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Hit Me Baby, One More Time! BDSM im Film

Ein Beitrag von Artemis Linhart

Bei BDSM im Kino denkt alle Welt nur an „Fifty Shades of Grey“. Aber wie sieht es abseits davon mit sexueller Diversität auf der großen Leinwand aus? Artemis Linhart über das Kink-Kino.

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Szene aus "The Duke of Burgundy"
Szene aus "The Duke of Burgundy"

BDSM (Bondage, Discipline, Dominance and Submission) bezeichnet eine breite Palette an Praktiken und Ausprägungen. Diversität muss man im Kink-Kino indes suchen. Wer bezüglich Sexualität über den Tellerrand der Konventionen schaut, ist nicht automatisch auch offen für neue Auslegungen tradierter Rollenverhältnisse.

Wohin man auch sieht, werden Stereotype festgeklopft. Das Bild des dominierenden Mannes und der unterwürfigen Frau ist in der Regel geläufiger. Ernsthafte Darstellungen einer umgekehrten Rollenverteilung hingegen hat man im wahrsten Sinne des Wortes eher nicht auf dem Schirm.

 

Konsens: Nonsens?

Problematisch ist, dass die Entwicklung von Dom/Sub-Verhältnissen im Film oftmals von fragwürdigen Rahmenbedingungen in Bezug auf das Einverständnis beider Beteiligter geprägt ist. Frauenfiguren werden häufig in die Sub-Position gedrängt. Die männlichen Doms agieren entweder aus einer Machtposition heraus, oder legen zumindest die Liebesspiel-Regeln fest – ohne die Grenzen im Vorfeld abzustecken, oder überhaupt Consent von ihrem Gegenüber einzuholen. Nicht selten wird die Situation aus Sicht der Frauenfiguren zunächst als bedrohlich erlebt, wobei Schrecken und Widerstand schließlich in Lust kippen. Dieses Narrativ harmoniert mit Hollywoods Unnachgiebigkeits-Leitbild, das auch die schier unsterbliche Trope jenes Verehrers ausmacht, der von seiner Angebeteten unter keinen Umständen ein “Nein” akzeptieren will, bis deren Liebe letztlich doch noch entflammt.

Während dieser Sinneswandel zumindest bei Der Nachtportier auf das Stockholm Syndrom zurückzuführen ist, bleibt er beispielsweise in 9 ½ Wochen unklar. Auch im Verlauf der Beziehungen entstehen immer wieder Situationen, in denen die Frauenfiguren sich sichtlich unwohl fühlen und die Grenzen zwischen BDSM und reiner Gewalt verschwimmen. Dabei sind in der Realität Safewords unverzichtbare Dreh- und Angelpunkte einer jeden “Spielbeziehung”. In der filmischen Welt hingegen finden diese kaum Verwendung, was die ganze Consent-Dimension in ein umso schlechteres Licht rückt.

 

Topping from the bottom

Dass der submissive, also der unterwürfige Part in einem BDSM-Verhältnis nicht zwingend Machtverlust und komplette Aufgabe von Kontrolle mit sich bringt, wird im Film Secretary veranschaulicht. Zwar wird die Frauenfigur auch hier zunächst vom dominanten Gebaren eines Mannes “überrumpelt”, doch immerhin wird ihr Umschwenken plausibel dargestellt.

Die Hauptfigur Lee (Maggie Gyllenhaal) agiert in ihrer Rolle als Sub aufsässig und “ungehorsam”, um die für sie erregende “Bestrafung” ihres Chefs (der in puncto Namen übrigens bereits fast ein Jahrzehnt seiner Zeit voraus den einen oder anderen Shade of Grey auf die Leinwand geworfen hat) zu provozieren. Sie streut absichtliche Tippfehler in ihre Texte ein, um von ihm gezüchtigt zu werden – ein Vorgehen, das in der BDSM-Community auch als topping from the bottom bzw. als bratting (“frech sein”) bezeichnet wird. Jene Spielart verdeutlicht, dass auch innerhalb des Dom/Sub-Machtgefüges Handlungsspielräume existieren. Dies impliziert die Möglichkeit einer konstanten Verlagerung der Macht – eine Realität, die im Gegensatz zur geläufigen Idee der starren Unterwerfungs-Dichotomie steht.

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In Secretary erlebt Lee darüber hinaus ihre Sub-Position als befreiend und emanzipatorisch. Sie entdeckt dabei ihre Sexualität neu und durchlebt gewissermaßen eine ganzheitliche Selbstfindung. Dass Sub-Sein nicht bedeutet, sich für jede beliebige Person zur Zielscheibe zu machen, zeigt außerdem Lees Suche nach einem geeigneten BDSM-Gegenpart infolge der Trennung von ihrem Chef. Sie verabredet sich mit anderen Doms, lässt sich jedoch nicht auf alles ein, was dabei von ihr erwartet werden mag. Sie weiß endlich, was sie will und steht dafür ein, was vor allem beim Showdown gegen Ende des Films überdeutlich wird.

Dass der Dom-Part in der Beziehung nicht zwingend den Ton angibt, zeigt auch Duke of Burgundy. Queere Repräsentationen von BDSM sind in der Filmwelt rar gesät. Umso außergewöhnlicher macht diesen Film die hinzukommende Aufweichung des Machtgefüges zwischen den beiden Liebenden. In der Beziehung zwischen Evelyn (Chiara D’Anna) und Cynthia (Sidse Babett Knudsen) werden die Machtverhältnisse in einer lebensnahen Komplexität dargestellt.

Der unliebsame Begriff “Wunschzettel-Sub” setzt dem Bratting noch einen drauf und findet in Evelyn buchstäblich seine Personifikation: Ihrer Rolle als Sub vermeintlich widersprechend, schreibt sie für Cynthia akribische Anweisungen, wie diese ihre Funktion als Dom ausüben soll. Ihre Instruktionen legen etwa genau fest, wie viele Sekunden Cynthia sie warten lassen soll, ehe sie ihr bei ihren Hausbesuchen die Tür öffnet.

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Dabei ist dieser Hintergrund, der sich in der Geschichte nur nach und nach entrollt, nicht nur ein geschickter Kniff, um dem Film auf rein narrativer Ebene mehr Tiefe zu verleihen. Die Finesse liegt hier auch in der Darstellung der Vielschichtigkeit von BDSM-Beziehungen. Cynthias Dominanz findet letztlich allein in jenem Rahmen statt, den Evelyn vorgibt, die somit die eigentliche Kontrolle in der Beziehung hat. Dies wird vor allem deutlich, als Cynthia ihrer Rolle als Dom zunehmend überdrüssiger wird. Während sie sich nach Herzlichkeiten und unverblümten Zuneigungsbekundungen sehnt, wird Evelyn in ihrer Begierde nach Unterwerfung immer extremer.

Nicht zuletzt sticht Duke of Burgundy auch dadurch heraus, dem Einsatz eines Safewords gebührend Platz zu bieten. Derlei Ausnahmen, die geistlose Topoi aufmischen, haben allerdings Seltenheitswert. Zumeist fällt das Kink-Kino in immergleiche Muster: Die Frau begehrt nach Unterwerfung durch männliche Dominanz. Mitunter wird dieser Einhaltung der sozialen “Regeln” sogar therapeutische Wirkung zugeschrieben.

 

Sexual Healing?

So demonstriert Eine dunkle Begierde die kathartische Wirkung von BDSM. Hier gelingt es Sabina (Keira Knightley), die Macht über ihre – von ihr selbst als krankhaft beurteilten – Lustgefühle in Bezug auf Demütigung und Gewalt zurückzuerlangen. Infolge des Auslebens ihrer Fantasien ist ihr eine Selbsterfahrung möglich, die sie bisher unterdrückt hat und die sie erblühen lässt. Durch das Umcodieren ihrer tabuisierten Kindheitserlebnisse und Empfindungen in einem Safe Space gelingt ihr eine persönliche Befreiung, die im Film zweifelhaft als “Heilung” dargestellt wird.

Auch in Belle de jour – Schöne des Tages erlebt die Hauptfigur Séverine (Catherine Deneuve) eine Art “Heilung” von ihren deplatzierten sexuellen Fantasien, indem sie diese selbstbestimmt auslebt. Da sie ihre erotischen Tagträume nicht mit ihrem Ehemann verwirklichen kann, beginnt sie heimlich in einem Bordell zu arbeiten. Dort kommt sie mit allerlei unvertrauten Praktiken in Berührung. Übersättigt vom “wilden” Leben als Sexarbeiterin, kehrt sie schlussendlich in ihr zahmes Alltagsleben zurück und fantasiert von jenen banalen Routinen der Zweisamkeit, deren Monotonie sie ursprünglich entfliehen wollte.

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Boys don’t cry

Eine andere Art, wie die Rolle des Subs als empowering empfunden werden kann, findet vor allem unter Männern Erwähnung. In Sick: The Life and Death of Bob Flanagan, Supermasochist erklärt der Protagonist, dass er sich wie ein harter Typ fühlt, da er in seiner BDSM-Beziehung beweisen kann, enorm viel Schmerz ertragen zu können. Diese Stärke gibt ihm letzten Endes die Kraft um seine, durch eine unheilbare Krankheit sehr gering prophezeite, Lebenserwartung um Jahrzehnte zu übertreffen. Er erzielt dadurch ein Stück weit auch eine Heilung.

Der Film Im Keller porträtiert drei Paare in “Spielbeziehungen”. Auch hier führt ein Sub-Mann diese Facette der Ermächtigung an. Dass diese Perspektive eher von Männern zur Sprache gebracht wird, mag an den tradierten Geschlechter-Rollenbildern unserer Gesellschaft liegen, welchen zufolge sich Männlichkeit und Unterwerfung schwer miteinander vereinbaren lassen.

Starre Vorgaben, wie etwas für die Masse dargestellt werden soll, gehören ohnehin zu den Vorlieben der Filmindustrie. Im Keller ist daher insofern bemerkenswert, da er mit so manchem Klischee aufräumt und eine Bandbreite an Lebensrealitäten abbildet: Hier werden Paare gezeigt, die BDSM ausschließlich im sexuellen Rahmen praktizieren, sowie jene, bei denen sich die Praktiken auf das gesamte Alltagsleben ausdehnen. Es wird zudem mit der Illusion gebrochen, dass BDSM untrennbar mit Latex, Leder und Lack verbunden ist. Dass dieser Kink keinen Dresscode hat, beweist die Domina in Schlabber-Jeans und T-Shirt.

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Auffällig ist jedoch auch hier das beharrliche Festhalten am Dogma der Schwarz-Weiß-Malerei: Im Kino zumeist gänzlich außer Acht gelassen werden Switches – Personen, die zwischen der Dom- und der Sub-Rolle alternieren. Obwohl dies hinreichend verbreitet ist, wird Switches in Film und TV sehr wenig Repräsentation zuteil. Angesichts der Dichotomie-Besessenheit unserer Gesellschaft nicht weiter verwunderlich, dennoch weicht hier das konventionelle Weltbild von der Lebensrealität dramatisch ab.

Ohne die Erwähnung von E. L. James’ allseits bekannter Trilogie überstrapazieren zu wollen, muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass Christian Grey höchstselbst als Switch zu identifizieren ist: Er hatte sechs Jahre lang den Sub-Part in einem BDSM-Verhältnis inne.

 

Anarchy in the UK

Hin und wieder findet sich auch eine Perle in der Fülle an Gleichförmigkeit. Der britische Film The Fetish Club zeichnet ein erfrischend schillerndes Bild der BDSM-Szene. Es gilt: erlaubt ist, was gefällt. Hier wird munter der Male Gaze untergraben und Consent abgefeiert. Queere Dominas mit Glatze und Flaschendrehen mit einem Dildo sind an der Tagesordnung. Dass die Protagonistin zugleich Domina und Gelehrte der Neurologie ist, wird mit der gleichen Selbstverständlichkeit nebenbei eingeworfen, mit der das verkrampfte Bürgertum aufs Korn genommen wird. Ihre “darkest fantasy”? Heiraten und Kinder kriegen.

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