Extrem laut und unglaublich nah

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wenn die Welt in Trümmern liegt

Acht und Sechs – dies sind die beiden Zahlen, die die Welt des neunjährigen Oskar Schell (Thomas Horn) beherrschen. Acht Minuten, das weiß er genau, dauert es, bis man auf der Erde im Falle einer Explosion der Sonne dies bei uns merken würde, bis bei uns die Welt untergehen würde. Seine kindliche Welt ist schon längst untergegangen, an jenem verhängnisvollen 11. September 2001 in New York, als sein Vater sich während der Anschläge auf das World Trade Center im Nordturm befand und dabei vermutlich ums Leben kam. Und sechs Nachrichten hat Thomas Schell (Tom Hanks) auf dem Anrufbeantworter hinterlassen in der Zeit zwischen dem Anschlag und dem Moment um 10:28 Uhr, als der Nordturm in sich zusammenstürzte. Acht und sechs – eine verhängnisvolle Gleichung, die für den Jungen nicht auflösbar ist.

Dabei hat er genau das gelernt von seinem Vater, mit dem ihn ein enges Verhältnis verband. Immer wieder stellte Thomas seinem Sohn kniffelige Aufgaben, Schnitzeljagden, die den Intellekt des überaus begabten Jungen herausforderten, wie zum Beispiel die Suche nach dem angeblich untergegangenen 6. Bezirk New Yorks. Zudem hatten diese Abenteuer, die sich der Vater für den Sohn ausdachte, noch einen weiteren Zweck – sie sollten dem Jungen dabei helfen, seine Ängste und seine Schüchternheit zu überwinden. Nun aber kommt nach dem Tod des Vaters eine Hinterlassenschaft dazu, die die Gleichung verkompliziert, weil sie eine Unbekannte einführt, einen Schlüssel für ein Schließfach oder etwas Ähnliches. Und der einzige Hinweis, den Oskar findet, ist der Name „Black“ auf dem Umschlag, in dem sich der Schlüssel befand. Wie ein Besessener oder vielmehr wie ein Verzweifelter stürzt sich der Junge auf die Herkules-Aufgabe, das Schloss zu dem Schlüssel ausfindig zu machen. Denn eines weiß oder spürt Oskar ganz genau: Wenn er dies schafft, dann lassen sich diese magischen acht Minuten vielleicht noch ein wenig ausdehnen, hinauszögern, lässt sich dem Schmerz ein Schnippchen schlagen. Und völlig unerwartet findet sich in dem geheimnisvollen und stummen Untermieter (Max von Sydow) von Oskars Großmutter sogar ein Helfer für die Jagd nach dem Schloss, zu dem der Schlüssel passt.

Eigentlich galt Jonathan Safran Foers Romanvorlage ja als nahezu unverfilmbar, doch Stephen Daldry (Der Vorleser) und seinem Drehbuchautor Eric Roth ist es gelungen, die komplexen Fäden der Geschichte stimmig zusammenzuführen und die sich überlagernden Plots und Subplots schlüssig miteinander zu verknüpfen. Recht gekonnt verbindet der Film die Trauer des Jungen um den Verlust seines Vaters und seine Schuldgefühle mit der Trauerstimmung in den USA nach den Anschlägen (freilich ohne auch nur ein einziges Mal auf die schrecklichen Folgen von 9/11 einzugehen) mit der Geschichte einer Familie, die nach einem Schicksalsschlag erst wieder zueinanderfinden muss. Die Tragik des Stoffes, die Daldry auch immer wieder ins Süßliche überführt, wird immerhin ein wenig gemildert durch beinahe nebenbei eingestreute märchenhaft anmutende Motive und die charmante Skurrilität des Jungen, der wahrscheinlich der ungewöhnlichste Neunjährige der Kinogeschichte sein dürfte.

Handwerklich ist Extrem laut und unglaublich nah ein durchaus gelungener Film, sofern man nahezu klassisches Hollywood-Erzählkino mit einer gewaltigen Dosis Pathos mag. Was aber (um bei den Superlativen des Titels zu bleiben) extrem stört und aus den guten Absichten und der ausgezeichneten Buchvorlage an manchen Stellen eine beinahe unerträgliche uramerikanische Kitsch-Tragödie macht, ist die omnipräsente Musik von Alexandre Desplat, die permanent auf der Tonebene jeden Moment der Stille (und Gelegenheiten für ruhige Momente gäbe es wahrlich viele) zukleistert und Emotionen schüren soll, denen man ohne die Orchestrierung wesentlich bereitwilliger gefolgt wäre. Gegen die ist selbst Max von Sydows manchmal fast ins karikaturenhafte abgleitende stumme Spiel machtlos, so sehr er sich auch müht. Kein Wunder, dass dieser Weltstar ebenso zügig von der Regie entsorgt wird wie Sandra Bullock und Tom Hanks, die hier wohl die geringste Screentime seit langem erhielten.

Gäbe es nicht den überaus überzeugenden Thomas Horn, der Stars wie Sandra Bullock gleich im doppelten Sinne ganz schön alt aussehen ließ, bliebe beim Verlassen dieses Films vom Titel unfreiwilliger Weise wohl nur die erste Hälfte als Gesamteindruck haften. Und das wäre in diesem Fall trotz aller Vorbehalte gegenüber dem Pathos, den der Film ausstrahlt, extrem schade und unglaublich bedauerlich — vor allem für die bravouröse Leistung des kleinen Thomas Horn.
 

Extrem laut und unglaublich nah

Acht und Sechs – dies sind die beiden Zahlen, die die Welt des neunjährigen Oskar (Schnell Thomas Horn) beherrschen. Acht Minuten, das weiß er genau, dauert es, bis man auf der Erde im Falle einer Explosion der Sonne dies bei uns merken würde, bis bei uns die Welt untergehen würde.

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Meinungen

wiganek-hp · 20.02.2012

Als ich hörte, dass Jonathan Safran Foers Roman verfilmt wurde, habe ich mich gefreut, war aber auch gleichzeitig skeptisch. Als ich dann die Besetzungsliste las, wurde meine Skepsis noch größer. Sandra Bullock und Tom Hanks als Eltern des Jungen Oskar, der seinen Vater bei 9/11 beim Einsturz der beiden Twin-Towers verliert? Warum diese prominente Besetzung der „Nebenrollen“?. Denn die Hauptrolle, das ist klar, würde der zehnjährige Oskar sein.

Die Psychologie des Jungen ist im Film durchaus schlüssiger als im Roman. Ob das gut oder schlecht ist, sei einmal dahin gestellt. Mussten aber die Menschen, die Oskar aufsucht, zu einem Panoptikum skurriler Figuren verkommen? Passten die tragischen Geschichten nicht ins Bild? Hier hat man sehr stark den Eindruck, als schiele der Film recht heftig auf das amerikanische Publikum, wie es auch die Besetzung der Elternfiguren nahe legt.

Dabei hätte die Story das gar nicht nötig.

Dass man die Geschichte von Oskars Großeltern weglassen würde, war ziemlich klar, denn sie hätte den Rahmen des Filmes gesprengt. Aber dass die Erinnerungen von Oskars Großmutter zu dem Inhalt einer Pappschachtel verkommen und als „Omas Kram“ abgetan werden, ist schon pure Ignoranz, vor allem, wenn man weiß, welches Leid hier dahinter steckt. Geradezu lächerlich wirkt die Vorstellung, Oskars Großmutter – zu der Zeit ein junges Mädchen – hätte das zerstörte Dresden auf Super acht gefilmt. Geht es noch schlimmer?

Oskars Geschichte ist tragisch und der Zuschauer fühlt mit ihm, die Geschichte der Großeltern ist es jedoch auch. Sie hätte gezeigt – durchaus nur als Erzählung eingestreut - dass Leid eine universelle Erfahrung des Menschen ist. Oskars Geschichte hätte eine gewisse Relativierung erfahren. Augenscheinlich war das aber nicht gewollt.

So drückt Regisseur Daldry schon sehr auf die Tränendrüsen, vor allem mit dem unnötig sentimentalen Schluss, als er nochmals visuelle verdeutlicht, dass die Mutter Oskar nicht alleine auf die Suche nach dem Besitzer des Schlüssels geschickt hat. Das war Foer nur eine Randnotiz wert und das hätte dem Film auch gut getan, wenn es so geblieben wäre.

Ein großen Lob geht an den jungen Hauptdarsteller. Er macht seine Sache bravourös und verhindert letztlich, dass der Film in sentimentalen Kitsch abrutscht.

chrissi · 19.02.2012

ein sehenswerter Film,nur hätte ich mir mehr über New York erwartet.

Verschwörungstheoretiker... · 16.02.2012

... unter sich. ROFL!

Tahel · 16.02.2012

Hi Jimbo - - - hast Du etwa "Thrive" angesehen? .... Schön, dass es Menschen gibt, die ebenfalls so denken. Dennoch mag der Film, mag die Geschichte wohl gut sein.

Jimbo · 14.02.2012

9 September- Inside Job!
Es gab kein Flugzeug und bis heute wird kein Passagier vermisst!
Bloß krass was ein Land auf sich nimmt um ans grosse Geld und Öl zu kommen.
Schämet euch ..