Ende führen. Zu diesen zählt auch das Thema Race. In einer Folge von Staffel 1 gerät Brandon etwa mit seinem Schwarzen Mitschüler James aneinander, weil beide ins Basketball-Team der Schule aufgenommen werden wollen. Als Brandon James verdächtigt, die West Beverly High nur wegen seiner sportlichen Leistungen besuchen zu dürfen (da James außerhalb des Bezirks wohnt), wirft dieser ihm Rassismus vor. Letztlich kommt Brandon zu einer simplen Wir-sind-doch-alle-gleich-Erkenntnis: „We’re just two guys from the same school battling for the same spot on the same team.“

Auch ein Flirt mit der hispanischen Karla dient in einer Episode in erster Linie dazu, dass Brandon einen kurzen Einblick in die Lebenssituation der hispanischen Bevölkerung von Los Angeles erhält. In den weiteren Serienjahren bleiben People of Color zumeist ebenso nur Neben- und Randfiguren; erst Mitte der achten Staffel wird mit Janet eine nicht-weiße Person eingeführt, die später zum Hauptcast zählt.

 

Funktionsrolle in einer heteronormativen Narration

Eine queere Figur findet sich indes unter der zentralen Clique gar nicht. In einer Folge von Staffel 2 erklärt eine neu etablierte Figur – der schüchterne Sportler Kyle – der Protagonistin Kelly, dass er sich nicht sicher sei, ob er sich zu Frauen hingezogen fühle. Auch spätere queere Figuren bleiben Gegenstand einer überschaubaren Abhandlung und entsprechen oft Stereotypen, wie etwa der AIDS-kranke Jimmy in Staffel 7, den Kelly in einem Hospiz kennenlernt. Diesen Parts kommt stets die Funktion zu, die Hauptfiguren auf irgendeine Weise herauszufordern und zu deren Charakterentwicklung beizutragen; in Staffel 9 bewirkt der schwule und suizidale Ben zum Beispiel, dass zwei Cliquenmitglieder als Rettung in Erscheinung treten dürfen. Dass sich die Mutter eines Protagonisten in Staffel 9 als bisexuell erweist, wird hingegen eher als comic relief genutzt.

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Das ist alles nicht nur dramaturgisch ziemlich schwach, es ist vor allem extrem ärgerlich: People of Color und queere Menschen werden nicht miteinbezogen, um deren mediale Sichtbarkeit zu erhöhen und vielfältigere Identifikationsangebote zu schaffen, sondern einzig um das weiße, heteronormative Zentrum zu stärken.

In puncto Race ist auch eine Serie nicht wesentlich fortschrittlicher, die damals – teilweise durchaus zu Recht, wie ich finde – als Gegenentwurf zum mondän-realitätsfernen Kosmos von Beverly Hills, 90210 bezeichnet wurde: Dawson’s Creek lief zwischen 1998 und 2003 in sechs Staffeln mit insgesamt 128 Folgen. Die Welt von Dawson, Joey, Jen und Pacey in der fiktiven Kleinstadt Capeside in Massachusetts ist ebenfalls sehr weiß.

Der Dawson’s-Creek-Hauptcast; Copyright: Columbia TriStar​​​​​​​
Der Dawson’s-Creek-Hauptcast; Copyright: Columbia TriStar

 

Dass Joeys ältere Schwester Bessie mit dem Schwarzen Bodie zusammen ist und dies zu den Gründen zählt, weshalb die Potter-Familie in der Gemeinde einen Außenseiterstatus hat, wird (zu Beginn der Serie) zwar immer wieder erwähnt; zu einer ausgestalteten Persönlichkeit wird Bodie allerdings kaum, wie Stephanie Georgopulos in einem kritischen Artikel feststellt. Dem Schwarzen Schuldirektor Howard Green kommt wiederum in Staffel 3 vor allem die Rolle zu, dass die Kids lernen, Protest zu üben und Ungerechtigkeit sowie Diskriminierung zu erkennen (statt sie selbst zu erfahren), als er nach der Suspendierung eines rassistischen Schülers auf Druck der Eltern aus seiner Stellung entlassen wird.

 

Ein US-Fernsehmeilenstein

Entschieden progressiver ist Dawson’s Creek derweil in der Integration einer queeren Figur: Jack stößt in Staffel 2 hinzu – zunächst als Konkurrent des Titelhelden um die Gunst von Joey, ehe er im Laufe der Staffel sein unfreiwilliges Coming-out erlebt und sich mit Mobbing in der Schule sowie mit der Homophobie seines Vaters auseinandersetzen muss. Bis zum Abschluss der Serie führt er diverse Beziehungen – der Kuss zwischen Jack und dem Studenten Ethan im Finale der dritten Staffel gilt als erster leidenschaftlicher Kuss zwischen zwei Männern in einer Drama-Serie auf einem frei empfangbaren US-TV-Network. Noch immer wird die Bedeutung der Figur für die Fernseh-Historie sowie für das Erwachsenwerden einer Generation Ende der 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre hervorgehoben. Was mir bereits damals als jüngerer Zuschauer auffiel und ich auch heute noch feststelle, ist die angenehm klischeefreie Darstellung; Jack ist ein komplexer Charakter, kein zweckmäßig eingesetztes Handlungsinstrument.

Eine queere weibliche Hauptfigur findet sich im Segment der Teenager-Mainstream-Serie indessen erst in Pretty Little Liars. Der Mix aus Coming-of-Age und Mystery wurde zwischen 2010 und 2017 in sieben Staffeln ausgestrahlt; alle 160 Folgen gibt es inzwischen auf Netflix. Zu den vier jugendlichen Heldinnen der Serie, die in einem erdachten Ort in Pennsylvania angesiedelt ist, zählt Emily, die sich in der ersten Staffel gegenüber ihren Eltern und ihrer Freundinnen-Gruppe outet.

Die vier Protagonistinnen aus Pretty Little Liars; Copyright: ABC Family​​​​​​​
Die vier Protagonistinnen aus Pretty Little Liars; Copyright: ABC Family

 

Wie Jack aus Dawson’s Creek existiert auch Emily nicht nur im Verhältnis zu den heterosexuellen Figuren, um deren Entwicklung voranzutreiben; ihr Innenleben und ihre (Liebes-)Beziehungen werden gleichberechtigt behandelt – und wie Jack ist auch Emily im Finale der Serie ein glückliches Ende vergönnt. Dass das Zeigen von lesbischen Beziehungen in einem Jugendformat selbst in den 2010er Jahren im US-Kabelfernsehen noch kontrovers sein kann, schildert der Schauspieler Ian Harding, der in Pretty Little Liars den Lehrer Ezra verkörpert, welcher mit der Schülerin Aria eine Affäre hat: Als er erfahren habe, dass eine Firma ihre Werbeschaltungen für die Sendung zurückgezogen habe, da sie die Darstellung einer Beziehung nicht befürworte, sei er davon ausgegangen, es gehe dabei um die illegale Lehrer-Schülerin-Beziehung zwischen Ezra und Aria – bis ihm erklärt wurde, dass es Emilys Beziehung sei, in der besagte Firma ein Problem sehe.

„Man könnte meine Figur gesetzlich als Vergewaltiger bezeichnen, doch diese Leute finden: ‚Ich weiß, aber Liebe kennt eben keine Grenzen – solange ein Penis und eine Vagina involviert sind.‘“ (Harding im Interview mit Cosmopolitan)

 

Wir verdienen Besseres!

Trotz der positiven Zeichnung von Emily wird die Serie für ihre Präsentation von LGBTQ-Figuren allerdings auch scharf kritisiert – insbesondere deshalb, weil das queere, weibliche Nebenpersonal äußerst klischiert daherkommt: In Pretty Little Liars seien mehr queere und Trans*-Frauen getötet worden als in jeder anderen TV-Serie, heißt es in einem Essay von Heather Hogan. So starben drei als psychopathisch geschilderte Antagonistinnen, darunter die Trans*-Frau CeCe. Der plötzliche Tod dieser Figuren sowie deren Dämonisierung entsprechen zwei Tropen der Film- und Fernsehgeschichte (Bury Your Gays und Evil), auf die etwa die Online-Bewegung LGBT Fans Deserve Better hinweist.

Was die ethnische Vielfalt betrifft, bildet Emily im weißen Hauptcast ebenfalls die Ausnahme: Indessen die Figur in der zugrunde liegenden, gleichnamigen Buchreihe auch eindeutig als weiß gekennzeichnet ist, hat sie in der Serie philippinische Wurzeln. In der Besetzung der Nebenparts ist Pretty Little Liars (immerhin) diverser ausgerichtet als Serien wie Beverly Hills, 90210 oder Dawson’s Creek.

Dies lässt sich auch über Riverdale sagen – eine weitere Mischung aus Adoleszenz- und Mystery-Geschichte, die 2016 auf dem US-Fernseh-Network The CW begann und in Deutschland exklusiv auf Netflix gestreamt werden kann. Die Abenteuer von Archie und seiner Clique basieren lose auf der in den frühen 1940er Jahren entstandenen Archie-Comicserie – und sind entsprechend poppig gestaltet. Während die vier zentralen, jungen Figuren weiß und heterosexuell sind, gehören einige People of Color sowie queere Personen zum Stammpersonal, darunter der schwule Schüler Kevin sowie die Schwarze Schülerin Josie, deren Mutter als Bürgermeisterin der fiktiven, titelgebenden Stadt arbeitet, und Toni, die ebenfalls of Color ist und sich als bisexuell identifiziert.

Die Hauptfiguren aus Riverdale; Copyright: Netflix​​​​​​​
Die Hauptfiguren aus Riverdale; Copyright: Netflix

 

Wiewohl Kevin und Josie ihre eigenen Geschichten haben, werden sie doch allzu häufig auf Funktionen beschränkt: die des schwulen besten Freundes beziehungsweise die der talentierten Musikerin, die mit ihren ebenfalls Schwarzen Freundinnen Valerie und Melody als Rock-Band auftritt. Diese Marginalisierung wurde wiederholt moniert; überdies wurde der Serie Queer-Baiting vorgeworfen, da in einem Trailer mit einem Kuss zwischen den Protagonistinnen Betty und Veronica geworben wurde, welcher innerhalb der Narration allerdings klar als Teil einer gewollt provokativen Cheerleading-Performance und nicht als romantische Geste ausgewiesen wird.

Komplexer ist die Figur Cheryl, die zunächst als Intrigantin der Serie agiert, ehe sie Toni in Staffel 2 erzählt, sich zu Frauen hingezogen zu fühlen. Cheryl wird von ihrer strengen Mutter zur „Umerziehung“ zu einer ominösen Nonnen-Truppe geschickt. Auch dieser Strang wird in Riverdale in comichafter Überzeichnung in Szene gesetzt, als sei Cheryl in der Hochglanzversion eines 1950er-Jahre-Exploitationfilms gelandet. Dies ist ziemlich schade – da die krude Umsetzung vermutlich davon ablenkt, dass Konversionstherapien religiöser Gruppen (nicht nur) in den USA noch immer Realität sind, so sehr sie auch wie gruselige Relikte aus vergangener Zeit anmuten.

Es hat sich somit zwar schon einiges in (US-)Teenagerserien getan, aber ganz eindeutig ist es noch nicht genug. Ebenso wie ihre Figuren müssen auch die Serien, die von ihnen erzählen, bitte endlich erwachsen werden, um rundum ernst zu nehmende Bilder und Geschichten zu liefern, in denen tatsächlich alle adäquat repräsentiert werden.

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